House of Telekom - Realsatire, die schmerzt

27.04.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
House of Telekom
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House of Telekom
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Willkommen bei House of Telekom, dem Aufreger über ein brisantes und zugleich dreistes Realsatireformat mit einem allseits bekannten Konzern in der Hauptrolle. In Gastrollen zu sehen: Die bedrohte Internetkultur und Netzneutralität.

Unser Aufreger der Woche muss nicht lange vorgestellt werden. Die deutsche Telekom versucht mit ihrem Plan, Internetanschlüsse zu drosseln, wenn vorgegebene Datenvolumen überschritten werden, die gute alte Flatrate abzuschaffen und Deutschlands Netzkultur damit in die Online-Steinzeit der 1990er-Jahre zurück zu katapultieren, als man noch dem Klang der piepsenden 56k-Wahlmodems lauschte.

Entwicklungsland Deutschland
Deutschlands moderne Internetnutzung befindet sich im Wandel, ist im Begriff erwachsen zu werden und bekennt sich sogar langsam – hört, hört – zum Urheberrecht. (via) Wir alle haben bereits illegale Inhalte gezogen. Aus Reiz am Verbotenen, Geldmangel, simpler Neugierde – oder weil HBO wieder einen Serienhit herausbrachte. Wir waren jung und brauchten den Content. Doch langsam werden auch wir verantwortungsbewusster, bleiben im Herzen aber Film- und Serienjunkies. Ergo, investieren wir Geld in digitale Dienstleister. Onlinevideotheken, Internetfernsehen, Streamportale, iTunes, Spotify, Steam und wie sie alle heißen.

Kürzlich gab Netflix bekannt, noch in diesem Jahr seine Fühler nach Europa ausstrecken zu wollen. Keinen Moment zu früh, denn Portale wie Netflix oder Amazon gestalten maßgeblich die Zukunft des Fernsehens mit und verpassen dem antiquierten, linearen Fernsehverhalten die längst überfälligen Modernisierung (mehr dazu in Jennys Blick in die Zukunft). Auch die Kinoproduktion befindet sich im Wandel, das Kickstarterprojekt von David Finchers The Goon machte den Anfang, die Kampagne für den Veronica Mars Kinofilm hob die Messlatte und Zach Braff folgte dem Ruf für sein neuestes Regieprojekt I Wish I Was Here. Der Zuschauer will in Zukunft mitbestimmen, was er im Kino sieht. Eine logische Konsequenz des sich definierenden Selbstbewusstseins einer neuen Internetgeneration, die darüber bestimmen will, welchen Content sie wann auf welchem Gerät sehen will. Egal ob im Internet, im TV oder eben im Kino.

Doch es gibt ein kleines Problem. Das alles erzeugt Traffic. Und Traffic ist böse, zumindest für einen Konzern wie die Telekom, der sich davor scheut, das deutsche Telefon- und Glasfasernetz auszubauen wie der Teufel das Weihwasser. Der seit zehn Jahren Flatrates zu Schleuderpreisen verkauft und erst jetzt langsam begreift, dass eine vollausgenutzte Flatrate – was einem früher noch das Stigmata “Heavy User” einbrachte – heute zum lebensnotwendigen Alltag gehört. Heutzutage wird jeder zum Heavy User, der oder die sich das Internet halbswegs zu eigen macht. Geehrte Telekom, wir schreiben das Jahr 2013. Wir besitzen längst alle DSL-Flatrates aus Notwendigkeit, haben bald jedes zweite Elektronikgerät im Haushalt mit dem Internet verbunden, schauen Fernsehen, telefonieren, machen unsere Bankgeschäfte, beziehen unsere tägliche Dosis Film-, Serie-, Musik- oder Videospiel übers Netz – geschweige von der Bestellung des Toilettenpapiers.

Die Telekom im Dornröschenschlaf
Als Gründe für die geplante Leitungsdrosselung gab die Telekom das überhandnehmende Transfervolumen an. Die oben erwähnten Entwicklungen, die der digitale und soziale Fortschritt im Netz schuf, zwingt das in die Jahre gekommene Leitungsnetz der Telekom in die Knie. Nun hatte der Konzern zwei Möglichkeiten: Entweder mit erheblichen Investitonen das Glasfasernadelöhr zu vergrößern – oder die Datenmengen, die durch dieses strömen, zu regulieren. Die deutsche Telekom entschied sich für letzteres – und stellt sich der landesweiten Kritik mit einer erschreckend kurzsichtigen Sichtweise. Ohne die Schuldigen zu nennen, schiebt die Telekom den schwarzen Peter in eine klare Richtung ab: „Die Telekom steht für das freie und offene Internet: Netzneutralität* wird in der Debatte teilweise mit einer Gratis-Internetkultur verwechselt“ (via) Mit anderen Worten, die Internetpiraten tragen Mitschuld an der Situation und haben scheinbar die Telekom regelrecht zu diesem Schritt gedrängt.

Mit der Formulierung „Gratis-Internetkultur“ schießt sich die Telekom gleich selbst ins Abseits und suchte sich den üblichsten aller Sündenböcke heraus. Wie bereits die Film-, Musik und Verlagsbranche sieht auch der Telefonkonzern die Wurzel allen Übels in den illegalen Downloads. Es wäre auch zu vermessen, zu erwarten, dass sie erst im eigenen Garten fegen, um zu erkennen, dass sich die Telekom das letzte Jahrzehnt im Dornröschenschlaf befand. Digitale sowie soziale Online-Trends und das Bereitstellen von angepassten Internetangeboten für sich verändernde Bedürfnisse der Internetkultur wurden schlicht verpennt. Stattdessen wurde sich im boomenden Mobilfunkmarkt eingeigelt und mit jeder SMS sich eine goldene Nase verdient. Bis plötzlich keine SMS mehr geschrieben wurden und auch die klassische Telefonie sich veränderte. Hoppla. Stattdessen wird im Nachhinein Schadensbegrenzung betrieben und eine DSL-Zwangsdrosselung eingeführt. Dass eine solche vor allem die legalen Dienstleister treffen wird, das soll vorerst deren Sorge sein.

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