Früher war alles besser – Die Retro-Kino-Welle 2017

26.12.2017 - 09:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Lauft! Die 80er sind zurück!
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Eine ganze Retro-Welle ist dieses Jahr über das Kino hereingebrochen. Auch wenn sie nur teilweise erfolgreich im Sinne der Filmkritik war, so hat sie doch ihren Dienst geleistet und das Publikum davor bewahrt, sich die derzeitige Realität auch noch im Kino ansehen zu müssen.

Wir sind schwer drum herum gekommen dieses Jahr, denn die Nostalgie-Welle, die über das Kino schwappte, war doch schon beachtlich in ihrem Ausmaß. Gleich Dutzende Filme, egal ob im Mainstream oder im Arthouse-Bereich, ritten auf ihr in den cineastischen Sonnenuntergang. Es ist offensichtlich: 2017 war ein Jahr voller Retro-Filme und allein die schiere Menge lässt vermuten, dass hier ein Trend oder vielleicht sogar eine neue Erfolgsformel vorliegt. Doch mit Erfolg ist das so eine Sache. In Hinsicht auf Filme wird er in zweierlei Maß gemessen: durch die kritische Rezeption und durch die Einnahmen.

Die wenigsten der Retro-Filme konnten dieses Jahr filmkritische Lobeshymnen auslösen. Es ist eine der wenigen Ausnahmen. Doch ansonsten wurden viele dieser Werke eher als mäßig wahrgenommen: Alien: Covenant - geht so. Blade Runner 2049 - sehr gemischt. Mit leichtem Schaudern erinnert sich so mancher vielleicht an Power Rangers, Die Mumie, Baywatch oder Flatliners. Vor allem letzter ist so sang-und klanglos untergegangen, dass die meisten seine Existenz gar nicht bemerkt haben. Die Mumie wiederum hat gleich das gesamte geplante Dark Universe in den Abgrund gerissen. Und trotzdem können wir nicht vom Scheitern sprechen.

Denn zum Erfolg gehört auch der ökonomische Aspekt und so ambivalent und teils schlecht diese Filme sind, sie wurden trotzdem weltweit genug gesehen, dass sie ihr Geld wieder eingespielt haben, was bei Weitem kein Normalfall ist. Flatliners hat das Doppelte  seiner Kosten von 20 Millionen US-Dollar eingespielt, Die Mumie das Dreifache  und Baywatch machte 100 Millionen Dollar  mehr, als er gekostet hat. Selbst die Power Rangers haben ihr Geld  wieder reingekriegt.

Sie mag nicht an allen Stellen qualitativ hochwertig sein, doch sie funktioniert, diese Retro-Welle. Viel spannender als nach dem Erfolg zu fragen, ist allerdings die Frage nach dem Warum. Weshalb werden wir gerade jetzt in Nostalgie gebadet? Und von was für einer Art Nostalgie sprechen wir eigentlich?

Zwei Strömungen sind eindeutig auszumachen. Die eine lässt die 1980er/1990er Jahre wieder aufklingen, die andere geht noch weiter zurück in die 1940er/1950er hinein.

Kindheitserinnerungen der Generation X

Ob Stranger Things oder Es, Fuller House oder Power Rangers, die 1980er und frühen 1990er Jahre hatte dieses Jahr eine Hochzeit wie noch nie. Warum ist ziemlich eindeutig, denn klassische Nostalgie ist oftmals verknüpft mit der Kindheit und viele der Macher, vor allem im amerikanischen Bereich, sind in den 1980ern groß geworden. Das Kernpublikum, Menschen in ihren 30ern, ebenfalls. So wird oft mit viel Herzblut und noch viel mehr popkulturellen Markierungen eine Kindheit wieder heraufbeschworen, die den großen Vorteil hat, nicht nur Filme, Mode und Musik als vereinigendes Merkmal zu besitzen, sondern eine riesige Menge an Referenzen von Nerd-Kultur über Games bis hin zum Merkmal, die letzte Generation zu sein, die das Analoge noch kannte und benutzte und die erste, die den digitalen Wandel in einer Zeit miterlebte, in der sie jung, interessiert und anpassungswillig war.

Denn die Generation X kennt - wie keine andere - die Unterschiede zwischen Festnetz-Telefon und Handy, 56K-Modem und DSL, den ersten Gameboy-Spielen und der Playstation 4. Es scheint, als müsste eben diese Generation solch eine riesige Entwicklungsweite überbrücken, dass sie einen viel größeren Fundus an Referenzen und eigentümlichen Erfahrungen zur Verfügung hat als die Generation vor und nach ihr. Genau hier setzen die Filme an. Entweder bepfeffern sie ihre Welten mit Referenzen, was oftmals schon genügt, um dieses wohlige Nostalgiegefühl zu erreichen oder sie gehen "full 80s/90s" und bauen eine ganze Welt wieder auf. Egal wie tief es geht: Es funktioniert. Selbst lässig hingerotzte Remakes wie Baywatch, die irgendwo zwischen dem Damals und einer aufgezwungenen Anpassung an das neue Jahrtausend wabern, funktionieren irgendwie.

Doch woher kommt dieser Wunsch, dieses Sehnen nach der Kindheit? Psychologisch ist dies ein ganz normaler, ja sogar relativ gesunder Mechanismus . Nostalgie ist ein Gegenmittel. Es lindert Einsamkeit und Angst. Es gibt ein diffuses Gruppengefühl, eine wohlige Emotion, die jeder Mensch spürt, weil er/sie das Gefühl hat, verstanden zu werden. Es ist das Gegengift zu einer Welt, die vor allem für die Generation X gerade nur schwer zu bewältigen ist. So langsam werden wir älter, die Karriere- und Lebenswege der Eltern, die so klar und gerade waren, gehen wir nicht. Der Druck ist hoch, wir setzen eigene Kinder in eine Welt, in der sie eine Chance haben sollten und die, so ist inzwischen klar, selbst am Rande einer Apokalypse gigantischen Ausmaßes schwebt. Hinzu kommt die angespannte komplizierte politische Lage und hach, früher, da war alles irgendwie besser. Einfacher, klarer, geborgener.

Politische Nostalgien nach der "besseren" Zeit

Im Grunde ähnlich funktioniert der zweite Strang filmischer Nostalgie-Bewegungen, nur dass diese auf noch diffuseren und schönmalerischen Beinen steht. Ganz eindeutig, aber zumeist statt im Mainstream eher im Arthouse-Kino angesiedelt, zeigt sich ein politisch orientiertes Sehnen nach den 1940er und 1950er Jahren. Bei diesen Dekaden sollten wir sofort aufhorchen und ja, hier handelt es sich oft um eine dezidiert konservative Nostalgie, die sich nach den Zeiten sehnt, die klar und einfach, aber vor allem besser waren. Make America great again also auch im Kino.

Wenn wir uns diese Dekaden genau anschaut, so sehen wir eines: "besser" war das in diesen Zeiten, wenn überhaupt, maximal für eine einzige, ganze bestimmte Bevölkerungsgruppe. Weiße, konservative, christliche Männer aus der Mittelklasse, also genau die Art von Gruppe, die auch heute noch in den allergrößten Teilen der Gesellschaft die meiste Macht bündelt. Dies aber eben nicht mehr ohne Gegenwehr. Machtverluste sind an der Tagesordnung und wo sie es nicht sind, schwebt zumindest die Angst davor im Raum. Die Frauen wollen mehr Rechte. Die LGBTIQ-Bewegung auch. Es gibt Muslime, Geflüchtete - egal wohin die Konservativen blicken, es gibt andere, die keine Lust mehr haben, außen vor zu sein. So schauen sie nach hinten, ins Damals, wo sie noch unbehelligt waren. Wie mächtig und aggressiv-gefährlich diese Nostalgie doch ist, zeigt eindeutig die derzeitige politische Lage. FPÖ, AfD, Trump, egal wie sie sich nennen, der Kern ist der Gleiche.

Und ja, diese Sehnsucht ist Teil des Kinos derzeit. Er spiegelt sich in Hacksaw Ridge wieder, ein Film, in dem ein Mann noch ein Mann sein kann und Kraft seines Glaubens die anderen bezwingt. Er springt durch La La Land, wenn auch in der technicolorierten, auf Hollywood-Glanz gebürsteten Variante, in der der Kerl noch rauchend am Klavier sitzt, während Frauen einen anhimmeln und im Hintergrund die Schwarzen als Lakaien dienen, ohne je ein Wort mitsprechen zu dürfen. Wir sehen ihn in Downsizing, wo Matt Damon als "einfacher Mann" am Machtverlust leidet und ihn durch den Übergang in eine utopische Welt wiederfindet, in dem die Männer herrschen, Geschäfte machen und endlich auch wieder die Helden für Frauen sein können, die ohne sie eben doch nicht klar kommen. Oder wo "die Anderen" als bloßer Witz auftreten, wie in Suburbicon, deren Leiden ignoriert oder für sich benutzt wird.

Egal auf welche Art, diese Filme rekurrieren immer wieder die gleichen Muster und Fantasien. Aber noch etwas haben sie gemeinsam. Wo die Nostalgie-Filme der 1980er/1990er Jahre nur so platzen von Referenzen, die verbinden, leben die Retro-Filme der 1940er/1950er Jahre vor allem von einem: den Leerstellen. Es sind vor allem die Dinge, die Menschen, die Ideen, die hier nicht stattfinden, die nur am Rande der Kadrierung, wenn überhaupt, stattfinden, die diese Retro-Filme vereint. Denn deren Nostalgie beruht vor allem aus dem Ignorieren, dem Wegsehen und Homogenisieren einer imaginierten Welt, die angeblich besser ist. Aber eben nur, solange wir nicht richtig hinschauen.

Doch egal welche Art von Nostalgie, egal was die Grunde dahinter sind, eines steht fest: Das Kino des Jahres 2017 ist eines für eine Gesellschaft, die alles will, außer im Hier und Jetzt und in der derzeitigen Realität zu bleiben.

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