Vorbehaltsfilme - Gehört Nazi-Propaganda in den Giftschrank?

12.07.2018 - 08:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Kolberg/Feuerzangenbowle/Jud Süß/Triumph des Willens
Murnau-Stiftung/Leni Riefenstahl/Kinowelt
Kolberg/Feuerzangenbowle/Jud Süß/Triumph des Willens
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Wir erklären euch, was sogenannte Vorbehaltsfilme sind. Sie haben eine lange Geschichte und lösen auch heute noch Diskussionen aus.

Ich habe Triumph des Willens und Sieg des Glaubens gesehen, auch Jud Süß und Ohm Krüger, diverse andere nationalsozialistische Titel, die ich mir anschaute, könnte ich ebenfalls noch nennen. In gewisser Weise gehöre ich damit zu den Privilegierten, denn viele dieser Filme sind Vorbehaltsfilme.

Vorbehaltsfilme (VB-Filme) sind vorwiegend Propagandafilme aus der Zeit des Dritten Reichs, deren Inhalt kriegsverherrlichend, rassistisch oder volksverhetzend ist, denen z.T. die Freigabe der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) verweigert wurde und die auf Beschluss des Kuratoriums der Murnau-Stiftung von ihr nicht gewerblich ausgewertet werden. (Telepolis via Murnau-Stiftung)

Wir könnten jetzt sehr lang darüber diskutieren, ob die Vorbehaltsfilme de facto verboten sind und damit das in unserer Verfassung verankerte demokratische Recht der Informationsfreiheit unterlaufen. Im offiziellen, behördlichen Sprachgebrauch sind sie es nicht. Sie sind nicht für den Vertrieb freigegeben, können aber gesichtet werden. Aktuell verwaltet die Vorbehaltsfilme die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung . In den Räumen der Stiftung können sie für schulische, wissenschaftliche und produktionstechnische Zwecke gesichtet werden; Mitarbeiter der Stiftung gehen zudem regelmäßig in Schulen, um sie dort einer jungen Generation vorzuführen und mit diesen Zuschauern zu diskutieren. Auch außerhalb der dortigen Kinos kann es zu Aufführungen kommen, allerdings geht dies nur per Antrag bei der Stiftung. Nach einer Prüfung des Veranstalters kann eine Freigabe erfolgen. Verpflichtend sind dann eine historisch korrekte Einführung und eine anschließende Diskussion. Genau in einem solchen Rahmen habe ich viele der nationalsozialistischen Vorbehaltsfilme sehen können, andere auf nicht legalem Wege. Ein Nazi bin ich deshalb noch lange nicht.

So wurden die Vorbehaltsfilme bestimmt

Von 1933 bis 1945 wurden ca. 1.240 Filme in Deutschland produziert. Nach der Kapitulation im Mai 1945 wurden alle Filme von den Alliierten beschlagnahmt, um weitere Propaganda für den Nationalsozialismus zu unterbinden. Aber es wurde natürlich Ware benötigt, um die Kinos zu bespielen. Eine Kommission prüfte die deutschen Filme und legte sie in drei Schubladen:

  • A-Liste: ohne Auflagen freigegeben
  • B-Liste: mit Schnitten freigegeben
  • C-Liste: gar nicht freigegeben

In unserem Fall ist die C-Liste die spannendste. 219 Filme gaben die Alliierten nicht frei, weil sie zum Beispiel nationalsozialistische Ideologie verherrlichten, den Militarismus propagierten, Gefühle religiöser Menschen verletzten und/oder rassistisch oder volksverhetzend waren. Manchmal war es ein Symbol, eine Uniform, ein Dialog oder ein Titel, der dazu führte, dass Filme auf die C-Liste kamen. Verständlich, dass es auch zu Fehlern kam ... in beide Richtungen.

1949 wurde in Westdeutschland die Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) gegründet. Die Alliierten übertrugen ihr die moralische Verantwortung über den (west)deutschen Film und so wanderten bis 1966 zahlreiche Filme aus der C-Liste in andere Kategorien. Sie wurden wieder im Kino und später auf dem Bildschirm ausgewertet. 1966 wurde die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung gegründet, die das deutsche Filmerbe verwaltet. Filme, die noch keine FSK-Altersfreigabe erhielten, aber zum Nachlass von unter anderem den Produktionsfirmen Ufa, Bavaria, Tobis und Terra etc. gehörten, wanderten zur Stiftung. Heute sind es noch ca. 40 Streifen, die nur mit Vorbehalt gezeigt werden dürfen.

Sind Vorbehaltsfilme noch zeitgemäß?

Völlig klar, dass sich bei der Beantwortung dieser Frage verschiedene Antworten ergeben und wahrscheinlich keine die absolut richtige wäre. Wer sich nicht an der Bildqualität stört, kann bei allbekannten Videoportalen die nationalsozialistischen Propagandafilme Der ewige Jude, Jud Süß und Co. sehen, wahlweise auf Deutsch oder mit englischen Untertiteln. Früher per Videokassette, heute auf DVD und Blu-ray gibt es die Werke in anderen Ländern zu kaufen, besonders beliebt sind Bestellungen in Europa, um den Zoll zu umgehen. Wer also unbedingt möchte, kann sich auch ohne Vorbehalt die Nazi-Propaganda anschauen. Die Filme sind nicht wirklich verboten, weder indiziert noch beschlagnahmt.

Mehr: FSK - Index - Zensur: Ist das noch zeitgemäß?

Wer sich die Filme antut, wird interessante Dinge entdecken, zum Beispiel Regie-Handschriften wie jene von Veit Harlan, der sich bedingungslos in den Dienst der nationalsozialistischen Machthaber stellte, aber zugleich auch ein Regisseur war, der gekonnt melodramatische Stoffe in Szene setzte. Er kann Kontinuitäten in der deutschen Filmgeschichte ausmachen, denn Vorbehaltsfilm-Regisseure wie Karl Ritter, Wolfgang Liebeneiner oder Günther Rittau konnten ihre Karriere in Westdeutschlands Nachkriegskino meist nahtlos fortsetzen. Der Zuschauer wird auf unfreiwillige Komik stoßen, auf Biederkeit und Spießertum, auf plumpe Propaganda sowie subtilere Manipulation. Er wird Stereotypen erkennen, die immer wiederkehren, Abweichungen wahrnehmen. Fazit: Er kann sich selbst ein Bild machen.

In der Dokumentation Verbotene Filme stellt, die im März 2014 in die deutschen Kinos kam, stellte sich Filmemacher Felix Moeller die Frage, wie mit den Vorbehaltsfilmen heute noch umgegangen wird, in Deutschland, Frankreich und Israel. Hier wird die vorsichtige Frage gestellt, ob eine Freigabe der Filme für die Öffentlichkeit nicht zu einer Enttabuisierung des Thema beitragen würde. Eine Antwort darauf ist nach wie vor schwer zu finden.

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Quellen:

Ich klage an!  von Hans Schmid
Was tun mit dem Gift der Kinogeschichte?  von Hanns-Georg Rodek
Wie viel Gift steckt noch in den "Vorbehaltsfilmen"?  von Hanns-Georg Rodek
Nur zehn Prozent der Filme waren Nazi-Propaganda  von Hanns-Georg Rodek
Das schizophrene Kino  von Lars-Olav Beier
Hitlers Propaganda-Filme  von Anke Westphal
Vom Umgang mit NS-Propagandafilmen  von Herbert Heinzelmann

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