Auf welchen Filmkritiker-Typ steht ihr?

03.11.2010 - 08:00 Uhr
So viele Bleistifte, so viele Filmkritiker
schreib-schrift-blog.de
So viele Bleistifte, so viele Filmkritiker
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Filmkritiker dürfen sich immer hinter ihren Texten verstecken. Schließlich geht es nicht um sie, sondern um das, worüber sie schreiben. Doch jetzt wird es Zeit, dieser bei näherer Betrachtung ungeahnt vielseitigen Spezies mal den Spiegel vorzuhalten!

Der bald erscheinende vierte Teil der Scream-Reihe, wo mit viel Ironie die Regeln des Horrorfilms beleuchtet werden, macht es vor: Es ist wieder Zeit für etwas Selbstreflexion. Filmkritiker – was hat sich bei dieser Spezies in den letzten Jahren getan? Filmkritiker ist nicht gleich Filmkritiker, so viel ist klar. Die Spektren von Niveau, Fachwissen und selbst gewählten Schwerpunkten sind unendlich breit. Welche Kriterien muss man erfüllen, um sich Filmkritiker nennen zu dürfen? Ist man in dieser Hinsicht nachsichtiger geworden?

2008 löste ein in der Berliner Zeitung veröffentlichter Artikel von Josef Schnelle auf moviepilot rege Diskussionen aus. “Blogger zerstören die Filmkritik” hieß es. Dieses Thema ist heute nicht weniger aktuell als vor zwei Jahren. Jedoch soll das an dieser Stelle nicht nochmal aufgewärmt werden – Schnelle wurde trotz mancher nicht gerade unwahrer Erkenntnisse längst von allen Seiten an die Wand argumentiert. Nur ein Aspekt, der sich aus Schnelles Text ableiten lässt, soll hier näher beleuchtet werden: Genau wie die Grenze zwischen Original und Parodie, so verschwimmt auch die Grenze zwischen professionellen Filmjournalisten und leidenschaftlichen Amateuren immer mehr.

Wir wissen, dass die hochwertige Filmkritik längst nicht mehr an das Medium Print gebunden ist. Aber woran erkennt man dann die gute Filmkritik? Gar nicht, denn wo die einen auf den fundierten Kulturteil der Süddeutschen Zeitung schwören und bei der Verwendung von Umgangssprache in einem Filmblog die Nase rümpfen, kriegen andere Krämpfe beim Versuch, ersteres zu entschlüsseln und bevorzugen den lockeren und dennoch informativen Schreibstil der Film-Website ihres Vertrauens. Die oben erwähnten Spektren sind schließlich auch bei der Leserschaft sehr breit. Aber Filme gucken wollen alle, und meistens auch wissen, wie andere sie finden.

Da bleibt nur eines: Man sucht sich seinen liebsten Filmkritiker-Typ und lernt, ihn von den weniger bevorzugten Filmkritiker-Typen zu unterscheiden. Anbei folgt eine Liste der verschiedenen Unterarten der Spezies. (Meistens vereint ein Individuum, das Filme bespricht, mehrere Typen gleichzeitig in sich, nicht zuletzt auch weil einige miteinander verwandt sind, das darf man dabei nicht vergessen.) Freilich ist die Liste nicht todernst gemeint, überspitzt dargestellt und soll niemanden persönlich angreifen, aber vielleicht ist sie gut für einen Denkanstoß. Muss man studiert haben, worüber man da schreibt? Ist eine echte Leidenschaft für das Thema das einzig entscheidende oder geht alles in Ordnung, solange man nur ein Gespür für gekonnte Formulierungen hat?

Filmkritiker-TYP A: Die schwarze Seele
Der Filmkritiker mit der schwarzen Seele hat es sich zu Aufgabe gemacht, zu verreißen, was ihm unter die Nase kommt. Neue Ideen entlarvt er meist als dreisten Diebstahl oder plumpe Mittel zum Zweck. Zum Lachen geht er in den Keller, seine Urteile sind knapp, kalt, erbarmungslos und dabei so scharf formuliert, dass einem so schnell auch keine Widerworte einfallen. Wenn er mal mit einer hohen Wertungspunktzahl herausrückt, dann höchstens mal für einen asiatischen Independent-Streifen, den sowieso kaum jemand sonst sehen und verstehen wird.

Filmkritiker-TYP B: I like
„Mir hat der Film gefallen.“ Der I-like-Typ schreibt, was ihm am Film gefiel, und vielleicht auch mal, was er nicht so dolle fand. Warum, das ist nicht so wichtig. Argumentationen bedeuten für ihn unnötigen Stress, schließlich schreibt er aus Freude. Er geht davon aus, dass seine Leserschaft ihn als Mensch über seine Filmkritiken besser kennen lernen will. Und wer an seiner persönlichen Meinung nicht interessiert ist, muss sie ja auch nicht lesen, ganz einfach!

Filmkritiker-TYP C: Das Neutrum
„Entweder man liebt es oder man hasst es, oder etwas dazwischen. Es ist Geschmackssache. Ob man den Film gut findet, muss jeder selbst entscheiden. Die einen empfinden den Anfang / den Hauptteil / das Ende so, die anderen so. So ist das nun mal.“ Das Neutrum ist stets darauf bedacht, niemandem auf den Schlips zu treten und möchte den Film durch seine Kritik in all seinen Facetten präsentieren. Sich stark unterscheidende Wertungen der Konkurrenz irritieren es völlig und es versucht daraufhin, möglichst alle Lager anzusprechen. Ein eigener Standpunkt geht dabei flöten.

Filmkritiker-TYP D: Narziss
Der Narziss-Typ aalt sich in seinen eigenen Texten. Mit Begriffen wie „redundant“ und „Œuvre“ ist er aufgewachsen – er kennt die kühnsten Fremdwörter, erregt sich an verschachtelten Satzkonstruktionen und scheut sich auch nicht, das zu zeigen. In seinen Filmkritiken schwelgt er in ausführlichen Inhaltsangaben und nimmt jede vermeintliche Metapher, die er dank seiner unglaublichen Beobachtungsgabe im Film entdeckt, als Anlass für eine leidenschaftliche, eigene Interpretation. Die Intention im tiefsten Innern des Regisseurs hat er erkannt, bevor sie dem Regisseur selbst bewusst wurde. Um seinen Schreibstil ausleben zu können, hält sich der Narziss-Typ verständlicherweise weitgehend abseits vom aktuellen Mainstream-Kino auf.

Filmkritiker-TYP E: Der Provokateur
„Titten“, „ficken“ und ähnliche Wörter tippt er ohne mit der Wimper zu zucken. Und wenn ein Film scheiße oder auch saugeil ist, dann schreibt er das selbstverständlich auch genau so! Dinge müssen für ihn beim Namen genannt werden. Meinungen, die nicht seiner entsprechen, sieht er als Herausforderung. Der Provokateur testet mit seinen Formulierungen gerne Grenzen aus und bringt immer wieder richtig fiese Kommentare und Seitenhiebe unter, in der Hoffnung, sie lösen eine angeregte Diskussion aus, in der er dann natürlich kräftig mitmischt und austeilt.

Filmkritiker-TYP F: Der Lehrer
Der Lehrer-Typ unter den Filmkritikern ist eine wandelnde Datenbank und lässt keine Gelegenheit ungenutzt, dies in seinen Texten zu beweisen und der Leserschaft sein Wissen zu vermitteln. Die eigentliche Meinung zum Film darf man in einer Sammlung von Hintergrundinfos zur Produktion suchen. Er bewertet einen Film gerne mal etwas nachsichtiger, nachdem er gelesen hat, dass der Regisseur am drittletzten Drehtag in Streit mit dem Studio geriet oder dass die Hauptdarstellerin eine schwere Kindheit ohne Fernsehen durchlebte. Der Lehrertyp setzt vor allem auch auf ausschweifende Vergleiche mit anderen Filmen – stets unter Angabe des genauen Erscheinungsdatums – weil er sie eben alle gesehen hat. Zweimal.

Filmkritiker-TYP G: Der freie Künstler
Für den freien Künstler muss eine Filmkritik vor allem eines sein: Kreativ! Warum eine öde Argumentation vom Zaun brechen, wenn man die Rezension in ein Gedicht verpacken kann (Kurzkritiken natürlich als Haiku)? Und eine Meinung kommt in Form eines offenen Briefs an den Regisseur sowieso viel besser zur Geltung. Oder als fiktiver Dialog mit einer der Hauptfiguren. Und warum sich von den Grenzen des geschriebenen Wortes einengen lassen? Lieber in einer Video-Rezension den Film pantomimisch darstellen oder seine Filmkritik tanzen, denn das gab es vielleicht vorher noch nicht! Hauptsache am Ende gibt es Applaus – und zur Not übernimmt man auch das selbst.

Was ist euer Filmkritiker-Lieblingstyp? In welchen findet ihr euch selbst wieder und welcher Typ wurde hier vergessen?

Anmerkung: Obwohl im Text aus reiner Bequemlichkeit (Schande über den Autor!) immer nur die männliche Form verwendet wurde, sind Filmkritikerinnen selbstverständlich nicht ausgeschlossen!


Dieser Text stammt von unserem User flibbo (Philipp Stroh).
Wer ebenfalls Text-Ideen oder bereits was aufgeschrieben hat, wende sich an ines[@]moviepilot.de.

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