Die Ressource Mensch

08.09.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
"Ein Mensch der im Flow ist, geht voll in seiner Tätigkeit auf."
moviepilot/Film Kino Text
"Ein Mensch der im Flow ist, geht voll in seiner Tätigkeit auf."
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Das perfide System zwischen Gewinnmaximierung und Selbstoptimierung des “Humankapitals” in der modernen Arbeitswelt steht im Mittelpunkt einer Dokumentation, mit welcher der Kommentar der Woche sich deskriptiv und analytisch auseinandersetzt.

In unserer Rubrik Kommentar der Woche möchten wir eure geistig-textuellen Ergüsse, also eure Kommentare, feiern. Die Voraussetzungen dafür können beinahe alle Kommentare (egal ob für Filme, Serien, Personen, News) erfüllen, ob nun schön, persönlich, kurz, lustig, bizarr, alt, nachdenklich, lang, originell, treffend, gehaltvoll, neu, dadaistisch, royalgrau oder ihr habt uns einfach nur ausreichend mit schreibenden Kugelschreibern bestochen. Ihr könnt mich per Nachricht gerne gelegentlich auf einen Kommentar, der euch besonders gut gefallen hat bzw. euren absoluten Lieblingskommentar auf moviepilot, hinweisen – aktuell fahnde ich z.B. weiterhin besonders nach tollen Personen- und Serien- oder Staffelkommentaren. Wir können euch keine Versprechungen machen, dass wir den Vorschlag auch auswählen, aber inspirieren lassen wir uns gerne.

Der Kommentar der Woche

Heute nicken wir Andre Jonas anerkennend zu, der sich in seinem Kommentar zur Dokumentation Work Hard – Play Hard eindringlich mit den darin gezeigten architektonisch wie emotional sterilen und perfiden Scheinwelten moderner Arbeit befasst:

»Work Hard – Play Hard« ist ein subtiler Film, der sich an praktisch keiner Stelle (von einer passagenweise beschleunigten Schnittfolge und dissonanten bzw. scharfen, wenn auch sich im Hintergrund haltende Klängen, die den Film begleiten, mal abgesehen) ein Urteil zu Schulden kommen lässt, sondern die Bilder und Worte, beide gleich wirksam und wichtig, für sich sprechen lässt:

Die Bilder: Das sind die in ihrer Größe seltsam leer wirkenden, bis zur Sterilität sauberen, schimmernden, fast glänzenden Büroräume, die zum Teil wie direkt aus einem IKEA-Katalog geschnitten wirken. Die darin Arbeitenden wirken vor diesem Hintergrund fast schon wie Fremdkörper, denn sie lassen die Grenzen dieser stilisierten, idealisierten, durchdesignten Scheinwelt erkennen. Dunstig-frische Wälder, Vögel, die frei und ungebunden über die See fliegen – es sind für sich genommen beruhigende, das Gefühl von Freiheit erzeugende Bilder, die über große Flachbildschirme ziehen oder an Wände der Arbeitsräume projiziert werden. Durch die allgegenwärtigen Glasfassaden sind Parks erkennbar, Bäume, Grasflächen, an anderer Stelle Wasser, durch dass sich gemächlich der Bug eines riesigen Schiffes schiebt. Alles wirkt lichtdurchflutet, offen, lädt förmlich dazu ein, zu flanieren, den Platz mit eigenem Leben zu erfüllen, ihn wirklich bewohnt zu machen. Doch dieser letzte Schritt bleibt verwehrt, denn es wird klar, was es mit all diesen Eindrücken auf sich hat: Sie sind geplant, berechnet, penibel auf die Psyche des Menschen abgestimmt, dazu gedacht, ihn (wie es dann auch gleich Beginn klar ausgesprochen wird) vergessen zu lassen, dass er überhaupt das tut, was er hier, bei aller Suggestion scheinbar positiver Gefühle, tun soll, tun muss: arbeiten.

Die Worte: Es kommt eine ebenso seltsam leer wirkende, sterile Sprache zur Geltung. Eine Sprache, die eine Art von Glattheit und Schönheit ausstrahlt, welche nicht selten an die Ausdrucksweise einer religiösen Gemeinschaft erinnert: Der zentrale Sinn der Aussagen scheint oft in eine ungreifbare, metaphyische Ebene verlagert und der Eindruck entsteht, dass keiner der Aussagenden letztendlich weiß, was er genau meint: Alles ist Schleier – aber es sind diese leuchtenden, in einem kühlen, angenehmen Winde wehende Schleier, die hier im Zentrum des Sprechens stehen. Wenn man spricht, predigt man in diesen salbungsvollen Schleierworten, macht sie zum Kern des Sprechens selbst. Man vergisst zunehmend, was eigentlich dahinter verborgen liegt – und was für eine Macht und damit Gefahr eine Sprache mit sich bringt, die gewissermaßen entfesselt, sich selbst überlassen ist, aber dennoch einen klaren Nutzen erbringenden soll: Beeinflussung des unbewussten Subjekts.

Und was hinter dieser Sprache verborgen liegen mag, sickert erst nach und nach in das Bewusstsein des Zuschauers – wenn man offen dafür ist. Da der Film sich wie gesagt mit Bewertungen zurückhält, muss man nicht erwarten, mit der Nase auf das ungreifbare Grauen gestoßen zu werden, das hinter allem zu liegen scheint und nur hier und da durch die Poren, die menschlichen Fremdkörper des perfekten, ausbalancierten Systems, bzw. ihre Worte, dringt. Sicherlich gibt es, besonders in der zweiten Hälfte des Films, einige kaum noch missverständliche Aussagen, wenn ein Angestellter in leitender Position sich etwa die Frage stellt, wie man es schaffen kann, den Mitarbeitern ihre eigene potentielle Wegrationalisierung schmackhaft zu machen, wenn eine Kompetenztrainerin als ›letzten Ausweg‹ beim Umgang mit Veränderungsunwilligen Mitarbeitern die »Induzierung von Leidensdruck« vorschlägt oder wenn in einem Assessment-Center (fast schon ein alter Hut) betont freundlich von »Entwicklungsfeldern« anstatt von Schwachpunkten der Teilnehmenden gesprochen wird.

Diese Stellen sind wie Vulkane, an denen das Innere des Dargestellten an die Oberfläche drängt und sie sorgten im Kino dementsprechend für gewisse ›Lacher‹. Letztendlich ist es aber die Gesamtatmosphäre des Films, die haften bleibt: Das Gefühl, dass sich hier ein perfides System entwickelt hat, das keinesfalls von irgendeiner zentralen, über allem stehenden (und eventuelle für etwas verantwortlich zu machenden) Stelle strukturiert, geplant und mit vordiktierten Werten versorgt wird. Viel mehr wird klar, dass wir es hier mit etwas Wucherndem, vielleicht sogar in gewissem Sinne Ansteckenden zu tun haben, das den Menschen im Inneren packt und auf seine Unbewusstheit aufbaut. Ein Thema des Films ist daran anknüpfend die Arbeitsdisziplin – eine Form der Einwirkung von Herrschaft, die nur noch scheinbar direkt von einem konkreten Vorgesetzten ausgeht, sondern die sich stattdessen (erfolgreich) in das Innere jedes Mitarbeiters transplantiert, der sich letztendlich garnicht bewusst ist, wie sehr er sich an die ihn umgebenden und durchziehenden Strukturen anpasst, Strukturen, die ja ganz bewusst (und dennoch nicht ›zentral gelenkt‹ sondern sich aus den wuchernden Strukturen selbst heraus ergebend) daraufhin getrimmt werden, ihn vergessen zu machen, dass er überhaupt arbeitet – und dass es vielleicht garnicht nicht so sein muss, dass es vielleicht Alternativen zu all diesem gibt und dass auch der Begriff ›Arbeit‹ heute noch ein Schleier ist, hinter dem sich… ja… hinter dem sich was eigentlich genau verbirgt?

Den Kommentar findet ihr übrigens hier

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