Ich, Tony Hawk's Underground 2 & der Traum vom Skateboarding

06.10.2015 - 09:00 Uhr
Tony Hawk's Underground 2
Activision
Tony Hawk's Underground 2
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Auch wenn ich den Gedanken an eine reale Karriere auf dem Rollbrett verworfen hatte, stellte sich Tony Hawk's Underground 2 als mein wahr gewordener Traum vom Skateboarding heraus.

Mit zittrigen Knien und nass geschwitzten Händen stand ich ganz oben auf der Quarterpipe. Mein Skateboard, das ich vor ein paar Wochen für 30 Euro im Spielzeugladen erstanden hatte und nun ungeduldig mit dem rechten Fuß an der Kante der Sperrholz-Rampe umherschlenkerte, liebte ich so wie manch anderer sein Haustier. Nun sollte es mich hinuntertragen, am besten ohne mich im Geschwindigkeitsrausch wieder von sich zu werfen. Jegliche Ängste vor gebrochenen Knöcheln und aufgeschürften Handflächen schob ich beiseite, setzte beide Füße aufs Board und rollte hinunter, während sich Fußgänger, meine Freunde und ältere Fahrer auf dem Skate-Platz wie in Zeitlupe zu bewegen schienen.

Ich schaffte es nicht und landete auf dem Hosenboden, noch bevor die hinteren zwei Rollen meines Boards die Rampe verließen.

Es war ein Jammer. Was ich einst geliebt hatte, verteufelte ich nun. Anstatt mir meine Schwäche selbst einzugestehen, schob mein kindlicher Trotz jegliche Schuld auf die schlechten Kugellager und steifen Achsen des Bretts, welches ich anschließend wütend in den Keller pfefferte. An diesem Tage und in den darauf folgenden Wochen suchte ich Trost bei der PS1-Demo von Tony Hawk's Pro Skater 2 bei der ich euphorisch bis zum Erbrechen mit einem mir unbekannten Pixel-Skater in der immergleichen Anlage herumtollte und jene Tricks zum Besten gab, die kein echter Mensch jemals hätte zustande bringen können. Wegen der Überdosis Pro-Skater und des Grolls, den ich gegen den Skate-Platz in meiner Nachbarschaft hegte, sollte ich für lange Zeit keinen Tony Hawk-Titel mehr anfassen.

Tony Hawk's Pro Skater 2 war meine erste Berührung mit der Reihe.

Eine neue Chance

Dennoch habe ich den Traum vom Skateboarding nie aufgegeben, auch einige Jahre später nicht, als ich meine Heimatstadt schon längst verlassen und die Schule gewechselt hatte. Auf den echten Skate-Platz wagte ich mich aber schon lange nicht mehr. Ich war zu alt für so etwas und konnte nicht noch eine weitere, Freizeit beanspruchende Komponente gebrauchen, die sich zwischen Schule, Freunde, Videospiele und anderen Sorgen eines Heranwachsenden einreiht.

Als ich eines Nachmittags durch den Elektronik-Markt schlenderte und Tony Hawk's Underground 2 im Regal erblickte, sah ich mich justament wieder dort oben stehen, auf der Rampe. Das Hochgefühl, das ich damals verspürte, und der Spielspaß, den mir die Pro Skater 2-Demo bereitete, überschatteten in der Retrospektive meine bittere Erfahrung des Sturzes und führten mich letztendlich doch wieder zurück auf den (virtuellen) Skate-Platz. Die Entscheidung, den PS2-Titel an diesem Tage mit nach Hause zu nehmen, sollte sich aus mehreren Gründen als Balsam für mein rebellisches, pulsierendes Teenager-Herz entpuppen.

Underground 2 verbindet Skateboarding mit Jackass: Dieser Grind endet in einem Knall.

Tony Hawk's Underground 2 ist der sechste Teil der Tony Hawk-Reihe unter der Federführung des heute aufgelösten Entwicklerstudios Neversoft aus dem Jahr 2004. Das Sequel zum ein Jahr vorher erschienenen Tony Hawk's Underground vereint die Spielmechanik der Pro Skater-Reihe mit dem Ulk und der Zerstörungs-Affinität von Sendungen wie Jackass und Viva la Bam. In der Rolle des Rookies schmiss mich der Titel in die Mitte einer draufgängerischen Profi-Skater-Runde, bestehend aus Legenden wie Tony Hawk, Rodney Mullen, Bob Burnquist und Bam Margera, jener durchgeknallte Kerl, dem ich des nächtens auf MTV heimlich dabei zusah, wie er seinen Onkel Vito mit einer Schnapsidee nach der anderen terrorisierte.

Skate and destroy

Dreh- und Angelpunkt des Titels ist die sogenannte World Destruction Tour, eine weltweite Reise auf vier Rollen, bei der zwei rivalisierende Gruppen, Team Hawk und Team Bam, unter anderem in den Städten Boston, Barcelona, Berlin und Skatopia, dem Paradies jedweden Skateboarders, um Punkte und den Erhalt ihrer Ehre buhlen. Dabei gilt es nicht nur, die Punktzahl mit besonders abenteuerlichen Skate-Stunts oder ausgefallenen Combos aus Grinds, Flips, Grabs und Lip Tricks in die Höhe zu jagen. Destruktive Sonderaufgaben, die sich an den gängigen Klischees über die jeweiligen Städte orientieren, stehen ebenfalls auf dem Plan.

Tony Hawk's Underground 2 war Auffangnetz und Katapult für jegliche Albernheiten, die sich im Unterricht und unter dem wachsamen Blick meiner Eltern in meinem von Hormonen durchfluteten Kopf ansammelten. Tätigkeiten wie ahnungslose Fußgängern in Barcelona mit Tomaten zu bewerfen oder Denkmälern von bedeutsamen Personen in Boston den Kopf abzureißen, ließen mich mein Draufgängertum zumindest virtuell ausleben.

Mit dem Freak Out konnten nach einem Sturz Punkte für die nächste Combo gesammelt werden.

Auch beim ein Jahr später erschienenen Tony Hawk's American Wasteland, das sich mit einer Pseudo-Open World schmückte, ließ meine Begeisterung nicht nach. Nachdem die Reihe mit Projekten wie Tony Hawk's Proving Ground oder Tony Hawk: Ride Abnutzungserscheinungen andeutete, sucht man die Ladenregale heute vergebens nach Spielen mit dem Namen Tony Hawk im Titel ab. Mit dem aktuellen Ableger, Tony Hawk's Pro Skater 5, den ich mit großer Freude erwartet und nach haarsträubenden Berichten mit noch großerer Enttäuschung im Kopf schon beerdigt habe, legte Activision eine gewaltige Bruchlandung hin — ganz so wie mein elfjähriges Ich, das damals auf der Rampe vom Skateboard fiel.

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