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Das Grauen hinter Winkie's oder: Wer ist hier eigentlich das wahre Monster?

19.10.2016 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Mulholland Drive
Concorde/moviepilot
Mulholland Drive
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Was sind eigentlich die gruseligsten Monster? Sind es außerirdische Wesen mit vielen Armen und messerscharfen Klauen? Oder etwa eiskalte blutrünstige Killer mit Masken und Kettensägen? David Lynch zeigt uns in seinem Meisterwerk "Mulholland Drive": Die furchteinflößendsten Dämonen schlummern in dir selbst.

Zwei Männer sitzen sich gegenüber in einem Diner, einem Winkie's um genau zu sein und zwar auf dem Sunset Boulevard. Es ist wichtig, dass sie genau in diesem Diner sitzen, denn einer von ihnen, Dan, hatte einen Alptraum.

Mulholland Drive

"Es ist schon der zweite", beginnt Dan zu schildern. "Aber beide waren gleich". In jenem Traum befindet er sich ebenfalls hier, genau wie sein Bekannter, und beide haben Angst. Eine schreckliche, lähmende Angst. Und dann begrifft Dan auch woher diese Angst kommt. Da ist jemand. Eine Präsenz. Direkt hinter Winkie's. Er kann das Wesen, oder was auch immer es ist, durch die Wand hindurch sehen, er sieht sogar sein Gesicht, ein Gesicht, dem man lieber nicht außerhalb eines Traumes begegnen will.

"Du kamst also her, um zu sehen ob es da ist", entgegnet der andere Mann auf die Schilderung. Dan stimmt ihm zu. "Um dieses schreckliche Gefühl loszuwerden." Daraufhin machen die beiden sich auf den Weg hinter das Diner. Sie steigen eine Treppe hinunter in einen kleinen Hof. Am Endes des Hofes, dort muss es sich befinden, in der Hintergasse, verdeckt von einer Mauer. Langsam gehen sie darauf zu. Mit jedem Schritt wird Dan angespannter, Schweiß fließt ihm über die Stirn. Am liebsten würde er einfach wieder umdrehen und ins Diner zurückgehen, die Sache einfach vergessen. Aber er kann doch vor seinem Bekannten jetzt keinen Rückzieher machen. Also kommt er der Gasse immer näher, die Angst ist inzwischen fast unerträglich geworden. Dabei weiß Dan ja eigentlich, dass dort gar nichts sein kann. Es war ein Traum, mehr nicht. Nur ein blöder Traum. Er geht weiter, bereit hinter die Mauer zu blicken, in die Gasse hinein. Und plötzlich...

Mulholland Drive

Buh.

Mulholland Drive

Da hat uns der gute Lynch aber ganz schön ausgetrickst. Nicht nur Dan erleidet während dieser Szene einen Herzinfarkt. Ich weiß noch genau wie ich damals, als ich Mulholland Drive zum ersten Mal gesehen habe, wortwörtlich fast vom Stuhl gekippt wäre. Ist man anfangs noch relativ davon überzeugt, dass sich hinter der Mauer doch gar nichts befinden kann, steigt die Spannung langsam immer und immer mehr. Irgendwann will man eigentlich gar nicht mehr wissen, ob dort nun etwas ist oder nicht, man muss sich geradezu zwingen die Augen auf den Bildschirm zu richten. Und wenn sich das Grauen dann schlussendlich zeigt, in Form einer dreckigen Teufelsfratze, erwischt einen das trotz allem eiskalt. Definitiv einer der am besten umgesetzten Jumpscares, die ich je gesehen habe.

Doch worum handelt es sich bei diesem Wesen überhaupt, das dem Zuschauer da so verliebt in die Augen schaut? Ist es ein Dämon? Ein Ghul? Der Leibhaftige persönlich? Im Abspann von Mulholland Drive wird es lediglich als "Bum" gelistet, die englische Bezeichnung für einen Landstreicher oder Obdachlosen. Und wie wir später im Film erfahren, handelt es sich bei ihm tatsächlich nur um einen ganz normalen Tippelbruder, der sein Lager in der Gasse hinter Winkie's aufgeschlagen hat und von dem eigentlich gar keine Gefahr ausgeht. Wieso habe ich mir nun also ausgerechnet diesen Kerl für die Aktion Lieblingsmonster ausgesucht? Um das zu beantworten müssen wir etwas tiefer in die Bedeutung der ganzen Szene für Mulholland Drive eintauchen.

(Ab hier werden wichtige Details aus der Handlung sowie das Ende von Mulholland Drive behandelt. Storypuristen seien also gewarnt vor SPOILERN )

Mulholland Drive

Am Ende des Films stellt sich heraus, dass jene Diner-Szene lediglich Teil eines Traums der erfolglosen Wannabe-Schauspielerin Diane Selwyn war. Nachdem Diane von ihrer Liebhaberin Camilla zutiefst verletzt und gedemütigt wurde, entscheidet sie sich dazu einen Auftragskiller anzuheuern um Camilla aus Rache zu ermorden. Sie trifft sich mit dem Killer im Winkie's Diner um den Deal abzuschließen und jener zeigt ihr einen blauen Schlüssel. Diesen wird sie am "vereinbarten Ort" finden wenn der Auftrag ausgeführt wurde. Es ist nicht das erste Mal, dass wir in Mulholland Drive einen Schlüssel dieser Art zu Gesicht bekommen. Am Ende des Traumabschnittes öffnet er die blaue Box, welche den Übergang vom Traum zur Realität darstellt. Und genau diese blaue Box sehen wir auch später wieder: In der Hand des Obdachlosen hinter Winkie's. Dies erklärt warum Dan in Dianes Traum so eine riesige Angst vor ihm hatte. Die Hintergasse von Winkie's ist der vereinbarte Ort. Der gigantische Schock, den wir als Zuschauer in der Szene mit Dan erleben, ist der Schock den Diane erlebte als sie den Schlüssel fand und somit auch die Bestätigung von Camillas Tod bekam. Im Traum schiebt sie dieses Übel auf ein furchteinflößendes Monster, doch in der Realität ist alles allein ihre Schuld. Dadurch, dass er während der Offenbarung des Mordes zugegen war repräsentiert der Obdachlose ihre eigenen dreckigen Sünden.

Verfolgt von der Manifestation ihres schlechten Gewissens in Form eines dämonisch lachenden alten Ehepaars (wahrscheinlich ihre Eltern) setzt Diane dann schlussendlich ihrem Leben ein Ende. In einer Wolke aus Nebel erscheint ein letztes Mal der Obdachlose, das schmutzige Gesicht der Schuld. Blasse Bilder von Diane und Camilla leuchten auf zusammen mit einem der wohl tragisch-schönsten Scores aller Zeiten. Es ist eine glückliche Diane, die hier dargestellt wird, naiv und unschuldig. Im Hintergrund sehen wir Aufnahmen von Los Angeles bei Nacht. Ist dies etwa das wahre Monster von Mulholland Drive? Die vermeintliche Stadt der Engel, die durch ihren Strudel aus Sex und Intrigen ein naives junges Mädchen zu einer Mörderin gemacht hat? Die Antwort darauf wird allein dem Zuschauer überlassen. Und genau das macht dieses Monster so genial.

Mulholland Drive


Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Sponsoren der Aktion Lieblingsmonster:

Aktion Lieblingsmonster


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