Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase fragt sich, wie viel Leben steckt im Kino?

01.09.2009 - 08:50 Uhr
Szene aus Whisky mit Wodka
Senator Film
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Der Drehbuchautor von Whisky mit Wodka spricht über die Inspiration zur Geschichte, das was ihm beim Film am Herzen liegt, seinen Umgang mit Dialogen und Sprüchen, und über den Regisseur Andreas Dresen.

Wolfgang Kohlhaase begann schon während seiner Schulzeit in Berlin- Adlershof zu schreiben. Er wurde Mitarbeiter der FDJ-Zeitung „Junge Welt“. Von 1950 bis 1952 arbeitete er als Dramaturgie-Assistent bei der DEFA, seit 1952 ist er freischaffender Drehbuchautor und Schriftsteller. Sein Drehbuch zu Die Stille nach dem Schuß wurde für den europäischen Filmpreis nominiert. Mit Whisky mit Wodka wurde nun nach Sommer vorm Balkon zum zweiten Mal ein Kohlhaase-Drehbuch von Andreas Dresen verfilmt.

Wie kamen Sie auf die Geschichte?

Frank Beyer hat sie mir erzählt. Er war in den 50er Jahren Regieassistent bei einem Film von Kurt Maetzig, und da gab es einen berühmten Hauptdarsteller, von dem man wusste, dass er wegen seiner Trunksucht gefährdet war bis an den Rand seiner gesundheitlichen Existenz. Um ihn in die Pflicht zu nehmen, hat man damals tatsächlich einen zweiten Schauspieler engagiert – für den Fall, dass der erste ausfällt. Zwei Wochen lang wurde jede Szene zur Sicherheit zwei Mal gedreht; dann wurde das Experiment abgebrochen, denn es stellte sich heraus: Der berühmte Schauspieler hält durch. Vor Jahren erzählte mir Frank Beyer diese Episode, und wir überlegten, ob man daraus nicht einen Film machen könnte. Es stellte sich aber bald heraus, dass man mit dem Interna-Protokoll dieser Konkurrenzsituation zwischen zwei Darstellern nicht weit kommt. Das kann ein Punkt in der Geschichte sein, aber nicht ihr Kern und ihr Lauf. Und so habe ich mir den Rest eben ausgedacht.

Was ist für Sie der Kern des Films?

Es ist eine Geschichte über das Älterwerden. Sie handelt davon, wie es ist, wenn man begreift: Die Zeit vergeht; die Rolle, die man bisher im Leben gespielt hat, wird man nicht ewig spielen; die Liebe, die es einmal gab, funktioniert möglicherweise nicht mehr. Was man versäumt hat, kann man nicht mehr einholen. Und wenn der Vater stirbt, wird man nach dem Lauf der Natur wahrscheinlich der Nächste sein, der an die Kante tritt. Jede Figur in der Geschichte ist auf diesem Weg an einer anderen Station, doch das Thema Älterwerden betrifft sie alle.

Allen voran natürlich Otto Kullberg, Ihre Hauptfigur. Wie würden Sie ihn beschreiben?

Ein Mann, den die Frauen lieben und die Männer mögen. Einer, der die Larve des Allerweltserfolgs durchs Leben trägt und an einen Punkt kommt, an dem er überlegt, ob das eigentlich sein Gesicht ist oder eine Maske, die er abnehmen muss. Ein permanenter Vorwärtsgeher, der mit Erfolg und großem Selbstbewusstsein gelebt hat und plötzlich bemerkt: Es ist überhaupt nicht sicher, dass er auf diese Weise tatsächlich bis ans Ziel kommt. Durchkommen oder nicht durchkommen – von diesen beiden Möglichkeiten handelt der Film auch.

Gab es ein Element in der Geschichte, das Ihnen besonders am Herzen lag?

Es war mir wichtig, von Ottos Vater zu erzählen, dem Briefträger am Görlitzer Bahnhof. Durch die Erweiterung des Schauplatzes wollte ich zeigen, dass es außerhalb des Kinos noch die reale Welt gibt – und dass sie früher oder später unweigerlich auftaucht. Es gibt eine Frage, die den Film leitmotivisch begleitet: Wie viel Leben steckt im Kino?

Und wie viel Kino steckt im Leben?

Bestimmte Lebensmuster gehen ins Kino ein; das Kino vereinfacht sie und macht daraus etwas Verfügbares. Und dank seiner großen Verbreitung trägt das Kino wiederum zur Bildung – oder Verbildung – der Gefühle bei.

Bei der Lektüre des Drehbuchs fällt die für Sie typische Knappheit der Dialoge auf.

Ja, ich versuche, lakonisch zu erzählen. Von Otto Bram, einem berühmten Berliner Theatermann zur Zeit der Naturalisten, stammt der Satz: „Was gestrichen ist, kann nicht durchfallen.“ Das ist ein Gedanke, der mir lieb ist. Ich finde, wenn man etwas in drei Sätzen erzählen kann statt in fünf, und wenn man damit zum selben Ergebnis kommt, dann hat man die edlere Erfindung. Außerdem glaube ich, dass Schauspieler Zwischenräume brauchen, in denen sie etwas anderes ausdrücken können als das, was im Dialog behauptet wird. Es ist ziemlich uninteressant, die Darsteller per Text die ganze Geschichte transportieren zu lassen. Die größere Wahrheit lässt sich entdecken, wenn das, was die Figuren sagen, nicht genau mit dem übereinstimmt, was sie fühlen. Das aktiviert das Hirn des Zuschauers.

Whisky mit Wodka ist – ähnlich wie Solo Sunny oder Sommer vorm Balkon – wieder gespickt mit kultverdächtigen Sprüchen. Woher kommen die? Sind sie dem Leben abgelauscht? Schreiben Sie rechtzeitig mit, wenn jemand in geselliger Runde loslegt?

Nein, das ist alles ausgedacht. Ich versuche immer, jeder Filmfigur wenigstens einen guten Moment zu geben. Gerade bei Nebenrollen ist das wichtig. Hauptfiguren bekommen sowieso eine bestimmte Art zu reden – wenn man deren Ton gefunden hat, produzieren sie sich quasi selbst. Doch je kleiner die Rolle, desto mehr braucht sie einen großen Moment. Sonst wird sie gar nicht wahrgenommen.

Nach Sommer vorm Balkon haben Sie nun zum zweiten Mal mit Andreas Dresen zusammengearbeitet. Wie geht er mit Ihren Texten um?

Sehr sorgfältig, mit großer Treue zum Detail. Das ist alles wunderbar gearbeitet: Andreas Dresen inszeniert nicht nur Texte, sondern auch Subtexte. Und er weiß, dass man Pointen nicht extra betonen darf – wenn sie eine gewisse Beiläufigkeit bekommen, dann machen sie sich schon von selbst bemerkbar. Er hat sowohl ein Gespür für Schauspieler als auch ein Gefühl für Sprache.

Was macht Ihrer Meinung nach seine Stärke aus?

Ein Regisseur muss ja eine Menge verschiedener Dinge können: Bilder finden, Darsteller inszenieren, einen Rhythmus schaffen. Von alledem versteht Andreas Dresen sehr viel. Hinzu kommt seine Genauigkeit – und die Liebe zu dem, was er macht. Das schließt die Mittel ebenso ein wie die Menschen. So verführt er alle Beteiligten dazu, das Beste zu geben. Er tut dies auf sehr unaufdringliche Art. Darin steckt überhaupt keine Berechnung: Andreas Dresen ist einfach so. Er weiß, dass Filmemachen Teamarbeit ist. Und wenn er sagt, das sei kein Film von ihm, sondern von allen Beteiligten, dann ist diese Bescheidenheit keine Maske, sondern Ausdruck seines Arbeitsprinzips.

Er hat Ihnen ein Gespür für Tonlagen bescheinigt. Was, glauben Sie, ist die Tonlage dieses Films?

Man hätte die Geschichte klamottiger erzählen können – das wollten wir aber nicht. Ich würde sagen, dass hier ein melancholischer Ton herrscht. Trotzdem hoffe ich, dass auch genügend gelacht wird im Kino. Denn mir ist es wichtig, die Komik zu zeigen, die in allem Traurigen steckt. Das Traurige ist ja erst messbar, wenn man das Regulativ des Komischen dazu hat.

Wenn man sich die Filme ansieht, zu denen Sie das Drehbuch verfasst haben, könnte man fast meinen, die Kombination aus Tragik und Komik sei ein Wesenszug von Ihnen.

Mag sein. Das hat mit meinem Lebensgefühl zu tun, das ich meinem Vater abgeschaut habe. Er war Schlosser in einer Fabrik und sagte zum Beispiel: „Wenn auf einer Beerdigung nicht gelacht werden kann, dann geht keiner mit.“ Über eine Sache lachen zu können, bedeutet ja, dass man ihrer blinden Gewalt nicht erliegt. Lachen relativiert. Und gemeinsames Lachen verbindet.

Mit Material von Senator Film

Whisky mit Wodka ist ab 30. September in den deutschen Kinos zu sehen

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