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Aktion Lieblingsbüffeltanz - Pity we aren't madder!

14.10.2014 - 12:00 Uhr
Liebende Frauen
United Artists
Liebende Frauen
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Glenda Jackson tanzte 1969 mit Kühen und dem Leben und Oliver Reed sagte, dass das nicht klug sei. Ken Russell macht daraus eine der sinnlichsten Szenen, wo gibt. Keine habe ich öfters gesehen. Ein (Liebes-)Erklärungsversuch.

Eine Frau, Ursula Brangwen, singt in einer englischen Seeidylle ein verträumtes Lied. Ihre Schwester Gudrun tanzt dazu. Dann taucht eine Herde Rindvieh auf, mit welcher die Letztere noch ekstatischer tanzt, bevor dann auch noch Oliver Reed kommt und ihr seine Liebe gesteht. Mit der Bitte, dass sie solchen Unfug doch bleiben lassen solle. Diese Szene aus Liebende Frauen ist schnell erzählt und sie hat kaum etwas besonderes an sich. Dachte ich jedenfalls, bis ich merkte, dass ich sie mir schon zum 20. Mal hintereinander auf youtube ansah.

Fast alle meine Lieblingsszenen habe ich bei der Sichtung der sie beinhaltenden Filme entdeckt. Bei dieser war es anders. Ich bastelte im November 2011 an der dritten Version eines online-Adventskalenders mit Gimmicks, Geschichten, Videos und Filmeinladungen für Freunde. Während der Arbeit an diesem starb Ken Russell, was dazu führte, dass ich einen seiner Filme sehen/zeigen wollte. Women in Love (so die D.H. Lawrence Verfilmung im Original) war die naheliegende Wahl, weil zwei großartige Schauspieler (Oliver Reed und Glenda Jackson) mitspielten. Und da kein Trailer vorhanden war, verlinkte ich einfach die nächstbeste Szene. Eine mit Kühen tanzende Frau war als Werbevideo absurd genug, also wurde dies genommen. Ich dachte mir nichts weiter, aber bis zum Tag der Sichtung klickte ich immer wieder auf das Türchen 21 und schaute gebannt. Immer wieder. Ich konnte nicht aufhören ... bis ich den Film sah und grenzenlos verliebt war.

Women in Love hat viele wunderbare Szenen ... allen voran die, in der Oliver Reed und Alan Bates nackt vor einem Kamin ringen. Ungläubiger habe ich wohl selten auf einen Film gestarrt. Aber dennoch ist es diese eher unscheinbare Szene, die ich immer noch regelmäßig anschaue. Und dann mehrmals hintereinander. Weshalb ist mir nicht ganz klar. Beziehungsweise passiert zu viel, um es in meinem Kopf zu ordnen. Deshalb fange ich mit der nächstgelegensten, hochtrabenden Assoziation an. Mit Das Tanzlied aus Also sprach Zarathustra von Friedrich Nietzsche.

Dort trifft Zarathustra im Wald auf eine Gruppe tanzender Mädchen. Durch seine Anwesenheit verschreckt bleiben sie stehen. Als Entschuldigung singt er einen Spottgesang auf sich und den Gott der Schwere, das ihn traurig machen wird. Denn er, Nietzsche/Zarathustra, kann nicht aufhören das Leben voll zu quatschen, statt mit ihm zu tanzen. Ganz Kopf kann er sich nicht oder nur kurz in der Bewegung, im Sein verlieren. Dionysischer Rausch und schwerwiegende Ratio davon handelt auch meine Szene. Nur das es hier nicht den melancholischen Touch Nietzsches hat, sondern vielmehr mit einem brutalen Unterwerfungsversuch endet.

Doch zu Beginn tanzt wie gesagt einfach nur Glenda Jackson als Gurdrun Brangwen  bei einem Picknick. Ausgewogen reihen sich die harmonischen Aufnahmen aneinander. Das filmische Äquivalent eines Wandelgangs durch eine Edgar Degas Ausstellung. Irgendwann kniet sie nieder, schaut auf und die Kamera fährt auf sie zu. Sie starrt mit offenem Mund ... dem Spielberggesicht . Etwas bahnt sich an und die Blasen, von denen ihre Schwester auf der Wiese bisher gesungen hat, sind geplatzt. Auch die Unschuld ihrer Schwester verfliegt aus der Szene. Ursula hat nur noch Angst und versteht nichts mehr. Eine Herde schottischen Hochlandrinds  kommt angetrabt. Unkontrollierbare Fleischmassen mit riesigen Hörnern. Nicht das direkt Gefahr von ihnen ausgehen würde, wird es trotzdem unheimlich. Die Streicher quietschen und ein Blasinstrument gurgelt. Glenda Jackson tanzt nicht mehr nur. Sie ist besessen. Von ihren Bewegungen, dem Nervenkitzel und dem energetischen Rausch des Lebens, der durch sie schwallt.

Dabei sieht sie wahrscheinlich nicht sonderlich elegant aus, aber sie dreht sich und wirft ihre Arme um sich, während immer schnellere Schnitte immer mehr Unruhe bringen. Das Rind, vorher unter seinen langen, sie leicht trottelig aussehen lassenden Mähnen hervorguckend, wird zunehmend fahrig. Es scheint vor dieser Frau und ihrem Tanz, der Verführungs- und Bändigungsphantasien hervorruft, Angst zu haben. Und ich identifiziere mich jedes Mal voll und ganz mit ihnen. Nicht mit dieser sinnlich-wahnsinnigen Frau und ihren tollen Bewegungen ... wie diese wär ich nur gerne. Wie das Rind stehe ich vor dem Geschehen, gucke fragend und spüre die Unruhe in mir.

Und so pumpt die Ekstase der Bilder immer höher, während das Orchester einem immer feuriger die Luft abschnürt ... bis Oliver Reed kommt und einen brutalen Coitus interruptus mit sich bringt. Er reißt Glenda Jackson an sich und sie fällt vor ihm zu Boden. Mit zittrigen Gliedern bleibt die Szene stehen und schneidet zwischen beiden hin und her. Mit harten, glatten Schnitten auf die statischen Aufnahmen von Reed. Mit langsamen Überblendungen zu der um Glenda Jackson kreisenden Kamera. An dieser Stelle fühle ich mich, als ob ich keinen polizeilichen Alkoholtest der Welt überstehen würde. Erschöpft stehe ich zitternd und verschwitzt da, weil urplötzlich die Musik aus ist. Oliver Reed reißt seine Herzdame mit sich und gesteht ihr seine Liebe. Bild, Mimik und Gestik sagen aber nur eines, er will sie unter seine Kontrolle bringen. Wie aus Stein drückt er sie mit seinen Blicken nieder. All die Schönheit wird zu Gewalt. Ein Ast ist dabei über dem glatten See zu sehen und es sieht aus als ob die harmonische Oberfläche zersprungen ist. Der Gott der Schwere kam hernieder.

Diese 5 Minuten sagen nicht nur Unmengen über die Figuren und das Verhältnis zwischen ihnen, sondern auch über mein/das Leben. Über die Freude am Tanzen und die Bitterkeit seine Pflicht zu tun. Mit Reed kam übrigens der Fünfte im Bunde an, Alan Bates, der sich hochnotpeinlich an den Tanz anschließen möchte. Nichts an seinen Gesten und Sprüngen stimmt, außer sein Ausruf: "Pity we aren't madder!", und der träumende Hofnarr in mir, der tief mit Bates' Figur fühlt, denkt mit ihm jedes Mal: "Ja, schade."

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