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Mein Blick in den "Black Mirror"

27.02.2018 - 21:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Ich wage einen Blick in den "Black Mirror", wo einem die düstere Zukunft fies zurück lächelt.
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Ich wage einen Blick in den "Black Mirror", wo einem die düstere Zukunft fies zurück lächelt.
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Kürzlich habe ich mir die aktuell verfügbaren Staffeln zu "Black Mirror" angeschaut. Viele Folgen haben mich mit ihrer extremen Zukunftsvision begeistert, abgeschreckt oder/und zum Nachdenken angeregt. Neue Möglichkeiten durch technische Entwicklungen wurden beispielsweise in verschiedenen Episoden aufgegriffen, genauso Formen der Bestrafung, die unser Rechtsempfinden auf die Probe stellen. Doch ein Thema fehlte mir bisher, welches ich im Folgenden versucht habe, in einer eigenen "Black Mirror"-Geschichte zu verarbeiten.

Ein Wecker kreischt in die schwarze Stille. Ein schweres Augenlied öffnet sich. Die blaue Iris starrt ins Leere. Rote Blitze haben sich durch das gelbliche Weiß gefressen. Eine Frau richtet sich auf und bindet sich ihre langen dumpfen Haare zu einem Pferdeschwanz. Sie lässt ihr Bett, wie es ist. Ihre graue Standartkleidung hängt ihr lose von den Schultern und Hüften. Leicht gebückt schlürft sie ins Badezimmer durch einen schmalen Flur. Das schwache Licht der Lampe lässt vergilbte und bereits rissige Zeitungsartikel, mit Klebestreifen wild an der Wand befestigt, erkennen. Blasse große Buchstaben brüllen ihre Botschaft jedem entgegen, der sie zu lesen vermag: „Klimakonferenz wieder gescheitert, ist es jetzt zu spät?“, „Weite Teile in Küstennähe werden evakuiert – Meeresspiegel erreicht dramatischen Höchststand“, „Der große Schock: Atomentlager sind doch nicht sicher – bereits 50% der Erdoberfläche sind aktuell nicht mehr bewohnbar“, „Neubeginn in Afrika, Industrieländer siedeln um“, „Neues Land, alte Fehler – Luftverschmutzung so hoch wie noch nie“.

Die schlürfenden Schritte verstummen. Ein gleichgültiges Gesicht blickt in einen Spiegel. Dicke Augenränder hängen unter den Lidern. Die fahle, fleckige Haut versteckt nur mit Mühe was darunter liegt. Ihr Blick wandert zu einem Werbefoto, ausgerissen aus einer Zeitschrift, welches an der Seite in den Spiegel geklemmt ist. Eine Frau strahlt mit der Sonne um die Wette. Dabei zeigt sie ihre strahlend weißen Zähne und erwidert selbstbewusst den Blick. Im Arm hält sie einen Korb, gefüllt mit frischen knackigen Früchten. Gleichgültige Augen wandern zurück und treffen wieder das eigene Gesicht. Ein leises Seufzen entfährt ihren trockenen Lippen. Sie senkt ihren Blick und verharrt kurz auf dem matten Waschbecken. Der Hebel des Wasserhahns ist abgebrochen worden und liegt verrostet und achtlos in der Ecke. Die Hand der Frau hält den Waschbeckenrand. Ein Verband ist um die Handfläche gewickelt, dunkelrote Flecken zeugen von einer älteren Verletzung. Langsam hebt die Frau ihren Blick wieder, schaut ein letztes Mal in den Spiegel, um sich dann von ihm abzuwenden und in den kleinen, düsteren Wohnbereich zurück zukehren.

Die schlürfenden Schritte verstummen. Die Frau steht vor einem Schränkchen. Sie nimmt ein weißes und flaches Rechteck aus einer Folie heraus, legt es auf einen Teller und schiebt es in die Mikrowelle. Ein leises Summen erfüllt den Raum. Dann drückt sie den großen, runden Knopf an der Wand daneben. Ein unheilvolles Poltern kündigt die Ankunft eines harten Gegenstandes an. Durch eine Röhre, die von der Decke an der Wand entlang läuft, fällt eine Wasserflasche und kommt sanft auf dem Schränkchen zum Stehen. Behutsam öffnet die Frau das Ende der Röhre und leert sie. Die Flasche liegt schwer in ihrer Hand, doch ihre Augen erhellen sich ein klein wenig. Gewissenhaft liest sie die Worte auf der Versiegelung: „Tagesration, sparsam zu gebrauchen“ und dreht den Deckel auf. Sie füllt ihr Glas zur Hälfte und wartet geduldig, bis der am Flaschenhals hängende Tropfen sich dazu entscheidet, den Sturz in die Tiefe auf sich zu nehmen. Langsam hebt die Frau ihr Glas und nimmt einen großen Schluck. Sie schließt ihre Augen, verharrt kurz in diesem Moment. Ein leichtes Lächeln huscht über ihre Lippen. Dann trinkt sie weiter, bis das Glas vollständig geleert ist.

„Bing!“ Das Summen der Mikrowelle verstummt. Sie nimmt den Teller heraus. Das weiße Etwas ist nun doppelt so groß geworden. Gleichgültig bricht sie ein Stück davon ab, steckt es in den Mund und kaut lustlos darauf herum. Dies wiederholt sie gedankenverloren, bis nur noch Krümel übrig sind. Den Teller und das Glas stellt sie in einen Reinigungsapparat. Druckluft erfüllt seinen Zweck mit einem lauten und aggressiven Pusten. Doch die Frau hat sich bereits umgedreht und schlürft zurück in den Flur bis zum Ende des Ganges. Das schummernde Licht wirft dabei ihren Schatten auf den Boden, lässt ihn kleiner werden, bis er kurz fast zur Gänze verschwindet und wieder zu wachsen beginnt. An der Tür angekommen, öffnet sie eine Schleuse und greift in den Schrank neben sich. Mit beiden Händen hebt sie einen Schutzanzug vom Haken, in den sie sich mühevoll hineinzwängt. Sie steckt ihre Füße in die schweren Schuh, verbunden mit der Hose. Danach verdreht sie die Arme nach hinten, um sie in die Ärmel zu stecken. Ihre Finger berühren innerlich die kalten und harten Handschuhspitzen. Sie schließt den Anzug, um sich zuletzt die Atemschutzmaske mit der Kapuze des Anzugs aufzusetzen. Langsam dreht sie sich zur Ausgangstür. Ihr Blick fällt auf eine Postkarte, die daran befestigt wurde. Ein rauschender Bach windet sich kühl über verschiedengroße Steine durch eine wilde Wiese. Im Hintergrund ragt ein Berg in den blauen Himmel, leicht schneebedeckt von der letzten kalten Winternacht. Sie drückt den Schalter neben der Tür. Dunkelheit umhüllt sie und der Traum vergangener Tage verschwindet im Nichts.

Mit blechernem Rattern hebt sich das Eingangstor. Zunächst fällt durch einen kleinen Spalt am Boden etwas Licht. Dann wächst er weiter und weiter, bis das Geräusch verstummt und das helle Viereck zu seiner vollen Größe herangewachsen ist. Die Frau im Schutzanzug tritt hinaus in das neblige Orange des Tages. Schritt für Schritt wagt sie sich über den kargen Sandboden. Es ist nichts zu erkennen, außer zwei Lichter in der Ferne. Sie bewegt sich darauf zu, geht langsam und mühevoll, schlürft leicht gebückt der Ungewissheit entgegen. Die Schemen eines Hochhauses beginnen sich im Staub abzuzeichnen, mit einer Fassade, deren Ende nicht zu erkennen ist. Die Lichter werden zu Lampen, die eine Reklame an der Wand beleuchten: „Das vollwerte Brot für jede Mahlzeit, mit all den Nährstoffen, Vitaminen und Mineralien, die du brauchst, um gesund zu bleiben. Vitabread – für ein langes Leben!“. Sie bleibt stehen und senkt den Kopf. Als sie wieder aufblickt, dreht sie ihn zunächst in die eine Richtung, dann in die Andere. Ein leises Stöhnen ist zu vernehmen, ehe sie weiter geht und langsam den unzähligen Lichtern in der Ferne folgt, bis sie im staubigen Dunst des Tages nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein scheint und schließlich zur Gänze verschwindet.

Was seht Ihr, wenn Ihr in den Black Mirror schaut?

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