So habt ihr Daniel Craig noch nie gesehen: Im Kino spielt er jetzt den Anti-Bond und es ist seine beste Rolle

02.01.2025 - 14:10 Uhr
Daniel Craig entwickelt eine Faszination für Drew Starkey in Queer
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Daniel Craig entwickelt eine Faszination für Drew Starkey in Queer
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Daniel Craig hat James Bond satt. Das sagt er nicht nur, er zeigt es auch. Nirgendwo so deutlich wie jetzt im Kino mit Queer. Er spielt verletzlich, lächerlich, süchtig und verliebt wie nie.

James Bond ist eine ansteckende Krankheit. So haben wohl viele ihrer Darsteller die Agentenrolle betrachtet: Einerseits bringt sie Ruhm und viel Geld, andererseits breitet sie sich wie ein Infekt in der Biografie eines Stars und den Köpfen seiner Fans aus, bis der Schauspieler von seiner Figur geschluckt wird. Schon Ur-Bond Sean Connery musste sich irgendwann mit großer Härte von der Rolle abwenden. Daniel Craig geht es nicht anders. Queer ist sein Befreiungsschlag.

Der neue Film von Star-Regisseur Luca Guadagnino, der ab heute im Kino läuft, ist ein fesselnder, schwärmerischer Film, der viele mit Tränen in den Augen zurücklassen wird. Aber er ist auch Craigs ernsthafteste Attacke auf 007. Er spielt einen Anti-Bond: Liebestoll, würdelos, aufdringlich, ohne Manieren, suchtkrank, peinlich. Aber auch voller Liebe, voller Lust am Abenteuer, voller Drang zur Erfahrung. Wie ein schmieriger Motor, der trotz tausend Beulen vorwärts rast.

James Bond-Star Daniel Craig als schwuler Süchtiger: Darum geht's in Queer

Queer ist eine lockere Verfilmung des gleichnamigen Romans des amerikanischen Autors William S. Burroughs (Naked Lunch). Craig spielt den Exilanten Lee, der im Mexiko City der 1950er vor allem auf der Suche nach Liebesabenteuern mit Männern ist. Eines Abends begegnet der Heroinsüchtige dem jungen Eugene (Drew Starkey). Er verliebt sich untersterblich in den schönen, aber radikal unabhängigen Mann. Und öffnet damit eine Wunde, die sich nie wieder schließen wird.

Schaut euch hier den Trailer zu Queer an:

Queer - Trailer (Deutsche UT) HD
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Als in den ersten Minuten des Films ein Cover des Nirvana-Songs All Apologies auf der Tonspur erklingt, Daniel Craig in Zeitlupe an den brennenden Mülltonnen der mexikanischen Nacht vorbeizieht, mit schweißnassen Haaren sein drittes Glas Mezcal hinunterstürzt oder vor Starkeys Figur Pirouetten dreht und davon träumt, seinen Nacken zu streicheln, wirkt es wie eine Selbsttherapie des Hauptdarstellers. Beaufsichtigt von Guadagnino. Und Bond ist die Neurose.

Einzigartige Daniel Craig-Rolle: Deswegen ist Lee ein Anti-Bond

Mit so viel zuckender, zittriger, verzweifelter Menschlichkeit hat man Craig seit vielen, vielen Jahren nicht gesehen. Nicht im unkonventionellen, aber am Ende doch überlebensgroßen Ermittler von Knives Out. Nicht im Panzerknacker-Genie Joe Bang aus Logan Lucky. Erst recht nicht in den hypermaskulinen Ikonen aus den James Bond-Filmen, Layer Cake oder Cowboys & Aliens.

Auch wenn Craigs Bond der erste verletzliche 007 war, ist Lee ein Anti-Bond. Lees Verletzlichkeit wird nicht von der Würde eines Smokingträgers im Zaum gehalten. Kriechend, kauernd, schwankend läuft er Eugene hinterher und schluckt gemeinste Erniedrigungen herunter.

Den Casino Royale-Bond entwaffnen seine Gefühle für Vesper (Eva Green) überraschend, aber Lee hat keinen Kodex, aus dem ihn die Liebe herausbricht. Er rennt durchs Leben wie ein scharfes Messer. Es wird Blut fließen, ob sein eigenes oder das anderer. Das macht die Verletzlichkeit von Craigs Queer-Figur so besonders.

Daniel Craigs Lee ist so verzweifelt und zärtlich wie Bond es nie sein könnte

Guadagnino und sein Hauptdarsteller haben allerdings nicht einfach ein Gegenteil von Bond geschaffen: Queer teilt typische Merkmale der 007-Filme und dreht sie dann durch den Fleischwolf. So macht Daniel Craigs beeindruckender männlicher Körper ihn erst zum fähigen Agenten, den wir respektieren. Lee ist im Vergleich aber nicht dürr und schwach, im Gegenteil.

Auch die Queer-Hauptfigur hat breite Schultern und trägt eine Waffe. Misstrauisch betritt sie Bars, wolfsähnlich streift sie auf Beutezug durch die Straßen. Es ist der genialste Zug in Guadagninos Film.

Lees Verletzlichkeit entlarvt den imposanten Körper, die bewaffnete Bedrohung als Pose: Hier will jemand stärker, gnadenloser, autoritärer wirken, als er ist. Beim Hauch eines lieben Blickes lässt er sich fallen und krümmt sich der Zuneigung entgegen. Das reine Versprechen von Liebe lässt seinen Schild sinken.

Und im vielleicht schönsten Gestus von Queer setzt Guadagnino Craigs muskulösen Körper einem queeren Blick aus, der ihm Zärtlichkeit und Lust verleiht. Wo der James Bond-Star ihn zuvor für Kampf und Eroberung einsetzte, macht er sich jetzt selbst zum Objekt der Begierde. Die Szenen zwischen Craig und Starkey sind im besten Sinne unglaublich, egal ob beim Sex oder drogenberauscht im südamerikanischen Dschungel.

Queer ist ein kleines Meisterwerk, das nicht immer funktioniert

In allen Aspekten legt Craig die 007-Rolle mit Queer ab, aber ist Guadagninos Film auch gut? Ein Muss für Kino-Fans ist er allein schon wegen der Leistung seines Hauptdarstellers. Und der eines hocheffizienten Starkey, selbst wenn ihn sein erfahrenerer Szenenpartner an die Wand spielt.

Queer ist eine schmerzhafte Liebesgeschichte. Aber es ist auch das Reisejournal eines Lebens- und Drogensüchtigen ‒ und beides verträgt sich nicht immer. Gegen den Wahnsinn mancher Szenen wirken Momente am Strand, in denen sich die beiden fotografieren, fast kitschig. Die traumartige, beinahe verstörende Wucht mancher Sequenzen steht neben einigen sehr konventionellen Drehbuch-Wendungen.

Und die großartige, entfremdende Künstlichkeit von Mexiko City, das Guadagnino in der Cinecittà nachbauen ließ, trifft auf die dokumentarische Ästhetik einer Dschungelreise. Queer ist nicht aus einem Guss wie Challengers - Rivalen oder Call Me by Your Name.

Manche Guadagnino-Fans wird das enttäuschen. Aber tatsächlich halten Craigs unfassbare Leistung und Guadagninos unbeirrbarer, präzise beobachteter Humanismus alles zusammen: Queer ist ein wunderschöner, künstlerisch reicher, zärtlicher und kluger Film mit einem großartigen Hauptdarsteller. Unter Guadagninos Filmen ist er ein kleines Meisterwerk, in Daniel Craigs Filmen ein kraftvoller, und hoffentlich fruchtbarer Befreiungsschlag.

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