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Häuslicher Missbrauch – Wie eine Mutter ihre Töchter (ungewollt) in den Selbstmord treibt

19.10.2016 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
The Virgin Suicides Virgin Suicides
Capelight/moviepilot
The Virgin Suicides Virgin Suicides
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Dieser Artikel entstand im Rahmen der Aktion Lieblingsmonster.

Es gibt viele Arten von Monstern. In Horrorfilmen werden sie oftmals durch das ultimativ Böse verkörpert. Etwas, dass durch und durch böse ist, ohne das es einer Erklärung bedarf. In diesem Sinne ist das Monster meistens kein Mensch, sondern kommt in der Gestalt eines übernatürlichen Wesens daher, oder trägt zumindest eine Maske. Eine andere Möglichkeit für die Erschaffung eines Monsters besteht in einem schlimmen Erlebnis, meistens in der Kindheit, welches den bis dahin harmlosen Menschen zu einem gewalttätigen Schlächter transformiert. Diese Erklärungen lassen uns Schauern, bieten jedoch auch eine gewisse Beruhigung, teilweise sogar Verständnis für dessen blutige Taten.

Es gibt jedoch auch Monster, die gar nicht wissen, dass sie Ungeheuer sind. Das kann durch Gehirnwäsche, schlichtes Verdrängen, oder psychische Krankheiten passiert sein. Der für mich am schlimmsten vorstellbare Fall ist jedoch eine Person, die in vollem Bewusstsein Misshandlungen begeht und selbst durch die drastischsten Konsequenzen nicht von der Überzeugung abrücken kann, dass sie alles richtig gemacht hat. Mrs. Lisbon (Kathleen Turner) ist eines dieser Monster. Sie ist eine Person, die sich selbst für tugendhaft hält. Moralische und auch religiöse Werte zählen für sie zu den essentiellen Bestandteilen des Lebens und der Erziehung. Durch eine gnadenlose Durchführung ihrer Prinzipien treibt sie alle ihre fünf Töchter ungewollt in den Selbstmord und kann deren Suizide einfach nicht verstehen.

The Virgin Suicides ist dabei jedoch sehr subtil. Die Töchter werden nicht geschlagen oder sexuell misshandelt. Vieles überträgt sich allein über die erdrückende Atmosphäre. Unaufmerksame und empathielose Zuschauer sind ob der Selbstmorde am Emde genauso ratlos wie Mrs. Lisbon, denn es gibt keine finale Auflösung, oder einen erklärenden Tagebucheintrag, der am Ende vorgelesen werden kann. Aber es gibt immer Anzeichen und Verhaltensweisen, die doch aufzeigen, worunter die Mädchen leiden mussten. Besonders schlimm ist dabei, dass der Selbstmord ihrer jüngsten Tochter Cecilia (Hanna Hall), welcher rund ein Jahr vor dem Massensuizid der anderen vier geschieht, keinerlei Emotionen bei Mrs. Lisbon weckt. Anstatt spätestens zu diesem Zeitpunkt ihre Erziehungsmethoden zu überdenken, wird sie im Gegenteil nur drastischer. Um ihre Kinder vor der Außenwelt und den schädlichen Einflüssen zu schützen und vor allem um den Kontakt zu Jungs zu vermeiden, meldet sie die Kinder von der Schule ab und schließt sie monatelang im Haus ein. Lux (Kirsten Dunst) wird zudem unter herzzerreißendem Gejammer dazu gezwungen, ihre Rockmusik-Schallplatten zu zerstören. Vor allem fällt jedoch jegliche Liebe und menschliche Nähe zu den Töchtern. Somit wird das Haus immer mehr zum quälenden Sarg für seine Bewohnerinnen.

Eine Läuterung oder gar Reue erfährt Mrs. Lisbon auch nach dem Hinscheiden all ihrer Töchter nicht. Sie bleibt die gefasste, emotionslose Frau, die sie immer war. Man erfährt nicht viel über Mrs. Lisbon und wie sie zu dem geworden ist, was sie ist. Offensichtlich ist jedoch, dass ihr jegliche emotionale Intelligenz völlig abgeht. Das macht sie umso unnahbarer, kälter, härter und somit gruseliger für die Zuschauer.

Mrs. Lisbon hat ihre Töchter durch ihre unbarmherzige, fundamentalistische Erziehung in den Selbstmord getrieben. Aber warum hat eigentlich ihr apathischer Ehemann (James Woods) nicht interveniert? Warum hat niemand eingegriffen, als sie ihre Kinder von der Schule abmeldete und zu Hause einsperrte und damit offensichtlich misshandelte? Mrs. Lisbon ist zwar das Monster, aber sie konnte sich nur entfalten, weil ihre Umgebung zwar zugesehen, aber nicht interveniert hat. Insofern gibt es in diesem Film neben Mrs. Lisbon ein zweites, größeres Monster. Die Voyeure, die Nachbarn, andere Eltern aus der Schule, Bekannte, Freunde (wobei es die gar nicht zu geben scheint), kurz gesagt die ganze Gemeinschaft der Kleinstadt, die genussvoll über die Familie Lisbon urteilen und mit dem Finger aus sie zeigen und die Nase rümpfen, das Drama kommen sehen, aber allesamt nicht eingreifen.

Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Sponsoren der Aktion Lieblingsmonster:

Aktion Lieblingsfilm


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