Die perfekte Pose – Tarantino und der Personenkult

27.03.2013 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Die perfekte Pose – Tarantino und der Personenkult
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Die perfekte Pose – Tarantino und der Personenkult
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50 Jahre wird Quentin Tarantino heute alt. Mr. Vincent Vega gratuliert dem vielleicht bekanntesten Filmemacher der Welt mit Gleichgültigkeit, maßvoller (Ver-)Ehrung und losen Gedanken zum Personenkult.

Nur selten schreibe ich etwas über ihn oder seine Filme, vielleicht aus gutem Grund. Mein Verhältnis zu Quentin Tarantino ist zwiespältiger Natur, vorsichtig gesagt. Diskussionen um ihn gehen mir in der Regel auf die Nerven. Es ist nicht so, dass ich ihn oder vielmehr die Figur, die er uns von sich präsentiert, hassen würde (natürlich mag ich sie nicht, ich habe wenig Interesse an zugekoksten Labertaschen und Ultranerds, die vor dem Schlafengehen ihre Video-Watchdog-Sammlung streicheln), aber Quentin Tarantino ist mir schon ziemlich egal. Überrascht bin ich dann jedes Mal, wenn mir seine Filme gut bis unverschämt gut gefallen.

Bis auf Reservoir Dogs und Inglourious Basterds konnte ich bisher jedem dieser Filme eine Menge abgewinnen, selbstverständlich mit allen Abstrichen, die es da zu machen gilt. Gefallen abzüglich der hinlänglich durchgenudelten postmodernen Cocktailmischerei also, dem Gefühl, einen Film zu sehen, der einzig im Kontext anderer Filme von Belang ist, der nur im eigenen schulterklopfenden Verweissystem existiert. Abzüglich des vor Selbstgeilheit triefenden Ego-Filmmakings, das schlucken muss, wer dabei sein will.

Schlucken ist das Stichwort. Der anonyme Voter des im Februar vom Hollywood Reporter veröffentlichten Oscar-Stimmzettels – die halbe Filmwelt amüsierte (oder echauffierte) sich über dessen Einlassungen – schrieb über Django Unchained, der Film sei zwar ein "fun movie", aber im Grunde nur "Quentin Tarantino masturbating for almost three hours". Eine kurze Polemik gewiss, sicher auch im Bewusstsein, dass derartig kostspielige, in künstlerischer Freiheit entstandene Autorenfilme bis zu einem gewissen Punkt nur Wichserzeugnisse sein können. Kein unwahrer Einwand.

Wenn Quentin Tarantinos Filme also basically reine Masturbation sind, dann braucht es nicht viel Kopfkino, um sich in diesem Bild die Rolle seiner Fans vorzustellen (you get the idea). Zumindest ist die Verehrung für Tarantino erstaunlich, immer wieder: verblüffend. Es gibt ja, Steven Spielberg einmal ausgenommen, keinen anderen Filmemacher von vergleichbarer Popularität. Keinen anderen Regisseur, den wirklich jeder, Hinz und Kunz, mit Namen und überwiegend sogar mit Werk kennt.

Sollte je ein Filmfreund an der Autorentheorie gezweifelt haben, so straft Tarantino ihn Lügen. Mehr Marke, mehr Branding, mehr Siegel ist als Person im Filmgeschäft, als Regisseur ohnehin, nur schwer denkbar. Vom schlichten "Auteurismus", dem untrennbaren Zusammenhang eines künstlerischen Werkes zu dessen Erzeuger, kann bei Tarantino nur noch schwerlich die Rede sein. Vielmehr handelt es sich bei ihm um einen Personenkult, der schon in den frühen 90ern, schon mit seinem ersten und zweiten Film also, eine beispiellose Verselbständigung erfuhr.

Es gibt eine unüberschaubare Gruppe von Menschen, die dem Kino erst durch Quentin Tarantino nahe gekommen sind (und das ist natürlich eine gute Sache), deren cinephile Begeisterung eng mit dessen Regiearbeiten verknüpft ist. Fünf seiner gerade einmal acht Langfilme rangieren in der oberen Hälfte der 250 bestbewerteten Filme der IMDb, jeder halbwegs filmaffine Mensch hat sie gesehen. Überschätzt, der große Begriff, er greift hier schon naturgemäß: So viel unverhältnismäßige Wertschätzung kann keinem Filmemacher gebühren. Ganz frei von Geschmacksfragen ist Tarantino der meistüberschätzte Filmemacher der Gegenwart, auch wenn das letztlich egal ist.

So wenig mainstreamig seine Arbeiten mit Blick auf ihren Vorbilderfundus, die Gewalttätigkeit, die Experimentierfreude unächst wirken mögen, sind sie doch auf seltsame Art Massenunterhaltung. Nur einmal, scheint es, geriet das System Tarantino außer Kontrolle. Death Proof – Todsicher, die abgekoppelte Hälfte vom Projekt Grindhouse, fiel bei Kritik und Peergroup gleichermaßen durch. Es ist sein bester Film, der einzige jedenfalls, den ich wirklich liebe. Das hat viele Gründe, am Ehesten trifft es ein Zitat von moviepilot-Nutzer Kubrick_obscura: "Ein Film mit Null-Story und Abziehbildchen-Charakteren, dem es nur um die perfekte Pose geht. Der ehrlichste Tarantino-Film!".

Die perfekte Pose, der ausgestellte Tarantinosche Manierismus, dem es vor allem darum geht, die alle gestalterischen Ebenen bestimmende Lässigkeit seiner Filme zu wahren, ist das Herz dieses Kinos. Ein Kino natürlich, das so handwerklich kompetent wie geschickt, so unvergleichlich abgebrüht wie cool ist, aber auch selten über das Niveau einer souverän inszenierten Lieblingsfilmliste reicht. Ich möchte mich übrigens nicht ausnehmen vom Personenkult – auch ich hielt Pulp Fiction einmal leichtgläubig für des Kinos größten Wurf. Deshalb schmückt einer der schönsten Rollennamen der 1990er den Titel eurer Lieblingskolumne. Alles Gute zum 50. Geburtstag, Quentin Tarantino.

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