Was geht in Die Klasse von Laurent Cantet alles vor sich ...

15.01.2009 - 12:30 Uhr
Die Klasse
Concorde
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Regisseur Laurent Cantet beantwortet Fragen zum Cannes-Gewinner Die Klasse.

Im Film Die Klasse vermischen sich dokumentarische Szenen mit fiktiven Geschichten. Kritiker liessen sich von dem Film hinreissen, die neue Unmittelbarkeit wurde gelobt. Regisseur Laurent Cantet erzählt …

… wie alles vor sich ging…
Ich wollte, dass die Dreharbeiten die Improvisation der Workshops mit der gleichen Freiheit fortführen. Dazu war der Einsatz von HD-Video notwendig. Bei jobkiller-eine-moerderische-karriere habe ich festgestellt, dass der Aufwand mit 35mm nur wenige Möglichkeiten zur Improvisation erlaubt. Wenn man endlich zum Drehen kam, wirkte einiges schon überholt. Bei Die Klasse wollte ich dagegen zwanzig Minuten fortlaufend drehen, selbst wenn nichts passierte, weil ich wusste, es genügt ein Satz, und es geht los.

Für die Klassenszenen begann François Bégaudeau die Stunde mit einem bestimmten Thema. Wichtig war der Twist ab einem bestimmten Moment. Vorher haben wir die Situation zwei oder drei Schülern erklärt, die in der Szene agieren sollten und ihnen Hinweise gegeben: Wenn François Bégaudeau dieses oder jenes Thema anging, sollten sie diese oder jene Reaktion zeigen. Aber sie wussten nicht, wie wir zu diesem Punkt kamen. Die anderen entdeckten während des Drehs nach und nach, um was es ging. François Bégaudeau leitete die Szene wie eine Klassenstunde und ich konnte während der Aufnahmen eingreifen, die Weichen neu stellen und den einen bitten, seine Idee zu präzisieren, den anderen, sich eine andere Bemerkung auszudenken. Es war erstaunlich, wie sie jedes Mal bei Null mit der gleichen Energie anfingen, die sie schon vor meiner Unterbrechung bewiesen und wie sie meine Ratschläge genau aufnahmen.

Ich war schnell von der Notwendigkeit dreier Kameras überzeugt. Eine, die sich immer auf den Lehrer richtet, eine zweite auf den Schüler im Mittelpunkt der Szene und eine dritte für “Nebensächlichkeiten” wie ein Stuhl, der die Balance verliert, ein Mädchen, das die Haare ihrer Freundin schneidet, ein Schüler, der vor sich hindöst und plötzlich wieder bei der Sache ist – diese Alltäglichkeiten im Klassenleben, die wir nicht hätten inszenieren können. Aber wir mussten ebenfalls unerwartete Ausbrüche und sensible Momente einfangen, die bei einer Szene ad hoc entstanden. Der Klassenraum war quadratisch, wir haben ihn in einen rechteckigen umgewandelt mit einem technischen Korridor von zwei, drei Metern.

Die drei Kameras standen auf der gleichen Seite, immer in die gleiche Richtung orientiert: Der Lehrer links, die Schüler rechts. Dahinter stand die Idee, die Schulstunden wie ein Tennismatch zu filmen, Lehrer und Schüler waren in gleichwertiger Position. Ich befand mich gegenüber den drei Kameras und signalisierte den Kameraleuten die Richtung, wo eventuell etwas passieren könnte. François Bégaudeau und ich lernten nach und nach die Reaktionen vorauszusehen, und wussten, wann die Kamera bereit sein sollte. Die Art, wie François Bégaudeau die Szenen leitete, nachdem wir Ziele und Resultate diskutiert hatten, erforderte ein großes Verständnis zwischen uns, was eher selten ist zwischen Schauspieler und Regisseur oder auch Drehbuchautor und Regisseur. Normalerweise folgt der Schauspieler den Anweisungen des Regisseurs. In der Arbeitsweise unterscheidet sich Die Klasse von meinen anderen Filmen. Das Resultat beruht auf der Teilung von Verantwortung.

Copyright: Mit Material von Concorde / Das Interview führte Philippe Mangeot

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