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Conchita Wurst - Conchita

27.03.2016 - 15:59 Uhr
Wie ein Phoenix, frisch aus der Asche
Sony
Wie ein Phoenix, frisch aus der Asche
9
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Der nötige Schub Selbstbewusstsein mit dem luxuriösen Maximum an Ohrwurmfaktor

Jahr: 2015

Genre: Pop

Singles: Rise Like a Phoenix, Heroes, You are Unstoppable, Firestorm, Colours of Your Love

"The message is clear and understood", so Tom Neuwirth in-character als sein mittlerweile wesentlich bekannteres Alter Ego Conchita Wurst auf dem Song "Put that Fire Out". Dass die Grenzen zwischen der weiblichen Kunstfigur und dem Mann, der sie verkörpert und ins Leben gerufen hat, immer weiter verschwimmen, ist bei einem derartigen Erfolg kaum verwunderlich. War Tom Neuwirth einer von vielen Kandidaten des inoffiziellen österreichischen DSDS-Ablegers Starmania (wobei der Ruf der öst. Variante deutlich besser ist als jener der Bohlen-Parade) hat sich seine Persona unabhängig davon zuerst zur österreichischen Medienpersönlichkeit, und später europaweit, aber vor Allem in seiner Heimat zum Symbol für Toleranz, Akzeptanz und Individualismus entwickelt. Wo manch einer zuvor noch von der "Transe mit Bart" scherzte, hat sich Conchita spätestens seit ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest 2014 zu eine von Ösilands respektiertesten und ernstgenommensten Stars entwickelt. Sie überzeugte neben ihrer Musik und dem gelungenen Gesang auch durch ihr öffentliches Auftreten: nicht nur überraschend ernst (sofern es der Kunstchara erlaubt), sondern vor Allem überaus intelligent, gebildet und engagiert. Das war mehr als PR, das war ein gesetztes Zeichen. Auch war es gut, dass man nicht direkt nach ihrem Erfolg mit "Rise Like a Phoenix" ein Album hinterherwarf, sondern sich noch ein Jahr Zeit ließ. Es war riskant, aber ihrem Siegeszug tat es keinen Abbruch (im Neuwirths Heimatland ging das Album innerhalb einer Woche Platin) - das fertige Produkt wurde nur qualitativ hochwertiger.

Auf "Conchita" befinden sich neben dem ESC-Siegertitel noch 11 weitere Songs, welche von diversen Songwritern (nur auf 2 Tracks ergriff Neuwirth selbst die Feder), Produzenten und Komponisten stammen, die das Maximum an Luxus, Selbstvertrauen und Guilty Pleasure-Faktor zusammenpackten und Conchita Wurst einige Glanzstücke zu interpretieren gaben, die ihrer Person schmeicheln. Dabei sind die Lieder, wie auch Wursts Auftreten selbst, ein ganz klares und überdeutliches Statement: sei, wie du bist, lebe dein Leben, genieße es - du bist stark und du lässt dich jetzt gefälligst nicht unterkriegen. Alles Werte und Botschaften, die löblich und sogar dringend notwendig sind. Zum Zeitpunkt, als das Album veröffentlicht wurde (etwa vor einem Jahr) noch auf ihrem Höhepunkt, ist die Toleranz durch etwaige Krisen und Vorfälle etwas geschädigt worden - umso wichtiger, sie nun wieder aufzubauen, und vielleicht geht dies über Persönlichkeiten wie Conchita Wurst, die sich entgegen der Meinung vieler nicht nur für LGBT-Rechte einsetzt, sondern universell für linksliberale Ideale steht.
Auf "Conchita" fällt kein einziges Mal das Wort "gay", genauso wenig wird Homosexualität explizit angesprochen (auf dem Song "Where Have All the Good Men Gond" werden Männer besungen, aber die Kunstfigur Conchita ist ja auch weiblich). Viel wichtiger ist es den Songs, generell für Andersartigkeit einzustehen. Und das hat nicht zwangsläufig etwas mit Sexualität zu tun, es kann auch Lifestyle, Identität und Glauben einschließen. Conchitas Werte grenzen niemanden aus - "You are Unstoppable".

Musikalisch bietet das Album die volle Palette an dem, was man mit moderner Popmusik machen kann. Da sind pompöse, überproduzierte Fanfaren dabei, Swing-Elemente, Trapmusik, Dubstep-Drops, Housebeats, Powerballaden, orientalische Einflüsse, Kitsch Kitsch und Kitsch. Ein ungemein abwechslungsreiches Album, welches sich trotzdem zu einem großen Ganzen zusammenfügt. Hier äußert sich großer Variantenreichtum, wobei jedem individuelle Lied ein Maximum an Aufmerksamkeit geschenkt wurde, sodass es auf den Punkt produziert, auf ohrwurmigste komponiert und bestmöglich eingesungen wurde. Dabei gelingt es Neuwirth, durchgehend eine natürliche Weiblichkeit auszustrahlen, sodass man zwischenzeitlich vergisst, dass eigentlich ein Mann die Stimme der Sängerin übernimmt (lediglich in der recht tief gesungenen Bridge von "Up for Air" kommt man kurzzeitig ins Grübeln, andererseits wird eine tief singene Frau auch kaum anders ertönen).
Da spritzt der Glamour teilweise aus allen Ecken und mehr Melodramatik gibt es nicht einmal in Douglas Sirk-Filmen, aber genau so muss ein Conchita Wurst-Album auch klingen. Insbesondere ist bewundernswert, wie selbstverständlich und leicht mit den groß und verschwenderisch angelegten Arrangements umgegangen wird. Der große Siegeszug von Wurst bestand ja auch aus der Fähigkeit, trotz gewagter Ästhetik nie ins Lächerliche abzudriften, sondern seriös und bedacht in Erscheinung zu treten. So sicherte sie sich die Herzen der österreichischen Massen und so gelingt es ihr auch, bei der musikalischen Karriere zu punkten.

"Conchita" ist ganz viel Spaß mit ganz einer ordentlichen Portion Selbstvertrauen und etwas geriebenem Blattgold oben drauf. Alles schreit danach, das Selbstwertgefühl zu bestärken und Kraft zu schenken - und das auf eine ganz eigene, individuelle Art und Weise. Conchita Wurst begann als musikalisches Projekt und hat sich zum Allround-Phänomen entwickelt. Ich kann guten Gewissens behaupten, dass man sich nicht lumpen ließ, trotzdem das Meiste aus ihrer Gesangskarriere herauszuholen. "Conchita" bietet durchgehend Highlights, die so stolz und selbstbewusst divers und unterschiedlich sind, wie Conchita die Welt gerne sehen will.

Tacklist:
1. You are Unstoppable
2. Up for Air
3. Put that Fire Out
4. Colous of Your Love
5. Out of Body Experience
6. Where Have All the Good Men Gone
7. Somebody to Love
8. Firestorm
9. Pure
10. Heroes
11. Rise Like a Phoenix
12. The Other Side of Me

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