Interview mit den Hauptdarstellern Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri

29.07.2009 - 09:00 Uhr
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Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri sprechen gemeinsam über ihren neuen Film Erzähl mir vom Regen, über die Figuren, die Dreharbeiten – und das Wetter.

Erzähl mir was vom Regen ist die Geschichte einer feministischen Politikerin, die zum Wahlkampf zurück in ihre alte, provinzielle Heimat fährt. Agnès Jaoui hat nicht nur die weibliche Hauptrolle der Agathe gespielt, sie hat auch das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Co-Autor des Drehbuches und ihr Partner in der französischen Komödie ist Jean-Pierre Bacri.

Vorweg schon mal ein kurzer Teaser zum Film:

Erzähl mir was vom Regen ist bereits Ihr dritter Kinofilm. War Ihre Herangehensweise diesmal eine andere als bei den ersten beiden?

Agnès Jaoui : Ja und nein. Vielleicht war ich diesmal etwas entspannter. Mit
zunehmender Erfahrung lernt man, dass nichts endgültig ist, dass man alles noch einmal ganz neu und anders machen kann. Jede Entscheidung ist folglich viel weniger gravierend, als man sich das vorher gedacht hat.

Außerdem war ich ja von Leuten umgeben, mit denen ich schon einmal zusammen gearbeitet hatte, allesamt versierte Profis, denen ich diesmal noch mehr Vertrauen entgegenbrachte. Ich glaube auch, dass ich gewisse Fortschritte gemacht habe, von den Darstellern genau das zu bekommen, was ich von ihnen erwarte. Im Endeffekt waren wir aber alle auf der gleichen Wellenlänge: Wir hatten alle denselben Film im Visier, und das war ein großes Glück.

Sie haben ein großes Faible für Plansequenzen…

Agnès Jaoui : Ich habe fast so eine Art Komplex, wenn es um das Schneiden geht… Wenn ich möglichst viele Plansequenzen drehe, dann liegt das auch daran, dass mir bis zum Überdruss zerschnittene Filme nicht sonderlich gut gefallen. Zumindest sind sie keine Lösung für unsere Geschichten, zumal diese ja von so hervorragenden Darstellern
getragen werden.

Ich mag es, wenn man alle Figuren in derselben Einstellung zu sehen bekommt – fast wie im Theater. Anstatt die Emotionen in Großaufnahmen zur Schau zu stellen, ziehe ich es vor, sie langen Einstellungen sichtbar zu machen, wobei man die Anwesenheit der Kamera nicht spürt, aber gleichzeitig Kino entsteht. Daher auch meine Entscheidung, in Cinemascope zu drehen, ein Format, das ich liebe und dem ich einfach nicht widerstehen kann, weil es für mich der Inbegriff des Kinos ist.

Bei diesem Film entsteht der Eindruck, als hätten Sie noch einmal neue Register gezogen: Ihr seid auf viel unverhohlenere Weise komisch, etwa in der Szene mit dem Joint oder bei der Begegnung mit den Bauern, gleichzeitig aber auch viel sentimentaler, wenn es um die amourösen Verflechtungen zwischen den Figuren geht.

Agnès Jaoui : Komischer zu sein, das war von Anfang an unsere Absicht, schon bei der Arbeit am Drehbuch. Schau mich an! war ja ein eher düsterer Film, deshalb hatten wir Lust, zur Komödie zurückzukehren. Was die sentimentale Seite betrifft, so ist uns das gar nicht so sehr aufgefallen, vielleicht weil die Darsteller großen Anteil daran hatten.

Jean-Pierre Bacri : Vielleicht hat uns Thema des Films generell dazu geführt, uns mehr auf die privaten Verhältnisse zwischen den Figuren zu konzentrieren als auf ihre soziale Stellung, ihre Lebensverhältnisse und ihre Machtpositionen. In Erzähl mir was vom Regen sind die Beziehungen zwischen den einzelnen Personen im Wesentlichen durch freundschaftliche Verbundenheit oder Familienbande geprägt – auch wenn in einer Gruppenkonstellation zwangsläufig auch Machtverhältnisse mit im Spiel sind. Um es mit Karims Worten zu sagen – die “ganz gewöhnliche Erniedrigung” zieht sich wie ein roter Faden durch den Film…

Agnès Jaoui : Alle fühlen sich gedemütigt oder, besser gesagt, sie sehen sich als Opfer irgendeiner Ungerechtigkeit, wenn nicht gar Diskriminierung: Agathe als Opfer von Sexismus, Karim als Opfer von Rassismus, bei Florence ist es der Umstand, dass sie weniger geliebt wurde als ihre Schwester, und bei Michel der, dass er das Sorgerecht für seinen Sohn verloren hat. Es schien uns, dass sich in unserer heutigen Zeit viele Leute in einer Opferrolle sehen und dass sie sich darin einnisten, weil man ihrer Ansicht nach ihre Leiden nicht genug würdigt.

Jean-Pierre Bacri : Der Umstand, einer Minderheit anzugehören, kann einen schnell dazu verleiten, für sich persönlich eine bequeme Position einzunehmen: Wir lassen uns durch den Opferstatus leicht blenden und dazu verführen, vor unserer Verantwortung davon zu laufen. Daher rührt unser Interesse, Menschen zu zeigen, die dazu tendieren, ihre Opferrolle in den Vordergrund zu rücken, bevor sie sich über ihre Verantwortung ihren Mitmenschen gegenüber Gedanken machen.

Am Ende des Films scheinen sich alle Figuren weiterentwickelt zu haben. Ausgenommen vielleicht Florence, das ewige Opfer, die sich dafür entscheidet, ihrer Liebe zu Michel zu entsagen, und mit ihrem Mann zusammenbleibt…

Jean-Pierre Bacri : Das Verhältnis zwischen ihr und ihrem Mann ist zu einem Spiel geworden, das festen Regeln folgt: Er ist wie ein kleiner Junge, von allen verlassen, der ohne sie nicht auskommen kann, und sie ist ganz glücklich über die ihr zugedachte Rolle.

Agnès Jaoui : Wir sind alle Erben gewisser Gegebenheiten. Die Vergangenheit ist der Quell zahlreicher Widersprüche: Mimouna will sich scheiden lassen, gleichzeitig will es ihr aber nicht in den Kopf gehen, dass Agathe unverheiratet bleibt; Florence will zwar unbedingt frei sein, doch am Ende erscheint sie fast noch unentschlossener als Mimouna. Der Film stellt auch verschiedene Frauengenerationen und ihre Widersprüche einander gegenüber.

Wie erklärt sich der Wunsch, eine Politikerin zu porträtieren?

Agnès Jaoui : Am Anfang hatten wir nicht zwingend an eine Frau gedacht. Ursprünglich sollte Jean-Pierre Bacri einen Bürgermeister spielen. In jedem Fall wollten wir aber über Politik reden, das ja! Ich persönlich finde die Vorstellung beängstigend, dass kein Mensch mehr in die Politik gehen mag, so verschrieen, wie sie nun einmal ist… – und dass wir deshalb bald nur noch Dummköpfe als Volksvertreter haben werden. Wie gut, dass es noch Politiker gibt, sonst würden wir hier im Wilden Westen leben. Ich bin gegen diese weitverbreitete Ansicht, wonach die Politiker allesamt Betrüger sind…

Jean-Pierre Bacri : …genau, diese Kleinkrämermentalität, die sich auf den Ausspruch beschränkt: “Die Politiker sind doch samt und sonders Lumpen, die uns an der Nase herumführen; ob bei der Linken oder bei der Rechten, überall das Gleiche…” Wir jedenfalls finden Politik gut, und wir hatten Lust, das einmal zu sagen und zum Ausdruck zu bringen. Nun, ich hoffe, dass das sichtbar geworden ist…

Mimouna ist die einzige Laiendarstellerin des Films…

Agnès Jaoui : Diese Figur ist zum Großteil durch Mimounas persönliche Geschichte inspiriert. Daher konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie von jemand anderem gespielt werden könnte. Ich bewundere diese Frau, die als Siebzehnjährige mit ihrem Mann aus Algerien gekommen ist. Wir haben sie kennengelernt, weil sie Hausmeisterin eines Hauses war, das wir gemietet haben. Diese Frau versetzt einen in Staunen und ist überaus liebenswürdig. Schon nach drei Tagen war sie mit den Ausstattern auf Du und Du und wurde von allen Mitarbeitern geliebt.

Wie erklärt sich der Titel des Films?

Jean-Pierre Bacri : So wie immer: Wir hatten einfach keinen besseren!

Agnès Jaoui : In Wahrheit war es sogar noch schlimmer als sonst, denn für gewöhnlich ergeben unsere Filmtitel zumindest einen Sinn! Ursprünglich stammt der Titel aus einem Chanson von Georges Brassens: “Erzählt mir vom Regen, kein Wort von Sonnenschein. Der Sonnenschein macht mich wütend und ich knirsche mit den Zähnen…” “Stumpfsinnige Länder, wo es niemals regnet”, so etwas sagt doch jede Menge aus! Man weiß ja, was hinter dem Mythos von Kalifornien oder der Côte d’Azur steckt… Eines Tages spazierte ich jedenfalls mit meinem iPod über den Pont des Arts in Paris und hörte dabei aus purem Zufall eben dieses Chanson.

Jean-Pierre Bacri : Abgesehen davon wollten wir aber von Anfang an Regen in unserem Film haben, schon lange bevor wir den Titel hatten… Das heißt, Agnès wollte Regen haben.

Agnès Jaoui : Im Gegensatz zu Jean-Pierre reagiere ich sehr empfindlich auf schlechtes Wetter. Mich deprimiert es. 50% der Menschheit leiden physiologisch bedingt an Wetterfühligkeit, und unter diesen 50% sind 80% Frauen. Mich jedenfalls deprimiert das…– aber im Kino macht sich der Regen doch eigentlich ganz hübsch!

Mit Material von Alamode Film.

Erzähl mir was vom Regen startet am 30. Juli 2009 in den deutschen Kinos.

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