Kill Bill hat die beste Tarantino-Szene aller Zeiten – doch der Action-Meister führte gar nicht selbst Regie

01.11.2022 - 08:45 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
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Quentin Tarantino drehte viele Szenen, die Filmgeschichte geschrieben haben. Doch für die beste Szene seiner Filmografie saß jemand anderes auf dem Regiestuhl.

Quentin Tarantino ist ein Meister seines Fachs, für manche gar ein Genie. Es gibt nur wenige Regisseure, deren Handschrift so leicht erkennbar ist. Expressive Gewalt, überstilisierte Inszenierung, teils ergreifende, teils belanglose aber stets großartige Dialoge. Das macht ihn zu einem der einflussreichsten Autorenfilmer der letzten 30 Jahre.

Die künstlerische Freiheit verleiht den Filmen von Quentin Tarantino das bestimmte Etwas. Drehbuch, Regie und Schnitt – alles läuft unter der kreativen Leitung des Mannes mit dem markanten Kinn zusammen. Dadurch harmonieren die verschiedenen Elemente so gut miteinander und daraus ergibt sich wiederum der Tarantino-Stil.

Umso erstaunlicher, dass die Szene, die den Geist Tarantinos atmet wie vielleicht keine andere, gar nicht von dem Autorenfilmer selbst stammt. Er gab sie lediglich in Auftrag und baute sie schließlich in Kill Bill: Volume 1 ein.

Die O-Ren-Sequenz aus Kill Bill ist eine Offenbarung

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Als damals Dreizehnjähriger sah ich auf ProSieben zum ersten Mal Teil 1 von Tarantinos Rache-Epos. Bereits nach seiner Einstiegssequenz hatte mich der Film in seinen Bann gezogen. Doch nach etwa einem Drittel passierte etwas, das meine Kinnlade auf den Boden krachen ließ: Ein Anime unterbricht das Realfilm-Geschehen, um die blutige Originstory der Figur O-Ren zu erzählen.

Nie wieder sollte eine Tarantino-Szene mich so sehr aus den Socken hauen. Vielleicht war es der Umstand, dass ich diesen Stilbruch nicht erwartet hatte. Vielleicht lag es an meiner Schwäche für blutige Animes wie Hellsing oder Berserk. Egal was es war, einen solchen Wow-Effekt erlebte ich seither nur noch selten.

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Wer ist für die Anime-Szene aus Kill Bill verantwortlich?

Die Sequenz entstand als Auftragsarbeit des aufstrebenden Anime-Regisseurs Kazuto Nakazawa innerhalb des japanisches Animationsstudios Production I.G. Der ansonsten so um kreative Kontrolle bemühte Tarantino hatte keine Erfahrung als Anime-Regisseur, weshalb er die Szene auslagerte. Als Inspiration  für die eingeschobene Sequenz soll ihm der indische Thriller Aalavandhan von Kamal Haasan gedient haben.

Für den zu großen Teilen in Japan spielenden Kill Bill bot es sich an, den Abschnitt in Anime-Form zu gestalten. Tarantino, von dem es heißt, er sei ein großer Anime-Fan, insbesondere von Ghost in the Shell und Blood: The Last Vampire, beauftragte gezielt  das für diese beiden Filme verantwortliche Studio Production I. G., um O-Rens Geschichte für ihn zu animieren.

Was macht die Sequenz so gut und so typisch Tarantino?

Kreative Kontrolle abzugeben, ist zwar riskant. Der Schritt hat sich hier aber voll ausgezahlt, da Tarantino der O-Ren-Sequenz seinen eigenen Stempel aufdrücken konnte. Etwa mit der Wahl der Musik. Der Soundtrack ist ein Zusammenschnitt zweier Lieder, die für zwei Italowestern geschrieben wurden: I lunghi giorni della Vendetta (1967) von Armando Trovajoli und Il grande Duello (1972) von Luis Bacalov. So verbindet der Regisseur gleich zwei seiner großen filmische Einflüsse: Anime und Spaghetti-Western. Bild und Musik sind perfekt aufeinander abgestimmt und erzielen eine ganz besondere Wirkung.

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Die Entscheidung, in der Mitte des Films einen stilistischen Bruch zu vollziehen, ist bereits mutig. Aber auch die Szene selbst ist genial. Wir erfahren die Hintergrundgeschichte der amerikanisch-japanisch-stämmigen O-Ren Ishii (Lucy Liu), die sich später zum Oberhaupt der Yakuza hocharbeiten sollte. Sie ist eine der fünf Personen, die auf der Todesliste von Uma Thurmans Beatrix Kiddo stehen.

Wir sehen, wie O-Ren als kleines Kind, versteckt unterm Bett, die brutale Ermordung ihrer Eltern mit ansehen muss. Die Kamera wechselt dabei gekonnt zwischen hektischen und ruhigen Einstellungen und vermittelt so zusammen mit der übertriebenen und stellenweise unrealistisch wirkenden Gewalt ein gewisses Chaos. Wir nehmen das Geschehen durch O-Rens Augen wahr, durch die Augen eines verstörten Kindes, das das Gesehene nur mühsam verarbeiten kann.

Warum die Kill Bill-Szene im Anime-Stil gehalten werden musste

Wir sehen und spüren O-Rens Angst, ihren Schrecken, ihren Schmerz. Der Anime-Stil sorgt für ein überzeichnetes Level an Gewalt und Emotionen. Er ist nicht realistisch, das soll es aber auch nicht sein. Der Überfall ist so dargestellt, wie ein verängstigtes Kind ihn wahrnimmt. Der Vater wirkt heldenhaft, die Yakuza diabolisch.

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Die Szene ist auch deshalb bemerkenswert, da der Gewalt durch den gezeichneten Stil eine völlig neue Ästhetik verliehen wird. Tun wir uns verständlicherweise schwer, die Schönheit in literweise spritzendem Blut zu erkennen, wirkt dies bei einem Anime anders. Die Ästhetik ergibt sich hier aus den Farben, den Kontrasten und der Verwaschung der Oberflächen, gepaart mit der melancholischen Musik. Durch den abstrahierenden Effekt des Gezeichneten können wir uns besser von der Gewalt distanzieren, als es in einem Realfilm der Fall wäre.

Regisseur Kazuto Nakazawa schafft zudem eine beeindruckende und vielschichtige Bildsprache, die nicht erzwungen wirkt. Wenn das Blut ihrer Mutter auf O-Rens Gesicht landet und sich ein Blutstropfen mit einer Träne vermischt, werden viele Emotionen geweckt: Wir sehen Schrecken, Angst, Verzweiflung, Wut und Tragik, aber auch Schönheit. In einem Realfilm würde sich dies so wohl nicht transportieren.

Die Szene ist das Ergebnis von Tarantinos wichtigster Fähigkeit

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Auch wenn die Szene nicht von Tarantino selbst stammen mag, zeigt sie doch auf, wo seine einzigartigen Fähigkeiten liegen. Der Regisseur hat stets eine klare Vision und schreckt nicht davor zurück, diese mit unkonventionellen Methoden auf die Leinwand zu bringen. Es ist beeindruckend, wie er vermeintlich entgegengesetzte Einflüsse miteinander vermischt und dabei der Wirkung seiner Szenen ein ganz neues Gewicht verleiht.

Gerade weil Tarantino einen so eigenen Stil hat, funktioniert sein Anime-Experiment. Er mixt in allen seinen Filmen unterschiedliche Einflüsse miteinander, um etwas Neues zu schaffen. Die Anime-Sequenz unterstreicht deshalb wie keine andere, wer Quentin Tarantino ist und was ihn auszeichnet: Offenheit, Kreativität und Mut!

True Romance von Quentin Tarantino und Tony Scott im Podcast

Im FILMSTARTS-Podcast Leinwandliebe spricht Moderator Sebastian und die FILMSTARTS-Redakteure Björn und Pascal über True Romance von Tony Scott und kommen dabei auch auf das Schaffen des Actionregisseurs zu sprechen - inklusive umfangreichen Ranking! Welchen Film das Trio von Tony Scott am liebsten hat und was sie von "True Romance" halten, erfahrt ihr im Podcast.

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