Schlechte Filmkritik und der Umgang mit Verrissen

25.05.2016 - 08:50 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Batman v Superman: Wenn Filmkritik gefährlichen Hass triggert
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Batman v Superman: Wenn Filmkritik gefährlichen Hass triggert
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Verrissen begegnen Fans oft mit Reflexen, die von Ressentiments bis zu Morddrohungen reichen. Dem zur Dienstleistung verkommenen Teil der Filmkritik erleichtern sie es damit, falsche Antworten auf nicht immer falsche Einwände zu geben.

Mit Filmkritik verhält es sich auf Moviepilot wie in den meisten cinephilen Online-Communitys. Spricht sie einem nach dem Mund, könnte die Zustimmung nicht größer sein. Befragt oder widerlegt sie hingegen populäre Positionen, werden schnell gängige Ressentiments bemüht (oder gleich ihre Abschaffung gefordert). Das grundsätzliche Infragestellen von Filmkritik erfüllt dabei optimalerweise die Funktion einer Rückversicherung, die das Misstrauen im eigenen Interesse als evaluative Impulse versteht, filmkritisches Denken zu verteidigen.

Wenn Diskurse über das Kino immer auch Diskurse über Kinorezeption sind, muss jede Beschäftigung mit Filmkritik zugleich eine Beschäftigung mit Film sein. Die Frage also, ob es Filmkritik braucht , beantwortet sich von selbst, was den Umgang mit ihr nicht einfacher macht: Missverständnisse über Filmkritik  sind hartnäckig. Und schlimmstenfalls reagiert sie auf diese Missverständnisse gleichsam diskursfeindlich – als bloße Dienstleistung, die es sich mit ihren Lesern nicht verscherzen will.

Der Verriss hat in dieser Servicekritik einen schlechten Stand und ist mancherorts bereits gänzlich verschwunden. Es gibt Filmmagazine, die sich eine zugeneigte Berichterstattung zur Aufgabe gemacht haben ("Empfehlungsschreibe"), und solche, die schon aufgrund kommerzieller Abhängigkeiten kaum mehr sind als verkleidete PR der Filmindustrie. Die wenigsten von ihnen leiten ihren Selbstanspruch aus einer cinephilen Ideologie ab: Positiv über das Kino zu schreiben, weil man es nicht der Häme überlassen möchte, kann ehrenwert sein, bekommt aber dort einen Beigeschmack, wo andere Zugänge systematisch unterbunden werden.

So haben die Versuche von Filmverleihern und deren Agenturen, Einfluss auf filmkritisches Denken zu nehmen, in den vergangenen Jahren an Vehemenz zugenommen. Sie reichen von höflichen Vorgaben über restriktive Review-Embargos bis zur Aufkündigung jeglicher Zusammenarbeit, sofern Produkte nicht angemessen repräsentiert werden. Enthusiasmus gerinnt zum strategischen Tool, das den öffentlichen Diskurs absägt.

Noch problematischer wirkt die daraus resultierende Selbstverpflichtung durch den fadenscheinigen Rechtfertigungsversuch, man agiere im Interesse der Leser. Die Angst vor Shitstorms und Nutzerverprellung ist ein Scheinargument, das mit antiintellektuellem Habitus Kundenzufriedenheit garantieren soll: Statt kritische Berichterstattung über bestimmte Filme als zwingende Vorraussetzung der Beschäftigung mit ihnen zu verstehen, wird ihre Aufmerksamkeitsökonomie als Beleg für große Beliebtheit interpretiert und gezielt begünstigt.

Es spielt dann keine Rolle mehr, dass filmkritisches Denken nicht die Bestätigung dessen ist, was man bereits zu wissen glaubt, sondern ein dissensfähiger Prozess – mit der angemessenen Wertschätzung des Gegenstands, dem Mut zum drastischen Geschmacksurteil und einer Bereitschaft zur diskursiven Auseinandersetzung mit Kunst. Oder, um Marcel Reich-Ranicki zu paraphrasieren: Verrisse streben nichts anderes als eine aggressive Verteidigung der Kunst an.

Reich-Ranicki bezog sich nicht dezidiert auf Filmkritik, sein maßgeblicher Essay im 1970 verfassten Buch "Lauter Verrisse" (der 2002 unter dem Titel "Über Literaturkritik" noch einmal gesondert – und bezeichnenderweise unverändert – veröffentlicht wurde) kann jedoch als grundsätzlicher Abriss über Kulturkritik verstanden werden. Die darin gewohnt zugespitzten Ausführungen sind gerade über ihre historischen Rückgriffe interessant: Das Verhältnis der Deutschen zu Kritik nannte Reich-Ranicki durch "prononciert antikritische Tendenzen" eines "von besonderer Art", das "in hohem Maße gestört" sei und "häufig geradezu neurotische Züge" trage, weil "werten mit abwerten und urteilen mit verurteilen" verwechselt werde.

Für die Dringlichkeit von scharfer Kritik argumentierte er nicht zuletzt mit einem biographisch motivierten Verweis auf den Untertanenstaat, "der die Kritisierenden zu verketzern bemüht war". Es könne keine Freiheit ohne Kritik geben. Und keinen guten Kritiker, dem "der Vorwurf erspart bleibt, er sei anmaßend" oder habe eine "schulmeisterliche Attitüde".

Ob diese Vorwürfe demnach zu Recht Standardreflexe entsprechender Ressentiments bilden, darf man natürlich bezweifeln – jedenfalls so lange, wie Filmkritik nicht als Diskussionsangebot oder Anstoß zur Auseinandersetzung mit ihrem Gegenstand begriffen, sondern letztes Wort missverstanden wird. Zu beobachten sind geharnischte Reaktionen sowohl bei Verrissen zu Filmen, für die offenbar ein bestimmtes Rezeptionsdiktat gilt, als auch bei Apologien zu größtenteils negativ aufgenommenen Titeln, die sich gleichfalls zu verbieten scheinen (gern mit Verweis auf das leidige Märchen der Überinterpretation).

Wenngleich Antonionis BlowUp vor 50 Jahren eindrucksvoll das Gegenteil bewiesen hat, geht die nicht totzukriegende Annahme, dass Filmkritik sachlich zu urteilen habe, mit dem Irrtum einher, in der Kunst gebe es eine objektive Wahrheit. Der absurde Kult  um Review-Aggregatoren wie Rotten Tomatoes tut da sein Übriges: Er produziert einen Meinungskonsens, dessen Befürworter zugleich über die Legitimität abweichender Urteile richten (wollen).

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