Skandal Revisited. Das diesjährige Filmfestival an der Côte d’Azur präsentiert dieses Jahr in der Rubrik „Klassiker“ eine Retrospektive, die Filme vorstellt, die nach Abbruch des Festivals im Mai 68 nicht mehr gezeigt wurden. Unter der Federführung der damaligen Jungregisseure Jean-Luc Godard und François Truffaut stürmten die „Jungen Wilden“ acht Tage nach Eröffnung den großen Kinosaal und verwandelte ihn in ein Plenum, um der Presse mitzuteilen, dass Cannes aus Solidarität mit den Studentenprotesten geschlossen sei. Viele Filme, so Peppermint Frappé von Carlos Saura, wurden somit nicht mehr aufgeführt.
Was war genau passiert? Am 10. Mai 1968 begann das 21. Festival de Cannes, während in ganz Frankreich – wie auch weltweit – die Studenten seit Monaten auf die Straße gingen. Gerade in Frankreich war die Filmindustrie Schlachtfeld der Interessen geworden, da die Studenten sich mit Filmemachern zusammenschlossen, um gegen den damaligen Kultusminister André Malraux vorzugehen, der kurz zuvor den Leiter der Cinémathèque Française, Henri Langlois, entlassen hatte. „Pas de flics, des films!“ (Keine Bullen, sondern Filme!) hieß auf den Transparenten in den Pariser Straßen. Als bei einer Demonstration zur Unterstützung des exzentrischen Direktors der Cinémathèque mehrere Filmemacher, darunter Godard und Truffaut, von der Pariser Polizei verletzt worden waren, heizte sich die Stimmung gegen den als totalitär empfundenen Staat umso stärker auf.
Eine Woche später argumentierte Truffaut in einer offenen Diskussionsrunde, es sei lächerlich, das Festival fortzuführen, während das gesamte Land brachliege. Dem schlossen sich Godard, Claude Berri und Louis Malle an, zumal sie einsehen mussten, dass keiner der Filme des Festivals sich mit den aktuellen sozialen Problemen beschäftige. Doch nicht alle waren einer Meinung: Roman Polanski, einige Filmkritiker und Produzenten wandten sich gegen eine „Intellektualisierung des Kinos“, dessen Zweck sie in der Unterhaltung der Franzosen sahen. Wer sich ein Bild von der aufgeheizten Stimmung machen will, der kann dies hier tun:
2008 werden nun diejenigen Filme gewürdigt, die vierzig Jahre zuvor in den Archiven verschwanden. Peppermint Frappé von Carlos Saura wird die Sektion am 15. Mai in Anwesenheit des Produktionsteams eröffnen, gefolgt von 24 Stunden im Leben einer Frau von Dominique Delouche, The Long Day’s Dying von Peter Collinson, Je t’aime, je t’aime von Alain Resnais, Anna Karenina von Alexandre Zarkhi, sowie 13 Jours en France von Claude Lelouch.