Ich erinnere mich oft, wenn ich an Indianerfilme denke zurück in meine Grundschulzeit. Ich war damals vielleicht um die neun oder zehn Jahre alt und irgendwann beschloss irgendeine Lehrerin oder ein Lehrer uns einen dieser alten Indianerfilme zu zeigen. Das Ganze war in schwarz/weiß und ungeheuer langsam und weil man in diesem Alter dazu tendiert alles abzulehnen, was nicht den eigenen Sehgewohnheiten entspricht langweilten wir uns auch sehr schnell. "Weck mich auf, wenn was spannendes passiert", und ähnliches waren damals die Standartkommentare zu dem Film. Auch ich langweilte mich damals irgendwie und doch blieben in meinem Kopf Bilder von dunklen Wäldern in s/w, von hohen Bergen und Männern mit seltsamen Masken, die auf Pferden saßen und unverständliches Zeug von sich gaben, von endlosen Weiten, von dem absolutem Fremden, dem total Andersartigen. Ich erfuhr später nie wie der Film hieß, den wir damals sahen. Aber heute kann ich sagen: Dieser Film könnte Dead Man von Jim Jarmusch gewesen sein.
Das schöne an diesem Film ist vielleicht zuallererst einmal wie er sich überhaupt nicht in irgendeine Genre-Schublade stecken lässt. "Dead Man" zeigt uns wie ein Mann der es, ganz im Stil Kafkas nicht schafft sich in ein bestehendes System zu integrieren und schließlich eines Verbrechens beschuldigt wird, das er nicht begangen hat und schließlich fliehen wird. Dabei drängt der Film die Verfolgung des (von Johnny Depp großartig gespielten) Hauptcharakters mit dem symbolträchtigen Namen William Blake immer mehr an den Rand des Geschehens. Die Verfolger sind ein abscheulicher Kannibale, ein Mann der trotz seines Killerberufs nie ohne seinen Teddy schläft und ein mehr jugendlicher als erwachsener Afroamerikaner und offensichtlich als bloße Karikaturen und absurde Überzeichnungen angelegt aber vor allem bleiben sie nur Radfiguren. Überhaupt wird in "Dead Man" angenehm wenig geballter, heldenhaft glorifiziert oder herumgemmachot und das ist auch gut so.
Aber wovon lebt "Dead Man" dann, wenn nicht von Verfolgung und Action? Sicherlich auch nicht von der Charakterzeichnung, denn wer William Blake überhaupt ist, wie er dort hingekommen ist wo er ist oder was ihn antreibt wissen wir nicht. William Blake weiß selbst nicht wer er ist, wo er in der Welt steht und wie er überhaupt dort hinkam. Sein indianischer Freund, der seltsamerweise perfektes Englisch spricht und den (schon wieder symbolträchtigen) Namen Nobody trägt, kann ihm da auch nicht weiterhelfen, er lässt nur, sobald er den Namen seines Begleiters erfährt schockiert verlautbaren "You're a dead man". Aber ein kleines bisschen was wissen wir schon über William Blake. William Blake, der Mann mit dem "Clownsuit" und den runden Brillen. Unpassend und unangepasst sieht er in dieser Welt des Wilden Westen aus unter all den Säufern und Mördern. William Blake ist, genauso wie Nobody ein orientierungsloser, ja fast schon identitätsloser Mann. Ein Außenseiter in einer Welt die er nicht versteht. Der Outlaw aus Outsider. Selten mehr Empathie zu einem Charakter in einem Western empfunden.
Aus seiner Stille und Mystik zieht der Film seine Kraft. Wenn Nobody und Blake durch einen Brikenwald reiten und sich einfach unterhalten, dann ist das großes Kino. Wenn Blake in einem Zug fährt und auf einmal alle Passagiere anfangen aus dem Fenster zu schießen ebenso. Wenn er in einem Kanu ins Meer treibt und wir mit ihm in den Himmel schauen, entspricht das irgendwie genau meiner Vorstellung von purer filmischer Schönheit. Und welche Musik würde besser in den Soundtrack eines Filmes passen der sowohl die unendliche Schönheit der Natur behandelt als auch deren Zerstörung als die Musik eines Neil Young. Sein Soundtrack klingt oft gerade Anfangs so, als wäre er absichtlich an falschen Stellen eingespielt worden um den Zuschauer zu verwirren, dann aber wieder unglaublich passend, bis er am Ende einige der emotionalsten, mystischsten und unergründlichsten Momenten aus dem Film zu holt.