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Die Empörung eines Lanthimos-Fans

10.04.2016 - 00:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Sony Pictures Home Entertainment
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Man kann sich manchmal schon sehr darüber wundern, welche Filme ins Kino kommen und welche nicht. Einen Seitenhieb auf den vielen Schmarrn, der auf großer Leinwand bestaunt werden kann, spare ich mir. Das führt zu nichts außer empörten Gemütern und, diplomatisch ausgedrückt: über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten. Also komme ich direkt zum Kern meiner höchst eigenen Empörung: Warum zum Henker erscheint Giorgos Lanthimos’ neustes Werk »The Lobster« nur auf DVD? Ich bin fast hinten rüber gefallen, als das allwissende Internet mich über diesen unfassbaren Fauxpas aufgeklärt hat. Wie kann das sein? Wer hat das zu verantworten?

Mir ist bewusst, dass viele begnadete Werke es nicht bis in die Säle der deutschen Lichtspielhäuser schaffen. Edgar Reitz hat bei der Eröffnung des 9. Lichter Filmfests Frankfurt International im März genau dagegen in einer brennenden Rede geklagt, völlig zu Recht. 300 Filme habe er als Juror im letzten Jahr auf Festivals gesehen, darunter »30 grandiose Werke«, von denen wiederum nur ein Bruchteil ins Kino kommt. Ein ziemlich kleiner Bruchteil. In diesem Fall muss sicherlich über eine noch bessere Nachwuchsfilmförderung und –vermarktung diskutiert werden, keine Frage. Um den oft gänzlich unbekannten und jungen Kreativen die Tür zu öffnen und eine größere Bühne zu bieten, außerhalb der ganzen kleineren Filmfestivals, von denen 98 Prozent der Bevölkerung leider noch nie etwas gehört hat.

Wieso aber ereilt ein Direct to DVD-Schicksal einen Filmemacher, der sich in den letzten Jahren neben seiner Kollegin Athina Rachel Tsangari als internationale Galionsfigur einer sehr wohlwollend rezipierten Generation junger Kreativer aus Griechenland etabliert hat und mit seinen Werken auf den großen Festivals gefeiert wurde? Mit seinem bitterbösen und zugleich absurd-komischen »Dogtooth« hat Giorgos Lanthimos die »Neue griechische Welle« schlagartig über die Grenzen des wirtschaftskrisen-gebeutelten Landes hinaus bekannt gemacht. Das verstörende Psychodrama um drei Geschwister, die von ihren tyrannischen Eltern in einem hermetisch von der Außenwelt abgeriegelten Anwesen mit falschem Weltwissen erzogen werden und zu regelrechten Soziopathen verkommen, wurde in Cannes in der Sektion Un Certain Regard ausgezeichnet. Außerdem war »Dogtooth« der erste griechische Film seit 31 Jahren, der für einen Oscar als bester nicht englischsprachiger Film nominiert wurde. Das war zuletzt im Jahr 1978 Michael Cacoyannis mit »Iphigenie« gelungen. Allerdings gingen beide leer aus.

2012 erschien dann mit »Alpen« der nicht minder verstörende Nachfolger. Darin erzählt Lanthimos von einem Kollektiv, das sich nach den Bergen der Alpen benennt und in die Rolle Verstorbener schlüpft, um den Angehörigen den Abschied zu erleichtern. Mit gefährlicher Ruhe und teilweise ins Groteske spielend entfaltet der Grieche eine Meditation über Identität, menschliche Verhaltensweisen und Machthierarchien, die schließlich in dem Psychogramm einer einsamen Frau auf der Suche nach Zuneigung mündet. Lanthimos erhielt in Venedig zusammen mit seinem Koautor Efthimis Filippou den Preis für das beste Drehbuch.

Und jetzt eben »The Lobster«. Lanthimos’ erster englischsprachiger Film, in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet, bis in die Nebenrollen prominent besetzt (Colin Farrell, Rachel Weisz, John C. Reilly, Ben Whishaw, Léa Seydoux, Ariane Labed), und – nach all diesen Verkaufsargumenten – ein wieder mal sau guter Film. Er spielt in einer unbestimmten Zukunft, in der das Singledasein nicht geduldet wird. Der arme David (Colin Farrel) wird von seiner Frau verlassen und hat 45 Tage in einem auf Partnervermittlung getrimmten Hotel Zeit, eine neue kennen zu lernen. Gelingt das nicht, wird er in ein Tier seiner Wahl verwandelt. David möchte als Hummer enden. Lanthimos dekonstruiert den Mythos verkitschter Liebesgeschichten und reflektiert herrlich absurd das Paarungsverhalten im digitalen Zeitalter. Leider kommt der hiesige Programmkinogänger nicht in den Genuss, die schrullige Science-Fiction-Dystopie auf der Kinoleinwand zu schauen. Warum? Liegt es vielleicht an der deutschen Titelergänzung »Hummer sind auch nur Menschen«? Die ist total bescheuert, aber kommt schon.

Ich habe jedenfalls keine Erklärung dafür. Ihr vielleicht? Definitiv werde ich mir den Film auf DVD anschaffen (Erscheinungstermin: 14. April 2016) und auf irgendeiner improvisierten Heim-Leinwand mit einigermaßen gescheitem Soundsystem angucken. Und selbst gemachtes Popcorn gibt’s dann auch, wenn schon, denn schon. Immerhin erscheint Tsangaris neuer Film »Chevalier« in zwei Wochen im Kino. Es geht um sechs Männer, die auf einer Yacht gegeneinander antreten. In allem, was man halt so auf einer Yacht als Mann machen kann. Ich bin gespannt. Bis dahin werde ich mich noch ein wenig echauffieren.


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