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Die Verlogenheit der Menschen

16.12.2015 - 20:42 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Dürfen sie das?
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Dürfen sie das?
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In einer Welt geprägt von unaufhörlicher Beschleunigung, ist es manchmal schwer, den Überblick zu behalten. Vor allem über aktuelle sozio-kulturell-politische Entwicklungen und gerade auch zum Stand des derzeitigen Moraldiskurses. Zwei Beispiele aus Film und Fernsehen darüber, weshalb es nie aufhört, weh zu tun.
Wo befinden wir uns gerade? Muss man sich noch sensibel gegenüber Minderheiten verhalten oder darf man schon Witze darüber machen? Sind schwarze und weiße Menschen jetzt eigentlich gleich gestellt oder muss man sich hier weiter bemühen, allen zu erzählen, dass doch alle gleich seien und man das auch einfach mal akzeptieren müsse? Wenn alle Menschen gleich sind, darf man denn dann nicht auch gegenüber jeder Person mit den gleichen Maßstäben werten?

In den letzten Tagen war ich Leser und/oder Beteiligter zweier Diskussionen, die mich zu bestimmten Gedankengängen angeregt haben. Fangen wir an. Ich wurde nur durch Hinweis Zeuge des Eröffnungsclips der dieswöchigen Sendung Circus HalliGalli, welcher den allseits beliebten und oft geteilten Werbespot der Firma Edeka persifliert . Der Unterschied zum Original besteht darin, dass am Ende nicht die ganze Familie zusammen am Tisch sitzt und sich das Weihnachtsmahl genehmigt, sondern Oma Violetta den Opa erschießt und die restlichen Anwesenden so sich das Essen ohne ihn zuführen. Aufschrei!  Die Community ist, nun ja, eher weniger begeistert. Wie man das denn machen könnte! Skandal! So ein schöner Clip sei der Edeka-Spot gewesen. (Es gibt gewiss Gegenstimmen, aber der Protest überwiegt im Augenmaß, zumindest zu Beginn.)
Es sei mal dahingestellt, dass der Spot in einem erheblichen Maße manipulativ und absurd-emotionalisierend daher kommt. Und das von einer Firma, die nicht nur in den Chor der Mitarbeiter-Überwachung  einstimmte oder ein wenig bei der Kennzeichnung von gefährlichen Stoffen schummelt , sondern auch ein sensationeller Vertreter der allseits beliebten neoliberalen Philosophie  ist. Edeka prangert also in seiner Werbung die fehlende Herzlichkeit und familiäre Liebe an, während selbst mit den Mitarbeitern auf erniedrigende Weise umgegangen wird. Aber, hey: eine grandiose Image-Kampagne wird es allemal gewesen sein. Der Clip war in aller Munde und gerade die Reaktion von Joko und Klaas darauf ist doch ein Beweis für die sich erspielte Relevanz in den letzten Wochen. Dann sag ich einfach mal: lasst die Leute diesen Spot gut finden, ich mochte ihn doch auch so ein bisschen. Wieso denn nicht? Trotz allem – vielleicht können die Leute so differenzieren, dass sie nicht vergessen, wer ihnen hier diese (fadenscheinige) Emotion verkauft.

Aber hier ist das Problem. Die Leute, die das rezipieren, sind offenbar zu einem Großteil nicht fähig, eine Reflexion in solch einem Umfang zu leisten. Zumindest erscheint dieser Umstand mir sehr naheliegend zu sein, wenn man die genannten Reaktionen betrachtet. Ein Skandal (!) sei diese Persiflage der Pro7-Youngsters also – wie man so etwas denn machen könne! Nun ist es doch wohl offensichtlich, dass die Show Circus Halligalli sich oft durch satirische Elemente auszeichnet. Nicht zuletzt ist das Intro oft ein gern genutztes Mittel, um eine aktuelle Entwicklung oder Diskussion zu kommentieren. So ist auch dieser Clip (#heimkommen) als eine Satire zu sehen, die vielleicht qualitativ nicht an ein Element aus der Anstalt  heranreicht (doch ist das selbstredend eine subjektive Einschätzung), aber dennoch diese Bezeichnung für sich beanspruchen darf. Darf sie das, die Satire? Dürfen Joko, Klaas, Olli Schulz („Du perverser alter Mann!“ – ein Herz für den lieben Olli!) und die anderen das? Dürfen sie das? #darferdas?

Wie glorreich und als Fest der westlichen Kultur wurden doch die Aufrichtigkeit und der Trotz zelebriert, welche den Anschlägen in Paris (#prayforparis) und gerade denen auf die Redaktion von Charlie Hebdo in europäischen und gerade deutschen Medien folgten. „Satire darf alles!“ war eine der Headlines, einer der Kampfrufe der Vertreter der „westlichen Wert“, die man um jeden Preis aufrechterhalten und verteidigen müsse. Und wenn es mit Einschränkung der Freiheit einhergehe! Hier stellt sich nun aber die Frage: wenn Satire alles darf, weshalb dann nicht den ach-so-schönen Werbespot von Edeka umdrehen und die Verlogenheit dahinter entlarven? Man könnte simpel konstatieren, dass die Menschen so heuchlerisch sind, dass sie daran zu ersticken drohen; dass die Verlogenheit sich schon daraus ergibt, dass sie sich an den verlogenen Dingen schon erfreuen.

Nun konstituiert sich diese Verlogenheit nicht nur aus einer geradezu absurden Einstellung zum erlaubten satirischen Wirkungsbereich. Ganz beliebt ist auch eine irre politische Korrektheit, welche die Gesamtgesellschaft immer mehr erfasst hat. Grundsätzlich muss ich natürlich sagen, dass der Ansatz, der sich dahinter verbirgt, äußerst lobenswert ist: es wird offen viel dafür getan, immer noch (leider) vorherrschende Ressentiments abzubauen. Ein Einsatz für die Gleichberechtigung ist erkennbar und das ist gut so. Jedoch steuern viele, wie auch radikaler Vertreter des Feminismus (solche, welche die soziologische Theorie nicht verstanden haben) oder des Veganismus, über ihr Ziel hinaus.
Es manifestiert sich immer wieder in Diskussionen über so etwas Banales wie Besetzungen von kommenden Hollywood-Filmen, wie in dieser Woche das Casting-Gerücht rund um den großartigen Idris Elba (The Wire) und der anstehenden Verfilmung der „Turm“-Reihe von Stephen King. Natürlich öffnet sich bei solch einer Nachricht die Schatulle der Hautfarbendiskussion, was man natürlich grundsätzlich erst mal genervt zur Kenntnis nehmen müsste und sollte. Aber manche Situationen sind vielleicht nicht ganz so einfach, wie sie erscheinen und gerne gemacht werden. Denn natürlich sind „Der Dunkle Turm“-Fans keine Rassisten, nur weil sie diese mögliche Besetzung anprangern – außer sie äußern es bloß aus dem Umstand der Hautfarbencharakteristik. Denn eine sinnvolle und berechtigte Begründung für eine Kritik daran ist durchaus zu finden: die Geschichte enthält in seiner Romanform einen bedeutenden Zweig, welcher sich mit dem Rassismus gegenüber der weiblichen Figur der schwarzen Susannah Holmes beschäftigt – der ergibt sich gerade daraus, dass die übrigen Figuren sich durch eine weiße Hautfarbe auszeichnen. Vorgeprägt durch offenen Rassismus und eine schreckliche Diffamierung aus dem Amerika der 1950er und 1960er, hat sie es zunächst sehr schwer, eine normale Beziehung zu den Weißen Eddie und Roland (die Rolle, für die Idris Elba gerüchtehalber vorgesehen ist) aufzubauen. Dieser Konflikt ist nicht nur zentral im zweiten Band der Reihe, sondern auch für ihre Charakterentwicklung in der restlichen Geschichte.

Daraus kann man mit Sicherheit die Berechtigung zur Kritik ableiten. Oder zumindest zur Sorge, dass man die liebgewonnene Geschichte nicht adäquat umgesetzt sehen wird. Möglicherweise entpuppt sich diese Sorge im Nachhinein als haltlos, weil von Drehbuchautor(en) und Regisseur eine Umsetzung erfolgt, die der Idee der Vorlage entspricht. Selbstverständlich reden wir bei so etwas von Banalitäten, die man sich künstlich heraufbeschwört, weil man zu viel Zeit hat, um sich mit kulturellen Ergüssen derart zu beschäftigen. Nichtsdestotrotz zeigt sich in den Reaktionen auf eine derartige eine Scheinheiligkeit, die wieder auf die Heuchelei und Verlogenheit der Menschen verweist. Natürlich wird man sofort als Rassist (offen oder unterschwellig) bezeichnet, wenn man diese äußert. Wie kann man denn etwas dagegen haben, dass eine Figur von einem schwarzen Schauspieler gespielt wird? Rassist! Nazi!

Ich möchte nicht verkennen, dass es positiv anzumerken ist, wenn Leute die Besetzung von Rollen durch nicht-weiße Schauspieler*innen fordern. Und dass rassistische Kommentare von der Masse abgestraft werden, ist auch ein Erfolg des diskursiven Fortschritts der Gesellschaft. Ebenso unterstütze ich flammende Reden für die Besetzung von James Bond oder Spiderman/Peter Parker durch schwarze Schauspieler. Auch wenn es vielleicht etwas plump daherkommt, ist es nicht von der Hand zu weisen, welchen Stellenwert dies haben muss. Außerdem liegt es vielleicht im Fall der „Turm“-Reihe auch ganz einfach daran, dass viele die Geschichte schlicht und einfach nicht kennen. Aber der Generalverdacht des Rassismus ist ein großes Problem. Denn komischerweise sind nicht die Leute gleich xenophobisch veranlagt, nur weil sie eine Besetzung kritisieren und vielleicht auf Detailgetreue der Buchverfilmung pochen. Das könnte man vielleicht anprangern; aber das ist auch letztlich nur Meinungssache.

Ich sage, dass gerade dieser Einstellung, unabhängig davon, dass politische Korrektheit unglaublich nervig ist (jedoch hilfreich sein kann, wenn richtig eingesetzt), ein Ausdruck von (subtilem) Rassismus ist. Letztlich ist es doch nichts anderes zu sagen, dass man die Besetzung eines schwarzen Schauspielers nicht kritisieren darf, als dass man keine Witze über Personengruppen, meist Minderheiten, machen darf. Manche mögen es Sensibilität nennen und die ist vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch angebracht, aber meist ist es nur blanker Irrsinn. Wenn man doch eine bestimmte Gruppe von so etwas ausspart, ausgrenzt (!), dann ist genau das eben Rassismus.
Ups?! Gerade diese Erkenntnis wurde doch von den gleichen Leuten, die jetzt Joko und Klaas anklagen, gefeiert, als (auf dem gleichen Sender) der Komiker Chris Tall sein mittlerweile allseits bekanntes Plädoyer  für den Witz über alle ablieferte. Der Hashtag #darferdas erfreut sich jetzt immer noch großer Beliebtheit.

Wann fangen wir an, endlich mal unser Verhalten und Handeln mit einer ausreichenden Sorgfalt und Verantwortung zu reflektieren? Kann man sich nicht mal dazu hinreißen lassen, die Dinge differenzierter zu betrachten? Ein erschreckender Populismus von rechts wie links macht sich breit – und ob das nicht wahrlich gefährlich  ist, sollte man mal hinterfragen.

Wir sind heuchlerisch.
Wir sind verlogen.



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