Eros plus Massaker - Eine Neue Welle

14.10.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Tod durch Erhängen
Art Theatre Guild
Tod durch Erhängen
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Weg mit dem Mief. Her mit der Ekstase. Das Leben ein Abenteuer. Alles sollte sich in den 60ern zum Besseren wenden. Und so stellten auch japanische Filmemacher alles in Frage. Eine neue Welle schwappte über das Land.

Während in Japan gut gedrillte Studenten mit zwei Meter langen Kanthölzern durch die Straßen marschierten und sich miteinander und der Polizei schlugen, da wurden Studenten in Deutschland mit Wasserwerfern von der Straße gefegt, in Prag ein Frühling mit Panzern überfahren und in den USA Bürgerrechtler erschossen. Als in Frankreich die Nouvelle Vague das alte französische Kino hinweg spülte, in Hollywood Studiobosse langsam zum Umdenken gebracht wurden, in Italien der Neorealismus in den Händen seiner Erben immer atemberaubender zerbarst, da wurde auch im japanischen Kino kein Stein auf dem anderen gelassen. Das Medium Film wurde in all seinen Möglichkeiten ausgetestet. Hauptsache es war aufregend und neu. Doch auch wenn die von den Medien so getaufte nuberu bagu (nouvelle vague, also neue Welle) viele Überschneidungen mit den Entwicklungen im Weltkino hatte, so ging sie doch ihren eigenen sehr speziellen Weg.

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war Japan ein mittelalterlicher Feudalstaat gewesen, der sich von der Außenwelt abschottete. Doch nach der Öffnung folgte eine rasende Modernisierung. Und das hieß natürlich Verwestlichung. Träger der hereinbrechenden Kulturen wurden schick. Und westliche Industrie und Politik waren schlicht nötig, um kein Spielball der fremden Mächte zu werden. Was japanisch war, war plötzlich rückständig. Und so waren das Aufleben traditioneller Werte unter faschistischen Vorzeichen und die Militarisierung der 30er Jahre eben die Reaktion auf diesen Verlust einer positiven Identität. Das Resultat: blutige Expansion einer Gewaltherrschaft und eine vernichtende Niederlage, in deren Trümmern sich auch die eigene Identität befand. Regisseur Masahiro Shinoda hat bezüglich seines Films Assassination einmal erzählt, dass die Hauptfigur seine Jugend nach dem Zweiten Weltkrieg wiederspiegelte. Ein Samurai muss dort in den unruhigen Zeiten der Öffnungsphase lernen, dass das Shogunat auf einem riesen Haufen Lügen aufgebaut wurde, genau wie Shinoda nach dem verlorenen Krieg lernen musste, dass der Kaiser kein Gott war und Japan besiegbar. Seine Filme waren immer die Rache für diese Enttäuschung.

Wie er stand die Jugend der 50er und 60er Jahre also vor dem Dilemma. Wer oder was sollten sie sein? Stolze Japaner, die sich an die Verleugnung und den Mief des Althergebrachten hielten, oder sollte sie sich lieber an eine fremden Kultur halten, die Japan besetzt und Atombomben abgeworfen hatte. Grob gesagt. Was folgte war aber die weitverbreitete Suche nach einem eigenen Weg. Und im Kino begannen die Figuren und die Filme mit ihrem Kopf gegen die Wände ihrer Möglichkeiten zu rennen.

Die Vorzeichen
In jedem guten Buch über diese Epoche im japanischen Kino findet sich ein Zitat von Nagisa Ôshima: „I felt that in the sound of the girl’s skirt beeing ripped and the hum of the motorboat slashing through the older brother, sensitive people could hear the wails of a seagull heralding a new age in Japanese Cinema.“ (Desser, S.41) Er besingt damit Die gelbe Venus von Kamakura (in Englisch deutlich genauer: Crazed Fruit). Einen Film, der tatsächlich so etwas wie die Wasserscheide im japanischen Kino darstellt. Wer 1956, als er erschien, aufwuchs und Filme voller Aufregung oder Ekstase wollte, der Aufbruch und Ausbruch spüren wollte, der war aufgeschmissen. Zumindest bis sie kamen, die taiyozoku(Sun Tribe)-Filme.
Mit Season of the Sun hatte es begonnen und schnell darauf kamen Crazed Fruit und einige andere. Rebellische, selbstzerstörerische, vor Sex strotzende Helden brauchte das Land und fand diese in selbstgefälligen Müßiggängern, die sich ihre Zeit am Strand und bei Partys vertrieben. Und sollte ihnen jemand mit Arbeit, Verantwortung oder Sinn kommen, dann zuckten sie angewidert mit den Schultern. Und das größte Idol unter ihnen war Yûjirô Ishihara, eine Mischung aus Elvis und einem psychopathischen Heintje. Er wurde ein Superstar, der auch die bald unterdrückten taiyozoku-Filme überlebte. Doch nach ihnen sollte nichts sein wie davor.

Es folgten einige Regisseure, von denen jeder auf seine Art den Weg weiter ebnete. Da war Yasuzo Masumura, dessen Debütfilm Kisses noch auf der Jugendfilmwelle schwamm, der sich aber schnell in kleine, bösartige Bildwelten über Kriegshospitale (Red Angel), lesbische Liebe (Manji – Die Liebenden) oder den Kampf zwischen Süßwarenmagnaten (Giganten und Spielzeuge) begab. Bei Shōchiku rechnete Masaki Kobayashi garstig mit der Vergangenheit seines Landes ab. Ob bei Black River, Harakiri oder seinem dreiteiligen Kriegsepos Barfuß durch die Hölle, virtuos legte er immer wieder die Finger in die Wunden. Kon Ichikawa wiederum ließ das ambivalente Verhältnis der Jugend zu Buddhismus und Tradition in Feuer aufgehen (Der Tempel zur goldenen Halle) oder brachte einen Grad von sexueller Hysterie in das japanische Familiengebilde, wie es vorher kaum vorstellbar war (Kagi ). Sein Meisterstück lieferte er jedoch mit An Actor’s Revenge, einem überdrehten Popart-Gemälde, das vor comicartigen Brechungen jeden inszenatorischen Anstand zum Zerbersten brachte.

Mehr: Die Zeugen Nippons Teil 1 – Die blutige Rückkehr des japanischen Kinos
Mehr: Die Zeugen Nippons Teil 2 – Fragile Mädchen im Blutrausch
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Die Shōchiku New Wave
Das Fernsehen konfrontierte die Filmstudios in Hollywood und Japan ab Ende der 50er Jahre mit einem unbekannten Problem. Die Zuschauer blieben zunehmend weg. In Hollywood retteten sich die Verantwortlichen in die krampfhafte Wiederholung alter Erfolgsrezepte. Bei Shōchiku wurde derweil mehr Mut zum Risiko gezeigt. Nach und nach wurde einigen Regieassistenten die Chance gegeben, ihre Ideen umzusetzen. Shōchiku ahnten nicht, dass sie damit die Büchse der Pandora öffneten. Denn der schon erwähnte Masahiro Shinoda, Yoshishige Yoshida und Nagisa Ôshima sahen in ihrem Job keine Ausbildung, sondern Sklaverei, bei der sich vor jeder Art von Einfluss geschützt werden musste. Sie hatten ihre Jugend in der Nachkriegszeit verlebt und hatten die brutale Bauchlandung der alten Werte am eigenen Leib gespürt. Gleichzeitig trat der Westen in Form der USA als Unterdrücker und ausnutzender Kriegstreiber auf. Auf die alten Filmemacher schauten sie herab und Hollywood war auch keine Lösung. Was blieb ihnen also anderes übrig, als ihre eigene Art von Filmen zu schaffen. Filme, die sich all dem widersetzten, was sie kannten. Sie tendierten zu Übertreibungen und Raserei, sie verfremdeten die Welt, da sie von ihr entfremdet waren, sie versuchten alles zu zeigen, was vorher verschwiegen wurde und sie ließen nicht locker, die Verlogenheit, den Rassismus ihres Landes anzuprangern.

Mit Nagisa Oshima begann es. Nackte Jugend war sein erster Erfolg, doch bald landete er durch Nacht und Nebel in Japan im Giftschrank seines Studios. Er hatte nicht nur ein Spiegelkabinett gebaut, in dem sich Raum und Zeit auflösten, sondern auch in dem die politische Selbstzerfleischung der Linken offenlegt wurde, die Anfang der 50er sowie der 60er bei Protesten gegen den ANPO-Vertrag(1) entstanden. Bei allem Mut, das war Shōchiku zu düster und Oshimas Projekte wurden fortan nicht mehr bewilligt. Er musste sich erst sammeln, bis er unabhängig weiter produzierte. In Freiheit probierte er sich aus und drehte Filme, die sich um Politik, Rassismus, Sex, Liebe und Identität kreisten. Es schäumte nur so aus ihm hervor. Allein in seinem Meisterwerk Tod durch Erhängen ändert sich alle 10 Minuten der Stil und das Thema. Ein ums andere mal ließ er eklektische Hurrikans über die Zuschauer hinweg rasen. Die gezeigte Realität verzerrte sich zunehmend, bis er mit The Man Who Left His Will on Film diese Phase Ende der 60er kongenial abschloss.

Yoshishige Yoshida hingegen drehte düstere, elliptische Melodramen. Er lotete die Untiefen der menschlichen Seele aus, bis er 1969 mit Eros Plus Massacre umschwenkte. Ein Film im Film, der das Leben anarchistischer Ikonen der 20er Jahre durch die Augen eines Paares zeigt, das seine eigenen Beziehungen und Lebensentwürfe in ihnen reflektiert. Kryptisch war gar kein Ausdruck. Wie im Kopf eines jeden war hier kein Platz mehr für einen chronologischen Ablauf oder räumliche Zusammenhänge. Der Publikumserfolg, den sich Shōchiku einst ausmalte, hier erleidet er letztendlich und am deutlichsten Schiffbruch. Wie die Studentenproteste und das Dissidententum, die sich in einer Berghütte bei umgreifenden Säuberungen in den eigenen Reihen Anfang der 70er überlebten, verebbte auch die New Wave hier in den immer radikaleren Entwürfen, die leider immer weniger sehen wollten.

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