Julius Schultheiß über die Arbeit an seinem Debütfilm Lotte

19.06.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Julius Schultheiß
Eva Maibaum
Julius Schultheiß
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Wir haben uns mit Nachwuchs-Filmemacher Julius Schultheiß getroffen, um mit ihm ausführlich über seinen erfolgreichen Debütfilm Lotte zu sprechen, den er völlig unabhängig finanziert und realisiert hat. Die Belohnung war eine Einladung zur diesjährigen Berlinale.

Der Marburger Jungregisseur Julius Schultheiß ist Absolvent der Kunsthochschule Kassel . Nach seinem Abschluss im Jahr 2013 nahm er die Arbeit an seinem Debütfilm-Projekt auf. 2 Jahre später reichte er seinen gänzlich unabhängig finanzierten Film Lotte bei der Berlinale  ein und durfte sich über die diesjährige Teilnahme in der Sektion Perspektive Deutsches Kino  freuen. Außerdem gewann sein erfrischend radikales Filmwerk Lotte vor Kurzem beim Achtung Berlin Festival  den Preis als Bester Spielfilm. Für den zweiten Teil der Textreihe Crowdfunding: Eine Chance auf bessere Filme? haben wir uns mit ihm getroffen.

Julius, wann hast du entschieden, dein Filmprojekt Lotte völlig unabhängig zu realisieren und warum?

Der Punkt, an dem ich entschieden habe, Lotte aus eigener Tasche ohne Fördermittel oder gar Sender-Beteiligung zu finanzieren, war sehr früh erreicht. [...] Man braucht für diese Förderanträge einfach einen Produzenten an seiner Seite [den ich nicht hatte], jemanden, der gut vernetzt ist und sich für dich stark macht und mit den Sendern auf Tuchfühlung geht. [...] Anfang 2014 habe ich zwar nochmal in Hessen Förderung beantragt, aber letzten Endes war das verschenkt [...], weil das Drehbuch zu der Zeit auch noch nicht ausgereift genug war. Ganz unabhängig davon hat der Film auch überhaupt keine Struktur, die förderungswürdig wäre. Obwohl ich den Film eigentlich nie als wirklich krass [und radikal] empfunden habe.

Obwohl es ja schon einige sehr eigenwillige Szenen gibt, etwa wenn Mutter und Tochter exzessiv zusammen Party machen, Drogen nehmen.

Ja, und viele Leute fragen sich wahrscheinlich schon, wo denn eigentlich die Charakterentwicklung der Figur [Lotte] ist. Wann versteht sie denn endlich was? Und vor allem, wo ist das Ende? Also in jeglicher Hinsicht wäre das Projekt so gar nicht zu fördern gewesen. Und das liegt auch daran, dass das Drehbuch nie perfekt war. Das Drehbuch hatte nie mehr als 65 Seiten und da würde natürlich auch jeder [Förderer oder Redakteur] skeptisch sein und fragen: Wie, du willst daraus einen 90 minütigen Spielfilm machen?

Und woher hattest du die Idee für Lotte?

Das war in jeder Hinsicht eine Fusion aus ganz vielen Ideen und Inspirationsquellen. Also die grundlegende Ausgangssituation der Handlung habe ich in groben Zügen von einem Bekannten übernommen: eine ähnliche Konstellation, aber eben ein junger Mann. Also im Grunde wäre es eigentlich eine Mutter-Sohn-Geschichte gewesen. [...] Lotte (Karin Hanczewski) ist ein Aggressor. So "Scheiß auf alles!" Sehr ignorant. Das kam wieder aus einer anderen Ecke. [...] Und ich kannte tatsächlich mal eine Krankenpflegerin, die eine Tochter hat. Und die sind auch öfters zusammen feiern gegangen. Zu einem großen Teil basiert Lotte auch auf mir selbst. Ganz viel von mir ist da drin.

War Lotte eigentlich von Anfang an so radikal in ihren Wesenszügen und so provokant in ihrem Verhalten angelegt?

Sie war im Drehbuch sogar noch härter drauf, von Anfang an. Also Lotte hat im Drehbuch noch viel weniger gelernt und es ist ja auch im Film recht rar, dass sie ihre Maske mal ablegt, Gefühle zeigt und sich wirklich öffnet. Darauf mussten wir dann im Schnitt auch sehr achten, wann wir sie eigentlich mal richtig sehen. Davon brauchten wir ziemlich viel. Aber das gab es halt kaum. Im ersten Drehbuch-Entwurf gab es quasi gar keine Szene, in der sie sich mal wirklich öffnet. Das Drehbuch ging damals auch noch deutlich pessimistischer aus als der Film. [...] Wo Lotte wirklich gar nichts gelernt hat. Aber dann haben wir uns irgendwann gesagt: Das können wir nicht bringen, dass sie rein gar nichts lernt und alle permanent vor den Kopf stößt. [...] Das jetzige Ende lässt ja noch Hoffnung zu.

Wie war das für dich, ganz allein und unabhängig an deinem Lotte-Projekt zu arbeiten? Die lang ersehnte Freiheit oder hin und wieder auch beängstigend?

Auf der einen Seite war das erstmal gut, weil das natürlich auch ein guter Test des eigenen Könnens ist. Wenn man dann seinen Debütfilm vergeigt, kann man sich sagen: Okay, such dir gefälligst was anderes! Aber während des Schreibens an Lotte habe ich natürlich die ganze Zeit gezweifelt. Man weiß ja auch nie hundertprozentig, wie etwas später beim Publikum ankommt. [...] An das viele Geld denkt man erstmal weniger. So nach dem Motto: Das Geld ist eh’ weg. Wenn jetzt noch etwas Gutes dabei herauskommt, umso besser. Aber die Zweifel sind natürlich immer da, vor allem, weil man sich währenddessen auch immer wieder die Frage stellt: Du machst jetzt Produktion, Regie, Buch und packst auch sonst überall mit an - also inwiefern machst du jetzt gerade eigentlich das, was existenziell wichtig wäre, nämlich hier die Regie zu führen. Da zweifelt man ziemlich oft dran und ist meistens echt fix und fertig. Aber das gehört halt einfach dazu. Wenn du dich von allem lossagen willst, bedeutet das immer mehr Zeit, mehr Energie, mehr Kraftaufwand. Aber man kann sich natürlich fragen, ob der Film womöglich noch viel besser geworden wäre, wenn ich einerseits die Unabhängigkeit gehabt und mich andererseits voll und ganz auf die Regiearbeit hätte konzentrieren können.

Also hat diese Art des unabhängigen Filmemachens für dich persönlich eher kein Zukunftspotential?

Naja, ich würde durchaus nächstes Jahr wieder einen Film auf die gleiche Art und Weise machen, wenn es bis dahin mit Fördergeldern wieder nicht klappen sollte. Man wird ja auch oft gezwungen, am System vorbei zu arbeiten. Und dann hat man entweder die Energie und das nötige Kleingeld dafür oder eben nicht.

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