Das Fenster zum Hof - Menschliches Leben in seiner Vielfalt

25.07.2011 - 08:50 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Das Fenster zum Hof
Paramount Pictures/moviepilot
Aktion Lieblingsfilm: Das Fenster zum Hof
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Das Fenster zum Hof von Alfred Hitchcock ist ein echter Klassiker. Ein moviepilot User hat über dieses Meisterwerk einen Text geschrieben und diesen für die Aktion Lieblingsfilm eingereicht.

Ein Innenhof. Jazz-Musik der 50er Jahre, kurze Blicke auf Bewohner der kleinen Apartments, die sich in dem großen Backsteingebäude befinden. Mehr braucht Alfred Hitchcock nicht, um den Zuschauer in eine Welt zu entführen, die zu den magischsten und fesselndsten gehört, die der Meister der Suspense jemals erschaffen hat. Die Kamera bewegt sich rückwärts in das Wohnzimmer James Stewarts. Die Hauptfigur sitzt in einem Rollstuhl. Er schläft. Die Kamera fährt weiter zurück, der Zuschauer erblickt das Gipsbein, auf dem jemand einen Spruch und den Namen des Verletzten notiert hat. Man dringt weiter in die kleine Wohnung vor. Der Blick fällt auf Fotos an den Wänden, Fotoapparate auf dem unordentlichen Tisch, einen Stapel Magazine.

In einer einzigen Einstellung stellt der Regisseur die Hauptfigur L. B. Jeffries vor, in nur wenigen Sekunden erfährt man alles über diesen Charakter, der als Fotograf für ein Magazin tätig ist, sich sein Bein gebrochen hat und nun seine Tage damit verbringt, aus dem Fenster zu schauen oder zu schlafen. Fast vierzig Grad herrschen in diesem Hinterhof, den man für die nächsten 110 Minuten nicht mehr verlassen wird. Sechs Wochen ist es her, als Jeff den Unfall hatte, der ihm das gebrochene Bein einbrachte. Er hat jedoch noch ein anderes Problem als dieses Handicap. Er plagt sich damit, dass seine Freundin Lisa (Grace Kelly) ihn heiraten möchte. Jeff sträubt sich dagegen, die Unterschiede sind zu groß, sie kann ihn unmöglich auf seinen Fotoreisen begleiten. Er flüchtet sich aus seinen privaten Problemen mittels Voyeurismus, indem er auch den vermeintlichen Mord an einem seiner Nachbarn zu beobachten glaubt.

Fasziniert von der Vielfalt der Menschen, die um ihn herum mit sich selbst kämpfen, entflieht er seiner Welt, studiert die Handlungen der Charaktere, von denen jeder in seiner eigenen Gefängniszelle in scheinbar ewiger Isolation gefangen ist.

Unter der humoristischen Oberfläche in ironischen Gesprächen zwischen L.B. und seiner Pflegerin verstecken sich sensibel gestrickte Dramen, die einen fesseln und berühren. Hitchcock braucht dafür keine Worte. Er zeigt die einsame Dame im Erdgeschoss, wie sich schminkt und ankleidet, um einen Mann zum Abendessen zu empfangen. Als sie schließlich ihre Tür öffnet, ist niemand da. Sie unterbricht ihr Spiel nicht. Sie gestikuliert liebevoll mit ihrem imaginären Partner, setzt sich mit ihm zu Tisch. Ehe sie schließlich versucht, sich das Leben zu nehmen. Der Komponist auf der anderen Seite des Hinterhofs hat eine Schaffenskrise, er ist im Begriff, einen neuen Schlager zu komponieren. Abends wischt er betrunken und wutentbrannt die Notenblätter vom Flügel.

Der Zuschauer wird zum Voyeur, er studiert die Fassaden der Gebäude und die Fassaden der Menschen, die hinter ihnen zu Hause sind. Man gesellt sich zu James Stewart, nimmt seine Position ein und versetzt sich in seine Person. Wortlos verbindet er visuelle Metaphern, bringt kürzlich gesehene Szenen aus dem Leben verschiedenster Menschen in Zusammenhang. Man erkennt sich in ihnen wieder, man erlebt den Frust, die Verzweiflung, aber auch die Freude und die Hoffnung der uns anfangs fremden Personen noch einmal erneut – all das, was man selber bereits erlebt hat, findet einen Spiegel in den unterschiedlichsten Charakteren der Bewohner dieses Gebietes. Auf diese Weise werden die Figuren um den Fotographen Jeff zu Vertrauten.

Es hat etwas Traumhaftes, Magisches. Hitchcock, der brillante Techniker, spielt mit Kameraeinstellungen, Objektiven und Beleuchtungen. Im Hintergrund, während Kelly und Stewart am Fenster sitzen, ist der Himmel Manhattans in ein kräftiges Rot getaucht, das der Szenerie beinahe eine surreale Aura verleiht. Der Kriminalfall in Das Fenster zum Hof rückt dabei in den Hintergrund. Es geht um menschliche Beziehungen, Isolation, Schuld und Voyeurismus. Man möchte wissen, was hinter den Wänden der Nachbarn vor sich geht. Der Fotograf Jeff gibt seinen Bedürfnissen nach, er hat die Zeit dazu. Und es ist ein faszinierender Blick, der sich ihm da offenbart, es ist das menschliche Leben in all seiner Vielfalt.


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