Es gibt kein Entkommen im neuen Wiener Tatort

05.02.2012 - 21:45 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Tatort Kritik zum Wiener Fall Kein Entkommen
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Tatort Kritik zum Wiener Fall Kein Entkommen
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Das neue Jahr wurde mit seinem ersten richtig guten Tatort beglückt. Dabei benötigte der neue Fall von Moritz Eisner keine Experimente, sondern einfach eine gut und vor allem spannend gestrickte Story, um zu überzeugen.

Das ist mal ein Tatort, der seinem Titel alle Ehre macht. Wer hätte beim verschnupften Beginn ahnen können, dass sich Tatort: Kein Entkommen zu einem derart kompromisslosen Krimi entwickelt? Zur Halbzeit zählt die Body Count 13 Tote, am Ende läuft Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) Gefahr, aus dem emotionalen Ruder zu laufen und ein einfacher Freeze Frame nimmt jede Hoffnung auf einen versöhnlichen Abschluss. Der neue Tatort aus Wien ist so einer, der die Zuschauer mit seinen Running Gags in Ruhe wiegt, um ihnen anschließend den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. So muss nicht, aber so kann Tatort sein und das absolut überzeugend.

Lokalkolorit: Wien sei die viertgrößte serbische Stadt der Welt, meint eine Figur im Verlauf des Tatorts mal. Der Einschätzung wird der Sonntagabendkrimi dann auch gerecht. Ohne sich als semi-dokumentarische Sozialchronik zu geben, führt uns Tatort – Kein Entkommen nebenbei ein in die Unterwelt serbischer Exilanten, etwa in den Club Maxi, wo Polizisten unter johlenden Beleidigungen, die sie nicht einmal verstehen, Reißaus nehmen müssen. Am Ende obsiegt die Frustration über eine Gesellschaft, die offensichtlich im Blickfeld liegt und doch keinen Durchlass ermöglicht.

Plot: Ein Student wird kaltblütig hingerichtet und der Killer merkt lapidar an: Du warst zur falschen Zeit am falschen Ort. Tut mir leid. Die beiden serbischen Hitmen finden bald den richtigen, Josef Müller alias Mirko Gradic (Christoph Bach), Familienvater und früheres Mitglied der radikalen serbischen Truppe Sveti Tigar. Er ist alles andere als ein Unschuldslamm, muss selbst unter Polizeischutz zur Waffe greifen und begegnet den Auftragskillern mit einer ebenbürtigen Kaltblütigkeit, wenn er Angreifern das Genick bricht oder sie abknallt. Das Finale im Krankenhaus (der Kinderarzt als Kriegsverbrecher!) täuscht dann die Rettung kurz vor knapp vor. Doch in der letzten Einstellung kommen zwei Ersatzkiller auf uns, die Kamera und das Zimmer der Familie zu. Wir haben sie schon mal gesehen als freundliche Helfer im U-Bahn-Tunnel und es gibt sicher eine ganze Reihe von schwarz gekleideten, kantigen Männern, die jederzeit ihren Platz einnehmen könnten.

Unterhaltung: Strukturell bietet Tatort: Kein Entkommen eine Lehrstunde zum Aufbau eines spannenden TV-Krimis. Drei Handlungsstränge (Ermittler, Killer, Opfer) werden durch einen kleinen Running Gag (Erkältung) motivisch verbunden, ohne das ganze Treiben ins Lächerliche zu ziehen. Das Alkoholproblem von Bibi Fellner (Adele Neuhauser) bleibt mit ihrem hochprozentigen Allheilmittel (Heiße Zitrone, Schnaps, Knoblauch) präsent, halst der Story jedoch kein weiteres Problemfeld auf. Im Vordergrund droht stets die Gefahr, in der Familie Müller schwebt. Das hält der Film für einen Sonntagabendkrimi äußerst drastisch vor Augen, wenn beispielsweise eine Polizistin auf der Toilette erschossen wird oder ein verletzter Killer einer Streifenbeamtin in den Kopf schießt, um anschließend von seinem Kollegen wie überflüssiger Ballast aus dem Auto geworfen zu werden. In diesen Szenen macht es der Wiener Tatort seinen gemütlich eingemummelten Zuschauern vorm Fernseher nicht gerade einfach.

Tiefgang: Eine Vergangenheit voll von Massakern und kein Hauch Reue – kann so jemand Opfer sein? Mit dieser Frage spielt der Tatort aus Wien diesmal, denn Müller/Gradic ist kein Sympathieträger. Jahrelang hat er seine Frau belogen und die nationalistischen Gefühle scheinen noch immer tief verwurzelt. Wie er da in aller Seelenruhe aus dem Fenster auf das Autodach springt, um in der Pyjama-Hose zum Bahnhofsschließfach zu wandern, hat etwas unheimliches, das sich im abgestumpften Verhalten seiner Jäger widerspiegelt. Der Krimi nimmt sich eines typischen Problem-Tatort-Themas an und missbraucht dieses nicht nur als Aufhänger. So flicht er beiläufig serbische Lebensläufe ein, um die Einstiegswege in die radikalen Szenen in der Heimat wie auch in Wien nachzuzeichnen. Zuallererst ist dieser Tatort jedoch ein Thriller, ein fesselnder noch dazu.

Mord des Sonntags: Es ist nur eine kurze Einstellung, aber die vornübergebeugte, blutüberströmte Polizistin auf der Toilette gehört zu den drastischeren Exponaten unter den Tatort-Leichen.

Zitat des Sonntags: “Okay, das Kind stirbt und du stirbst auch. Ich sterb’ nicht, sonst stirbt auch niemand. Aber du stirbst hundertprozentig.” (Moritz Eisner)

Für mich war Tatort: Kein Entkommen der bisher beste des Jahres, doch wie hat er euch gefallen?

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