Fragments of Him im Test — Ein Spiel, das uns überfordert

03.05.2016 - 19:15 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Fragments of Him
Sassybot
Fragments of Him
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Fragments of Him stammt aus den Händen des kleinen Indie-Teams Sassybot und erzählt eine Geschichte über das Trauern, Vermissen und Akzeptieren. Das Spiel überfordert und strengt an — allerdings ohne Unterlass und aus den falschen Gründen.

Auf der gamescom 2015 durfte ich inmitten des lauten Trubels ein besonderes Erlebnis machen: Mata Haggis, Mitglied des Indie-Teams Sassybot, stellte mir mit wenigen Worten das Spiel Fragments of Him vor und schob mich dabei auch schon an die Tastatur. Ich sollte es selbst ausprobieren und lernte so Will, die Hauptfigur des Spiels kennen, der sich soeben von seinem Freund verabschiedete, um zu seinem Arbeitsplatz zu fahren. Auf dem Hausflur, im Aufzug und in der Tiefgarage hält er einen Monolog über den Wert des Lebens, seine Beziehung und Kleinigkeiten, die jeder übersieht. Wie ein Geist begleite ich ihn dabei und lausche — und sitze direkt neben ihm, als er in einen schrecklichen Autounfall gerät. Der Bildschirm wird weiß und Mata Haggis nimmt mir die Kopfhörer ab.

Die Grenzen der Belastbarkeit

In diesen ersten zehn Minuten zeigte Fragments of Him, wie viel Potential eigentlich in ihm steckt — doch die Geschichte über Trauer, Sehnsucht und das Akzeptieren verliert an Wirkung, je mehr Zeit ich damit verbringe. Das liegt vor allem daran, dass die Vision von Sassybot kein gutes Gespür für Timing und spielmechanische Grundlagen hat. Die rund zwei Spielstunden, die durchaus schöne Momente, mitreißend geschriebene Textpassagen und emotionale Sprecher bieten, verkommen zu einem anstrengenden Herumklicken.

Das Spiel bietet immer wieder schöne Momente.

Denn euer Klicken ist das Werkzeug, mit dem die Geschichte von Fragments of Him Gestalt annimmt: Eigentlich sollen wir den Tod des jungen Mannes Will erleben und anschließend den Erinnerungen seiner Großmutter, seiner Ex-Freundin und schließlich seinem Beziehungspartner lauschen. Statt allerdings während der Gespräche die vielen Schauplätze eigenständig erkunden zu dürfen, wird unser Wunsch einem sehr linearen Handlungsstrang untergeordnet, den wir durch das Anklicken farblich markierter Gegenstände voranbringen. Dann müssen wir in einem kleinen Bereich ausharren und warten, bis die aktivierte Sprachsequenz wieder vorbei ist.

Die Rolle als bloßer Zuschauer ist dabei keinesfalls immer eine schlechte Position, aus der wir eine Geschichte erleben dürfen: That Dragon, Cancer zum Beispiel begleitet ein Elternpaar dabei, wie sie ihren krebskranken Sohn aus dem Leben verabschieden. Hier beginnen wir, Anteil zu nehmen und fühlen uns sogar unwohl, wenn die Trauer-Szenen zu intim werden. Wir dürfen uns aber auch wegdrehen, wir dürfen auf unsere eigene, persönliche Art die Geschichte der Familie verarbeiten.

Trauer spielt eine wichtige Rolle, doch leider wird die Botschaft getrübt.

Fragments of Him hingegen zwingt uns immer wieder, zuzusehen und zuzuhören — und das oft ohne Gespür für Timing. Ein Beispiel: Fünf Minuten Monolog der Großmutter hätten ausgereicht, um uns verstehen zu lassen, dass sie homophob ist und große Probleme mit der Sexualität des Enkels hatte. Stattdessen quälen wir uns über eine halbe Stunde durch die konservative Selbstansprache der Frau, während wir dazu gezwungen werden, ihr bei der Gartenarbeit zuzusehen. Die Spielmechaniken von Fragments of Him drücken uns noch deutlich fester an die Grenzen der Belastbarkeit als die eigentliche Geschichte des Spiels. Zu allem Unglück fühlte zumindest ich mich gegen Ende des Spiels so sehr darauf konditioniert, alle leuchtenden Gegenstände anzuklicken, dass sich mein Spieltempo völlig asynchron zum Erzähltempo entwickelte.

Eigentlich will ich Fragments of Him mögen und weiterempfehlen, weil es eine berührende Geschichte zu erzählen hat. Doch die spielmechanischen Verfehlungen und der sich fast schon gewalttätig anfühlende Zwang, hinsehen zu müssen, machen dieses Spiel zu einer sehr unbefriedigenden Erfahrung. Noch dazu muss ich deutlich den Ratschlag aussprechen, dieses Spiel nicht zu spielen, wenn ihr selbst mit dem Verlust eines geliebten Menschen kämpft. Die Art und Weise, wie uns Fragments of Him immer wieder in seinen unausgeglichenen Erzähl- und Spielrhythmus zwingt, könnte für Betroffene eine überaus quälende Erfahrung darstellen.

Für die Erstellung dieses Reviews hat uns das Entwickler-Team einen PC-Key zur Verfügung gestellt.

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