Polizeiruf 110: Hexenjagd - Explosiv war gestern

14.12.2014 - 20:10 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Polizeiruf 110: Hexenjagd
rbb/ARD
Polizeiruf 110: Hexenjagd
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Eine Bombe geht hoch in einer Schule, doch was andere Krimis für Effekthascherei ausbeuten, dient beim Brandenburger Polizeiruf als Impuls für die gemächliche, wenn nicht einschläfernde Aufdröselung institutioneller Missstände - oder deren Wahrnehmung.

In Tatort: Ohnmacht hatte Corinna Kirchhoff noch eine Mutter gespielt, die alles für ihre außer Rand und Band geratene Tochter tun würde, Polizeiruf 110: Hexenjagd verlegt sich hingegen nicht auf die Suche nach Schuldigen. Kirchhoffs Figur der abgebrühten Schulleiterin Strasser ist nur eines von vielen Elementen, die dazu beitragen, dass eine Rohrbombe in ihrem Büro hochgeht. Unspektakulär und mit der gewohnten Ruhe des Brandenburger Teams um Olga Lenski (Maria Simon) und Horst Krause (Horst Krause) geht das Drehbuch von Kristin Derfler (Es ist nicht vorbei) den kleinen und großen Krisen des Schulalltags nach, beleuchtet gestresste Schüler, überforderte Lehrer und jene Aspekte des hiesigen Bildungssystems, die als Brandbeschleuniger zur Beinahe-Katastrophe führen. Im Film zumindest.

Polizeiruf 110: Hexenjagd

Bis Olga Lenkis Nachwuchs in die Schule kommt, dauert es noch eine Weile. Ihre private Zerrissenheit ob ihrer eigenen kleinen Familie flackert auch in diesem Polizeiruf auf, ohne dass sich ein in Großbuchstaben angekündigtes Drama daraus entwickelt. Das passt zur eher gleichmütigen Lenski wie auch die Aufbereitung ihres neuen Falls: Im Büro einer Schulleiterin detoniert eine Rohrbombe, verletzt wird aber nicht das offenbare Ziel, sondern eine junge Referendarin, die von ihren Schülern kurz vorher erniedrigt wurde. Während Lenski den Fall angeht, scheint der Rest der Schulwelt wenig um Aufklärung bemüht. Schulleiterin Strasser setzt auf die schnelle Rückkehr in den Alltag und Elternvertreter fürchten um die Abschlüsse ihrer Sprösslinge ("Die Prüfung ist wichtig. Wenn er die nicht schafft, hat er keine Aussicht auf irgendwas."). Die Teenies scheinen selbst in den vier Wänden ihres Heims mit sich alleingelassen. Was ihr Verhalten im Verlauf des Krimis weder entschuldigt, noch derart dämonisiert wie im oben genannten Tatort aus Köln.

Die Differenziertheit im Umgang mit Helikopter-Eltern (bzw. "unreifes Agitprop-Gehabe"), achtjährigem Gymnasium und beider Einfluss auf Schüler und Lehrer schlägt sich nicht unbedingt auf die Musik nieder (von "I want to shoot / The whole day down, down, down" zu "Under Pressure" in einer halben Stunde). Dessen ungeachtet ist die Gelassenheit, die Lenski und Krause (und Hund) für gewöhnlich bei ihren Einsätzen mitbringen, vielleicht genau das richtige für einen Krimi, der zumindest auf dem Papier thematisch genauso überlastet zu werden droht wie seine Figuren. So müssen beispielsweise Winnenden und Erfurt auch noch in die Dialoge eingeflochten werden, als wären umstrittene Bildungsreformen nicht genug Bürde für knapp 90 Minuten Sonntagabendunterhaltung.

Anstatt jedoch mit dem öffentlich-rechtlich finanzierten Finger auf eine der Parteien zu zeigen, verlegt sich der Krimi auf die Skizzierung verschiedenster Motivlagen, ein empathischer Ansatz, den man anderen Vertretern seines Genres nur wünschen kann. So erfahren wir vom elterlichen Druck auf die Jugendlichen, als würde deren ganzer Lebensweg von eine Note abhängen, den Leidern einer Referendarin in der Praxis und Lehrern, die von Reformen in die Frührente getrieben werden. Über allem aber steht die stoische Schulleiterin Strasser, beängstigend souverän von Kirchhoff gespielt, die den Laden am Laufen hält, möge kommen, was wollle. Nur einmal, bei Weißwein und Rotstift, bröckelt ihre Fassade. Da korrigiert sie gerade die Arbeit ihres eigenen Kollegen.

Zitat des Sonntags: "Haben sie nie das Gefühl, am Ende ihrer Kräfte zu sein?"


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