Polizeiruf 110 - Vor aller Augen

05.05.2013 - 21:45 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Polizeiruf 110 - Vor aller Augen
ARD/rbb
Polizeiruf 110 - Vor aller Augen
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Dass Betriebsausflüge die Hölle sind, mussten schon viele Arbeitnehmer erfahren, doch in Polizeiruf 110 – Vor aller Augen führt ein Wochenende mit den Kollegen fast zum Tod der Chefin.

Obwohl Polizeiruf 110: Vor aller Augen seinen Anfang in einer Westernstadt nimmt, verkommt der Krimi nicht zur Gimmick-Episode. Stattdessen lassen Sheriff Lenski (Maria Simon) und Chief Krause (Horst Krause) den Saloon schnell hinter sich und ermitteln in einer Werft, die vor dem wirtschaftlichen Aus steht. Deren Chefin stirbt nämlich beinahe bei einem Betriebsausflug und die Mitarbeiter sehen tatenlos zu. Unspektakulär, wie wir es von den Lenski/Krause-Fällen aus Brandenburg gewohnt sind, bietet Polizeiruf 110 – Vor aller Augen doch eindrückliche Bilder menschlicher Abgründe.

Lokalkolorit: Im Brandenburger Hinterland erwartet der geneigte Besucher keine Saloons und Cowboys. Die Westernstadt Eldorado bei Templin am Röddelinsee bietet genau das. Hierhin verschlägt es die Mitarbeiter der Werft Stolze und in ebendieser verfremdeten Umgebung kommen die Konflikte innerhalb der Firma zum Vorschein, als gölten die Regeln der normalen Welt plötzlich nicht mehr. Dementsprechend stark ist der Kontrast zum brandenburgischen Kleinstadtleben mit seinen niedlichen Gartenlauben und Apfelbäumen.

Plot: Dass Michaela Stolze (Catherine H. Flemming) Messerwerfen als Motivationsmethode für gestresste Mitarbeiter auserkoren hat, sagt bereits viel aus über ihren Führungsstil in der Werft. Da wundert es wenig, dass der Diabetikerin am nächsten Morgen niemand zu Hilfe eilt, als sie völlig nackt im Saloon des Hotels auftaucht und zusammenbricht. Spätestens als jemand ihr im Krankenhaus mit Lösungsmittel den letzten Rest geben will, glauben Lenski und Krause an eine Vertuschungsaktion eines Kollegen. Etwas hinderlich ist es allerdings schon, dass in der Werft Stolze so gut wie jeder ein Motiv hat, sogar der Vater des Opfers (Otto Sander).

Unterhaltung: Die Grundkonstellation von Polizeiruf 110 – Vor aller Augen hätte ideales Material für ein klassisches Whodunnit abgegeben. Eine exotische Location, eine begrenzte Zahl von Verdächtigen und zwei Ermittler würden jedem Agatha Christie-Lehrling für 300 Seiten leichter Krimikost genügen. Die Brandenburger Polizeirufe sind aber nicht auf die offensichtlichen Pointen aus, wobei es ihnen keinesfalls an Humor mangelt. Vielmehr bewahren Lenski und Krause ihre Bodenhaftung und bewegen sich meist durchs mittelständische Milieu, in dem nette Sekretärinnen von den Umwälzungen der Globalisierung zum Mord getrieben werden.

Tiefgang: Eine Firma sei wie eine Familie, meint Otto Sander als Ludwig Stolze einmal. Da verzeihe man die Schwächen des anderen, anstatt sich gegenseitig einzuschüchtern. Stolze gibt seiner Tochter die Schuld am Niedergang der Werft, doch wenn wir ihn so giftig reden hören, wundern wir uns gar nicht mehr über ihre Strategie innerhalb der modernen Wirtschaftswelt zu bestehen. Die Rücksichtslosigkeit, mit der sie das Schiff auf Kurs halten will, fällt beim Motivationstrip auf sie zurück. Wenn Petzold erst seinen Kaffee trinkt und dann mit der Sekretärin zu den Klängen eines vergnüglichen Country Songs Small Talk hält, während im Hintergrund eine nackte Frau röchelnd am Boden liegt, findet Polizeiruf 110 – Vor aller Augen sein stärkstes Bild für eine wirtschaftliche Mentalität, in der sich jeder selbst der nächste ist.

Mord des Sonntags: Zum Wochenabschluss gab es zur Abwechslung mal keinen Mord, dafür eine tolle Daniela Hoffmann als Sekretärin Petra, die im Flashback auf der Treppe des Saloons ihre eiskalte Seite auspackt.

Zitat des Sonntags: “She was the boss into the ring.”

Country-Musik wirkte selten so grausam wie in diesem Polizeiruf, der sein Team in gewohnter Topform präsentierte.

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