Körperlich fast nicht zu ertragender Thriller fesselt mit Psycho-Terror im Lehrerzimmer

19.02.2023 - 10:56 UhrVor 2 Jahren aktualisiert
Das Lehrerzimmer läuft im Panorama der Berlinale
Alamode Film/Filmagentinnen
Das Lehrerzimmer läuft im Panorama der Berlinale
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Babylon Berlin-Star Leonie Benesch wird im unangenehmen und doch fesselnden Berlinale-Film Das Lehrerzimmer in einen Strudel aus Anschuldigungen gezogen.

Das Lehrerzimmer ist kein Horror-Film und trotzdem weckt er Gefühle wie Slasher-Schlachtplatten und Folter-Orgien in der FSK-18-Abteilung einer längst eingemotteten Videothek: Man windet sich beim Zuschauen, aber genug kann man davon auch nicht bekommen.

Der deutsche Schul-Thriller mit Leonie Benesch (Babylon Berlin) setzt einen ersten Höhepunkt der diesjährigen Internationalen Filmfestspiele von Berlin. Das Beste an der Sache: Er hat schon einen Kinostart. Aber erstmal zum Film ...

In dem Thriller will eine Lehrerin nur Gutes tun und löst damit einen Skandal aus

In dem Beitrag der Berlinale-Sektion Panorama spielt die großartig sensible Benesch eine Lehrerin, wie man sie sich wünscht. Engagiert, kreativ und modern stellt sie ihren Stoff vor. Egal ob im Mathematik- oder im Sport-Unterricht, Carla Nowak (Benesch) hat die Kinder im Griff, ohne sie "im Griff" zu haben. Die Idealistin schlägt sich auch mal auf die Seite der Lernenden. Das ist nötig, denn als es an ihrer Schule wiederholt zu Diebstählen kommt, greifen ihre Kolleg:innen bei der Aufklärung zu Mitteln, die Carlas Berufsethos infrage stellen. Fortan ermittelt sie eigenmächtig.

Per Video-Überwachung findet sie heraus, dass eine Mitarbeiterin der Schule stiehlt. Ihr Beweisstück löst allerdings eine Kaskade von Konsequenzen aus, die die Lehrerin an den Rand der Verzweiflung treiben werden. Schlimmer noch: Ausgerechnet sie mutiert zum Buhmann ihrer geliebten Schülerschaft.

Jede weitere Eskalation zerrt an den Nerven

Aus der Kette von Tat, Verdacht und Beweis entwickeln Johannes Duncker und Regisseur Ilker Çatak (Es gilt das gesprochene Wort) in ihrem Drehbuch ein Drama mit Tempo und Spannung eines Thrillers und einer nervenaufreibenden Stimmung, von der viele Horror-Filme nur träumen können.

Zunächst zeigt der Film in einfachen, ausdrucksstarken Momenten den Arbeitsalltag der neuen Lehrkraft Carla. Der besteht aus Small Talk, Spannungen im Lehrerzimmer und der anstrengenden, aber erfüllenden Arbeit mit den Kindern. Die Diebstahlserie an der Schule überschattet den Film dabei von Anfang an wie ein Staudamm auf der Suche nach dem Riss.

Diese durch und durch ungemütliche Atmosphäre zeichnet Das Lehrerzimmer aus. Kühl und effizient wird Carlas Arbeit beobachtet, aber kühl und effizient wird auch jede einzelne Eskalationsstufe vorbereitet. Auf Aktion folgt Reaktion. Die junge Lehrerin geht mit den Beweisen zur Direktorin. Die Verdächtige wird konfrontiert. Sie weist alle Anschuldigung von sich. Sie wird beurlaubt. Ihr Sohn gibt Carla die Schuld. Sind die Beweise überhaupt legal? Die Verdächtige droht mit Klage.

Der Druck wird erhöht, bis er kaum noch auszuhalten ist. Und das geschieht mit einer Genauigkeit in Vorbereitung von Wendungen, die an Ruben Östlund (Höhere Gewalt, The Square) erinnert.

So entwickelt Das Lehrerzimmer ein beinahe unerträgliches Spannungsfeld. Auf der einen Seite steht Carla, die im Recht ist und doch Ungerechtigkeiten heraufbeschwört. Jede gut gemeinte Aktion stellt sich als Bumerang ungeahnter Folgen heraus. Auf der anderen Seite steht die Verdächtige. Dazwischen findet sich ihr Sohn wieder, dessen kindliche Zerbrechlichkeit zwischen den kollidierenden Erwachsenen geradewegs ins Herz sticht.

Das Lehrerzimmer greift gravierende Probleme des Schulbetriebs auf

Dieser Psycho-Krieg lebt auch von seiner Alltäglichkeit. Den Dynamiken im Klassen- und Lehrerzimmer wird die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt. Mobbing unter den Kindern und Jugendlichen steht neben passiv-aggressiven Spitzen unter den Lehrkräften. Das ist wie Stromberg an der Schule, nur mag man alle Beteiligten und zu lachen gibt's wenig (aber immerhin ein bisschen).

Ich habe mich jedenfalls im Berlinale-Sessel gewunden und flehend dem Notausgang-Schild zugezwinkert, auch weil sich die Kamera von Judith Kaufmann (Corsage) konsequent an die Fersen von Leonie Beneschs Carla heftet, weshalb die anderen Menschen irgendwann in ihr Leben hineinbrechen wie besagter Staudamm auf ein idyllisches Dorf. So eng jedenfalls wird unsere Perspektive mit jener der jungen Lehrerin verflochten, dass es einem irgendwann die Luft abschnürt.

In Das Lehrerzimmer werden systemische Probleme des Schulbetriebs gestreift, wenn Kinderleben unterm Rad von Ressentiments und Bürokratie geraten. Wenn niemand nach dem "Warum" fragt, und alle nach dem "Wer". Und das ist ein Vorwurf, dem sich die mutige, idealistische, bewundernswerte Carla genauso stellen muss, wie alle anderen.

Das Lehrerzimmer kommt am 4. Mai 2023 in die Kinos und er ist schon jetzt eines der Highlights des deutschen Filmjahres.

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