Dietland: Satirische MeToo-Rachefantasie mit Cupcake-Topping

06.06.2018 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
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Bei Amazon Prime startete gestern die 1. Staffel der Romanadaption Dietland. Ob der feministische Rache-Kuchen mit einer Prise Murder-Mystery süß oder bitter schmeckt, erfahrt ihr in unserem Serien-Check.

Die gesellschaftliche Veränderung im Zuge der MeToo-Bewegung ist allgegenwärtig. Das Trauma, das Hollywood und Frauen weltweit erlitten haben, lässt derzeit eine Aufarbeitung in Filmen und Serien erkennen. Kaum eine aktuelle Serie lässt nicht das Thema Sexismus oder Belästigung unausgesprochen. Ein weiterer Eckpfeiler auf dem Heilungsweg der Unterhaltungsindustrie bietet nun die Dramaserie Dietland, eine Adaption des gleichnamigen Bestsellers von Sarai Walker, die all den Frauen, die ihrer Wertschätzung - sei es durch Mobbing, Unterdrückung oder Belästigung - beraubt wurden, eine Aussicht auf Veränderung bietet und dabei einen entfesselten Kampfschrei loslässt.

Die Handlung von Dietland versetzt uns in die Welt des Schönheitswahns, dessen Epizentrum die Redaktion eines Fashionmagazins in New York City repräsentiert. Die Leserbriefe des Modemagazins Daisy Chain gleichen einem Ablassventil für verzweifelte Frauen, die dem Druck des Schönheitswahns nicht standhalten und sich der Gesellschaft und der Macht der Männer fügen, ohne einen Ausweg zu erkennen. Doch hinter den Antworten steckt nicht etwas die schöne und schlanke Chefredakteurin Kitty Montgomery (gespielt von Good Wife Julianna Margulies), sondern eine von ihnen. Die übergewichtige Ghostwriterin Alicia "Plum" Kettle (Joy Nash), die sich selbst mit nicht enden wollenden Diäten und Selbstzweifeln einem Schönheitsideal unterwirft, ist schon lange Teil des Gesellschaftszwangs geworden.

Essen ist Sünde und du bist der Sünder

Plums emotionale Verfassung ist so trist und grau wie die Straßen von New York. Der ewige Kampf gegen ihre Adipositas hat sie gezeichnet und in eine schüchternde und zynische Persönlichkeit verwandelt, die kaum noch Freude am Leben empfinden kann. Selbst ihre Leidenschaft des Backens gleicht einer Selbstgeißelung. Ihr Diätlebenslauf ist lang und führte sie sogar schon in die Fänge einer Abnehmsekte, in der die 12 Gebote der Mahlzeit rauf und runter gepredigt wurden. Nun sitzt sie, wie in einer Selbsthilfegruppe, in den Reihen der Waistwatchers, wo ihr ebenfalls eingetrichtert wird,

dass sie sich erst in ihrem Körper wohl fühlen kann, wenn ihr Gewicht einer bestimmten und sich ständig korrigierenden Vorgabe entspricht. Und so ist ihr ultimatives Ziel eine gefährliche Operation, von der sie sich ein selbstbestimmtes und besseres Leben verspricht.

Dietland: Plum könnte ein wenig mehr lächeln

Einen Großteil der ersten Folge verbringt Dietland damit, uns Plums Alltag und Gefühlswelt näher zu bringen. Doch wie es sich für ein dramaturgisches Abenteuer gehört, wird Plums Welt schon bald auf den Kopf gestellt, als sie von einer mysteriösen Untergrundorganisation rekrutiert wird, die Frauen mit Makeln ein neues Lebensgefühl vermitteln will. Wie ihrer Namensvetterin aus Lewis Carrolls Kinderroman Alice im Wunderland eröffnet sich Plum in den Kellerräumen des Verlagsgebäudes die neue Welt des Dietlands. Hier, aus dem Beauty Closet des Magazins heraus, agiert die Mittelsfrau Julia, die Plum unter anderem mit Fragen über die Farbe ihrer Nippel in den Untergrund der Schönheitsrevolutionäre einführt.

So künstlich wie Julianna Margulies' Perücke

Gerade die Beteiligung von Julianna Margulies in ihrer ersten großen Serienrolle seit The Good Wife wurde mit Spannung erwatet. Doch leider gehört ihre Kitty Montgomery in den ersten zwei Folgen von Dietland zu den schwächsten Charakteren. Als ein Miranda Priestly-Verschnitt mit schrecklich künstlicher Perücke soll ihre taffe Chefredakteurin für die lustigen Momente sorgen, was jedoch mangels zündender Gags erstmal flachfällt. Auch Hauptfigur Plum verkommt zu Beginn der Staffel zu einem Werkzeug höherer Institutionen, die sie für ihre Zwecke ausnutzen. Doch ist es genau dies, was Plums Entwicklung als Figur in Gang setzt und in ihr zum Ende der 2. Folge langsam den Kampfgeist erwachen lässt.

Julianna Margulies in Dietland

Genau wie Plum und ihre Umprogrammierung in der Schönheits-Matrix scheint die Serie in den ersten Folgen noch auf der Suche nach ihrer Identität zu sein. In der Pilotfolge wirken die zahlreichen eingeflochtenen Themen noch wie eine krampfhafte Diät und vom Plot getrieben. Auch fehlt es trotz der absurden Umstände an wirklich komischen Momenten. Dennoch behandelt Dietland aktuell relevante und wichtige Themen auf geradezu radikale und mutige Weise. So bekommen wir beispielsweise schon in den ersten Sekunden Bilder eines überschminkten blauen Auges oder einer Frau, die sich mit einer Rasierklinge die Brust ritzt, zu sehen.

Auch das verspielt wirkende Zeichentrickintro von Dietland wirkt gleichzeitig faszinierend wie erschreckend, wenn eine übergewichtige Figur einen bunten Berg aus Süßigkeiten besteigt und auf dem Weg zur Spitze immer weiter an Gewicht verliert, bis sie nur noch ein graues und lebloses Gerippe ist. Der relativ triste und graue Look der Stadt New York und die klinisch sterilen Gänge des Modemagazins werden durch charmante und interessante Spielereien wie Tagträume aus Zeichentrick oder Rückblenden in Form einer Theatervorstellung aufgelockert.

Worum geht es denn nun überhaupt in Dietland?

Die Körperkult-Revolution ist nicht die einzige Organisation, die Plums Leben überschattet. Neben dem für Plum allgegenwärtigen Problem des Fatshamings zieht sich das Thema Sexismus und Belästigung wie ein grauer Schleier über die Ereignisse. Überall in den USA treten merkwürdige Mordfälle an Männern auf. Eine Jennifer betitelte Gruppierung führt eine tödliche Hexenjagd - mit gruseligen Hexenmasken - gegen Männer, die Frauen belästigt und vergewaltigt haben, und ermordet diese brutal. Hier ergibt sich auch schon ein weiteres Problem von Dietland.

Dietland: Was haben die Hexen mit all dem zu tun?

Zwei thematisch verschiedene Handlungsstränge verlaufen in den ersten beiden Folgen ohne nennenswerte Berührungspunkte, was sich der Vorlage entsprechend noch im Verlauf der 1. Staffel ändern wird. Doch so befremdlich der Zusammenhang von MeToo-Rachefantasie und Plums Befreiung von Schönheitsnormen erscheinen mag, so ist es gerade dieses Mysterium, das den Reiz weckt, Dietland weiterverfolgen zu wollen. So verführerisch dieser revolutionär anmutende Kuchen auch aussieht, erweckt er jedoch noch keinen akuten Heißhunger.

Die 1. Staffel von Dietland umfasst insgesamt 10 Episoden, die ab dem 04.06.2018 wöchentlich in den USA auf AMC und in Deutschland auf Amazon Prime ausgestrahlt werden. Als Grundlage für diesen Serien-Check dienten die ersten zwei Folgen.

Werdet ihr euch Dietland anschauen?

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