Epischer Kriegsfilm über Rettungsaktion im Atlantik verspricht 120 Minuten Paranoia auf engstem Raum – doch das Ergebnis ist bizarr

31.08.2023 - 16:24 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
ComandanteRai Cinema
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Der Kriegsfilm Comandante eröffnet die Filmfestspiele von Venedig. Er basiert auf einer wahren Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, doch wer einen konventionellen U-Boot-Film erwartet, wird sein meerblaues Wunder erleben.

Der Tod lauert hinter jedem stählernen Zentimeter des U-Boots Cappellini, das im Oktober 1940 Kurs auf den Atlantik nimmt. Es wird Geschichte schreiben, nicht mit einer Schlacht oder einer Rekordzahl versenkter Gegner. Vielmehr steht eine Geste der Menschlichkeit im Zentrum des Kriegsfilms Comandante, der die diesjährigen 80. Filmfestspiele von Venedig eröffnet.

Comandante bietet aber noch ein bisschen mehr als angestaubtes Historienkino. Um genauer zu sein: viel mehr.

Der Kriegsfilm erzählt die wahre Geschichte einer Rettungsaktion

Der derzeitige italienische Schauspiel-Comandante schlechthin spielt die Hauptfigur: Pierfrancesco Favino (Last Night of Amore) strahlt eine Autorität aus, die ihn als Polizisten- und Gangsterdarsteller prädestiniert. In dieses Figurenkabinett fügt sich U-Boot-Kommandant Salvatore Todaro ein. Der von Schmerzen geplagte, Yoga praktizierende Anführer ist so unverwüstlich wie sein schwerer Ledermantel.

Für Mussolinis Italien sticht er zur See und betont im Film seine Unabhängigkeit ("Ich bin kein Faschist, ich bin Seemann"). Letztere wird nach dem Beschuss eines belgischen Transporters auf die Probe gestellt. 26 Überlebende entkommen dem sinkenden Schiff. Soll er sie, wie es seine Befehle verlangen, dem Tod überlassen? Todaro entscheidet sich für das einzig Richtige. Doch dermaßen überladen mit Menschen, muss das Gefährt an der Oberfläche bleiben – auf dem Präsentierteller für die britische Flotte.

Dem Realismus von Das Boot oder dem reinen Spannungskino eines Jagd auf Roter Oktober entsagt Regisseur Edoardo De Angelis in der Adaption von Todaros wahrer Geschichte. Stattdessen legt er den Kriegsfilm als eine antike Sage zwischen Torpedos und Sonar an. Deren Kommandanten, Kapitäne und Matrosen wenden den Nebelschwaden und Frauen an Land den Rücken zu, sie werden immerwährend ins Meer gezogen, weil ihr kriegerisches Schicksal einen Pfand verlangt.

Im Drehbuch wird der ungewöhnliche Tauchgang mit Dialogen zwischen Pulp und Stammtischphilosophie ballastiert, die man ausschließlich mit der Synchronstimme von Bruce Willis im Kopf lesen sollte: "Plankton ist das Sperma des Meeres", lautet ein Satz. Ein anderer: "Er wird wie eine Mutter sterben: Während er seine Kameraden füttert." Würde das U-Boot nicht durch seinen Diesel-Elektromotor angetrieben, dann könnte man die geballte männliche Abgebrühtheit an Bord als Treibstoff abzapfen.

120 Minuten Paranoia und Platzangst

Unterdeck erfüllt Comandante trotz der gestelzten Drehbuchzeilen den Mindestanspruch ans submarine Genre: verschwitzte Paranoia und erdrückende Platzangst. Bei den Gefechten der Cappellini arbeitet De Angelis mit ein paar ungewohnten Ideen. Die Gegner erscheinen beispielsweise meist unscharf am Horizont, fast außerhalb des Bildes, was wiederum unsere Perspektive clever einschränkt. Zum Menschen wird der Gegner erst, wenn er – scharf gestellt – im Wasser um Hilfe schreit.

Jede Kampfstation des U-Boots wird als Bühne in Szene gesetzt, in deren Scheinwerferlicht das Individuum über sich hinauswächst. Der Filmkapitän will vielleicht nichts vom Faschismus wissen, aber in den zufriedenen Heldentoten zwischen Stahl und Kamerad rückt der Film in eine bedenkliche Nähe zu diesem Gedankengut.

So entwickelt sich Comandante zu einem grotesken Kriegsfilm-Erlebnis, ein Jahrtausende altes Epos auf einem fleckigen Bierdeckel. Einerseits will man dankbar sein, dass der Film mehr Ambition an den Tag legt als viele andere "wahre Geschichten" (besonders die der Sorte "Festivaleröffnungsfilm"). Andererseits will man nur den Kopf schütteln.

Comandante erscheint stellenweise wie eine Seemannsvariation von Zack Snyders 300. Das Drehbuch begreift Krieg als todbringendes Unglück, während die Kamera stilisiert, wie er das Beste aus den Menschen herausquetschen kann, und wenn es nur ihr Leben ist. Dieser Zwiespalt ist dem Kriegsfilm-Genre als Ganzes zu eigen, und ob Das Boot, Apocalypse Now, Der Schmale Grat oder Der Soldat James Ryan – jedes Filmteam muss seinen eigenen Weg vorbei finden. In Comandante wird über diese Kluft mit blendender Selbstverliebtheit hinweggefahren, was den Film im pathetischen Finale kentern lässt. Zumindest eines ist garantiert: Einen bizarreren Kriegsfilm gab es lange nicht mehr.

Ein letztes Bonmot, bevor wir uns von der Cappellini verabschieden:

Die Meerenge von Gibraltar ist so eng wie der Arsch eines Huhns.

Damit ist alles gesagt.

Comandante hat derzeit noch keinen deutschen Starttermin.

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