Der Knigge sagt - Fresst euer Popcorn zuhause!

27.10.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Lecker Film?
Sony Pictures/QFT2011/moviepilot
Lecker Film?
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Wäre der Ärger auf einer einsamen, von der Außenwelt abgeschirmten Insel wohl geringer? Wahrscheinlich nicht, irgendwas würde auch da stören. Dann bleiben wir einfach hier und lassen Dampf ab.

In letzter Zeit gibt es genügend Gründe, ungläubig den Kopf zu schütteln. Warum sind alle so schockiert, dass Lance Armstrong mit so ziemlich allem gedopt hat, was er bekommen konnte? Weshalb so überrascht, dass Paul ‘Sido’ Würdig gewalttätig ist? Weswegen diese Verwunderung ob der raschen Entlassung von Felix Magath beim VfL Wolfsburg? War und ist alles schließlich völlig klar. Nicht ganz so normal ist hingegen ein Ansinnen der Knigge-Gesellschaft.

Im Aufreger der Woche geht es diesmal um den Vorschlag eines Popcorn- bzw. Essensverbots im Kino.

Kino-Mampf
Filme gucken kann so schön sein: sich gemütlich vor den heimischen Fernseher hocken, eine schicke Blu-ray in den Player legen und ab geht das Vergnügen. In der heutigen Zeit mit riesigen Flatscreen-Apparaten – bei manchen so überdimensioniert, dass durch den geworfenen Schatten der halbe Raum im Dunkeln liegt – ist der Unterschied zum Kino gar nicht mehr so groß. Und doch zieht es uns alle immer wieder in die Lichtspielhäuser. Nicht nur, weil dort die so geliebten Filme am Frühesten laufen, sondern auch der Atmosphäre wegen. Kennen wir nicht alle die knisternde Spannung die aufkommt, sobald Platz genommen wurde? Überkommt uns nicht eine Art Aufregung und Ungeduld, wenn uns Zigaretten, Eis und lokale Dienstleistungen in Werbespots angepriesen werden, wir aber nur dem Filmereignis entgegenfiebern? Und ist es nicht ein beinahe magischer Moment, wenn das Licht gedimmt wird und die Vorführung beginnt? Das macht Spaß, das ist ein Erlebnis, da kommt Freude auf. Doch wenns grad richtig gemütlich ist, geht es auch schon los: raschel, raschel, kau, schmatz, mampf. Einige Kinobesucher essen während eines Films solche Unmengen, als ob sie sonst bei Brot und Wasser im Keller eingesperrt wären. Die Deutsche Knigge-Gesellschaft will diesem Treiben nun Einhalt gebieten und Popcorn aus dem Kino verbannen.

Snacks auf dem Index
Kein Popcorn mehr im Kino?! Der Aufschrei war natürlich groß. Für viele Menschen ist der Kauf von Popcorn vor dem Film ein Ritual, eine Einstimmung auf das bevorstehende Erlebnis. Ohne Popcorn wäre es einfach nicht das Gleiche. Der Vorstoß der Knigge-Gesellschaft ist für einige deshalb gleichbedeutend mit einer emotionalen Entwertung des Kinobesuchs. Der Wein schmeckt im Urlaub besser, das Popcorn während eines Kinofilms – sehr zur Freude der Kinobetreiber, die einen Großteil ihrer Einnahmen durch den Verkauf von Getränken und Schleckereien bestreiten. Es sei ihnen gegönnt. Und gegen Popcorn (oder Eis) ist grundsätzlich nichts einzuwenden, auch wenn in Großbritannien und anderen Teilen der Welt der Kino-Snack Nummer 1 aufgrund seines starken Geruchs und seiner Angewohnheit, sich vollkommen selbständig und ohne Zutun des Käufers zwischen und unter die Sitze zu mogeln, aus ein paar Kinos verbannt wurde. Was wirklich stört – und es gilt zu vermuten, dass die Knigge-Gesellschaft genau darauf hinaus wollte -, ist das mittlerweile ausufernde und für ein Kino unpassende Angebot an Speisen. Wer es einmal neben einem Menschen aushalten musste, der während eines Films eine Packung (!) Chips oder eine penetrant riechenden Schale Nachos mit Käse verdrückt hat, der weiß, wie hauchzart der Grat zwischen Contenance und rasender Wut ist.

Auf’s Wesentliche konzentrieren
Wie angenehm dagegen das von Hause aus leise Popcorn sein kann. Ein gelegentliches Rascheln der Tüte lässt sich durchaus verschmerzen. Der Schweizer Filmwissenschaftler Vinzenz Hediger verweist sogar auf eine komplettierende Komponente des Essens während des Filmgenusses: Neben dem Sehen und Hören werden auch noch die Sinne Schmecken und Riechen befriedigt. Ob diese These nun stimmt oder nicht, sei mal dahingestellt. Überraschend ist dabei nur, dass sich Menschen daheim auch keine Schubkarre voll Süßkram zum Filmgucken bereitstellen, schon gar nicht, wenn sie nicht alleine sind. In der Anonymität des Kinos scheint aber jede Unart erlaubt, egal ob es sich um geräuschintensives Essen oder nicht enden wollendes Getuschel handelt.

Die Reduzierung der Forderung der Knigge-Gesellschaft aufs Popcorn wird dem eigentlichen Anliegen nicht gerecht. Es entsteht immer mehr der Eindruck, dass Kinos Fresstempel mit angeschlossenem Filmbereich sind. Kinobetreiber meinen, durch ein breites Angebot höhere Gewinne einzufahren. Dass zahlreiche Leute keinen Bock darauf haben, zwischen Cola-Schlürfern und Pringles-Mampfern die Hälfte eines Films zu versäumen, entgeht ihnen allerdings. Da dadurch die einmalige Kinoatmosphäre empfindlich gestört wird, werden heimische Alternativen immer verführerischer. Dass die Knigge-Gesellschaft gleich mit möglichen Verboten und „popcornfreien Zonen“ ankommt, ist natürlich etwas zu viel des Guten. Aber gleich den dicken Otto loszumachen und vom Untergang der Kinokultur zu schwadronieren, wird der Sache auch nicht gerecht, denn der Knigge-Kern enthält einiges an Wahrheit. Denkt daran, wenn euch beim nächsten Kinobesuch wegen des ganzen Geschmatzes und Geraschels vor Ärger Pusteln wachsen.

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