Tschick - Endlich etwas Coming-of-Age-Nachdenklichkeit

16.09.2016 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Maik und TschickStudiocanal
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Tschick ist ein toller Coming-of-Age-Film geworden. Davon gibt es in Deutschland viel zu wenige. Tschick muss jetzt allein gegen den neonbunten Fack ju Göthe-Zynismus anstinken, denn ein guter Coming-of-Age-Film kann eine ganze Jugend prägen.

Ich habe mich mit meinen 27 Jahren selten so alt gefühlt wie in den Augenblicken nach der vollbesetzten Presse-Premiere, als ich mir darüber den Kopf zerbrach, ob diese Tschick-Adaption den Jugendlichen da draußen wohl gefallen mag. Mir konnte er nicht mehr helfen, dachte ich, aber diesen Kids vielleicht, die nicht oder viel zu gut wissen, wohin. Denn irgendwann ist die Zeit vorüber, da Comig-of-Age-Filme einem noch wertvolle Ratschläge über das richtige und falsche Erwachsenwerden zu erteilen wissen. Dann ist man dem Alter der sich mit dem Erwachsenwerden rumschlagenden Figuren lange enteilt und aus der affektiven Identifikation mit dem jugendliche Irrsinn wird warm schwelgende Sentimentalität. Nun ist das mit dem Erwachsenwerden ohnehin so eine Sache. Der Tschick-Autor Wolfgang Herrndorf selbst ordnete seinen Erstling In Plüschgewittern dem Adoleszenz-Roman zu und dort ist der Protagonist ca. 30 Jahre alt, also nur etwa fünf Jahre jünger als eben Herrndorf um die Jahrtausendwende. Herrndorf, der weder besonders alt noch nach herkömmlichen Maßstäben je erwachsen geworden ist. Die Kinder, die Pubertierenden, die Kids, die Jugendlichen in Tschick sind nun so richtig jung und über das Jungsein reflektieren können stets jene besser, die es nicht mehr sind, und das sind dann meistens diejenigen, die Bücher wie Tschick oder Tom Sawyer schreiben oder Serien wie Stranger Things über Zwölfjährige und Monster machen (ein ~32-jähriges Zwillingspaar).

Alte (oder ältere) Menschen machen Filme für junge Menschen und das geht in der Regel gut, vor allem, wenn es weltschmerzzerfressene Bachelor of Arts-Absolventen amerikanischer Privat-Colleges tun, die ihre jugendliche Verwirrtheit aus der sicheren Postion der weisen Retrospektive mit melancholischer Bitternis zerkauen. Die zeitliche Diskrepanz erhebt sie auf einen beobachtenden Sockel. Daraus werden dann lebensweise Coming-of-Age-Filme wie It's Kind of a Funny Story, Into the Wild, Vielleicht lieber morgen und Adventureland, die neben dem üblichen Liebeskram zu Nachdenklichkeit verleiten, Verwirrtheit zulassen und intellektuelle Anleitungen geben, erwecken und, ja, auch das Anderssein predigen und so die nächsten weltschmerzzerfressenen Bachelor of Arts-Absolventen produzieren (True Story). Coming-of-Age-Filme zerstreuen nicht, sie erden das rasende jugendliche, schlimmstenfalls eben pubertierende Gehirn, geben ihm Orientierungshilfen und schenken denen Aufmerksamkeit und Interesse, die sowas vielleicht gar nicht kennen.

Coming-of-Age-Filme sind deshalb auch fast immer Außenseiter-Filme, weil sich fast jeder Pubertierende meist irgendwie alleine mit sich und der Welt fühlt, einem versehentlicher Solipsismus als Egoismus ausgelegt wird und die unwirschen Versuche, aus der alten Persönlichkeit herauszuwachsen, schnell als Arroganz oder Awkwardness. Maik Klingenberg (Tristan Göbel), die Hauptfigur aus Tschick, wird zwar Psycho genannt, ist aber eigentlich ziemlich langweilig und einsam, bis, ja bis ein in Segeltuch gekleideter Engel mit Ronaldo-Resthaar betrunken in den Klassenraum torkelt.

Tschik

In diesem Klassenraum gehen Zettel und Geburtstagseinladungen an Tschick und Maik vorüber, derweil auf den Klassenzimmertischen laut Smartphones brummen - ein technologischer Widerstreit und Kommunikationsanachronismus - in diesem Klassenzimmer verliebt sich Maik, einfallslos wie er ist, in den Schulschwarm. Dass er aber durchaus was drauf hat, zeigt er mit einem unbedarften Porträt seiner alkoholkranken Mutter, das er der Klasse vorträgt, die ihn daraufhin endgültig als Psycho abstempelt. Außerhalb des Klassenzimmers, unterwegs mit Tschick im Nirgendwo, verliebt sich Maik in die stinkende Ausreißerin Isa (Nicole Mercedes Müller).

In der ersten Klassenzimmer-Sequenz ist Maik noch der typische abgestumpfte Heranwachsende. Im Laufe des Films jedoch besinnt er sich auf sich selbst, kommt zu sich, lässt Probleme an sich heran, weil die Playstation in der brandenburgischen Einöde weit entfernt ist und Tschick ihm nach einer Stunde Fahrt im abgeranzten Lada das Handy aus der Hand reist und aus dem fahrenden Auto wirft, wie es viele Eltern wohl auch gerne hin und wieder tun möchten. Tschick aber ist nicht die schlimmste Version dessen geworden, was er leicht hätte werden können: ein Film, den nur Eltern und Lehrer gut finden, und in den Schüler hineingezehrt werden müssen. Das könnte freilich immer noch passieren, weil Tschick auch die Verfilmung eines Buches ist, das von Schülern im Deutschunterricht gelesen werden musste, nicht gelesen werden wollte. Die Schüler, die Briefe* an den Autor und eigene Tschick-Kapitel schreiben mussten, sollen sich jetzt den Film anschauen. Sie sollten es tun, aber ob sie es werden?

Ob das jetzt klug ist, auch den Film mit dem so buchtypischen geschwungenen Tschick-Zug zu bewerben und damit womöglich eine ganze Zuschauer-Sparte zu verschrecken, denen das Buch aufgezwungen wurde? Ein blödes Marketing-Dilemma. Der Trailer fährt eine klügere Strategie. Er sieht aus wie eine Anbiederung an leere Pubertätsheinis, zeigt schlechte Frisuren, einfältige Bartschatten, Hitlerbärte aus Klebeband und Kühe, die Opfer genannt werden, weil Jugendliche eben heute so sprechen, einige von ihnen, vielleicht . Er holt die jungen Zuschauer da ab, wo sie sind und wo Maik vor dem Road-Trip mit Tschick war. Bestenfalls hat Tschick (Film wie Person) auf junge Menschen eine ähnlich transformative Wirkung wie Stand by Me - Das Geheimnis eines Sommers und Tom Sawyer - alles Werke übrigens, die Wolfgang Herrndorf in sein Buch hat mit einfließen lassen.

Und: "[...] Fatih Akin drehte einen Film, der weder eine gediegene Literaturverfilmung ist noch eine auf den Kommerz schielende Bestsellerverfilmung. Entstanden ist eine filmische Lektüre eines Romans, der ein literarisches Roadmovie darstellt." Das sagt Herrndorfs Verleger bei Rowohlt, Michael Töteberg, über den Film, und meint das wahrscheinlich positiv, denn was Besseres konnte dem Film ja kaum geschehen.

4 Könige

Es hat in den letzten Jahren nur wenige wirklich gute oder gut vermarktete deutschsprachige Coming-of-Age-Filme gegeben, der letzte war vielleicht Crazy. Dass Jugendfilme, die schwere Fragen aufwerfen, in Deutschland durchaus erfolgreich sein können, bewies zuletzt die Serie Club der roten Bänder. Die erfolgreichsten Jugendfilme der letzten Jahre aber waren eher solche, die ihrem jugendlichen Publikum zeigten, wie dumm und asozial, abgestumpft und triebversessen es ist. Das Fack ju Göhte des Jahres 2016 ist Verrückt nach Fixi, in dem sich eine Sexpuppe in eine scharfe Braut aus Fleisch und Blut verwandelt, vor allem natürlich Fleisch. Das Fack Ju Göthe des Jahres 2016, also der Film, der diejenigen ins Kino treibt, die er erreichen will und sollte, könnte aber auch Tschick werden. Schön wäre das, denn Tschick ist der Coming-of-Age-Film, den Jugendliche brauchen. Die vertragen doch nicht noch mehr Spott und verbitterte Jugend-Agonie. Und zu alt für Coming-of-Age-Filme ist man selbstredend nie, man versteht sie nur anders.

*Einige dieser Briefe, erzählt Herrndorf in seinem Blog, hat er tatsächlich empfangen.

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