Nicht ohne Grund wählt Audiard als Urheber der Handlung eine Krisenregion, die nicht im öffentlichen Fokus steht. Der Film ist so besser in der Lage sich von politischen Befangenheiten zu emanzipieren und einen höheren Abstraktionsgrad einzunehmen, in der sich das Werk nicht auf spezifische Begebenheiten festnageln lässt (das sollte Kunst immer vermeiden). Auch ist es sinnvoll, da Flüchtlinge mit muslimischen Hintergrund Klassenverhältnisse zum Teil nivellieren würden.
I.
Nach der
erfolgreichen Flucht aus dem von einem Bürgerkrieg zerrütteten Sri Lanka stehen drei Flüchtlinge vor der Herausforderung die Bedingungen des
neuen Alltags zu meistern und sich die Texturen der fremden Umwelt
anzueignen. Der Film verhandelt die Schwierigkeit der Assimilation dabei
nicht nur in unvermeidbaren Zwangslagen in der Öffentlichkeit,
sondern insbesondere auch im privaten Alltag. Die kontinuierliche
Handhabung des privaten Haushalts, in der die Flüchtlinge in Form ihrer
provisorischen Familienmitglieder zunächst ebenso der Fremde begegnen,
verhält sich analog mit der Handhabung des öffentlichen Alltags. Das
langsame Näherkommen der Scheinfamilie, welches dem Film gelingt
berührend aufzugreifen, illustriert die kontinuierliche Versöhnung mit
der neuen Lebenssituation allgemein. Die Neuankömmlinge scheinen sich
nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Zeit immer besser
zurechtzufinden im bereitgestellten Lebensmodell.
II.
Der dem Umgang mit einer fremden Umwelt innewohnende fragile Charakter
ist universell präsent und stets mit viel Feingefühl dargestellt. An den
Interaktionen zwischen Yalini und dem Gangsterboss macht sich dieser
Aspekt am anschaulichsten bemerkbar. Ihre anfängliche Unsicherheit mit
der Ausübung ihres Jobs und der damit verbundene Kontakt mit dem derben
Drahtzieher der Bande formt sich mit der Zeit zu einem latenten Behagen.
Es gibt eine Szene die ich diesbezüglich hervorheben will, weil sie das
zunehmend positive Befinden Yalini's in der neuen Lebenssituation,
also den positiven Status der Assimilation veranschaulicht: Der am
Wohnzimmer stehende Bandenanführer bietet ihr an sich an seinem Joint
zu beteiligen, den sie verlegen zurückweist, nur um nach seiner
Verabschiedung ans Fenster zu treten und vom Angebot doch Gebrauch zu
machen. Und dieser Moment, wo sie da am Fenster steht und instinktiv
ihren behaglichen Gesprächspartner unten beim Dirigieren der Leute
beobachtet, welches zu einem flüchtigen Blickkontakt führt, ist
exemplarisch für den kontemporären verheißungsvollen Status ihrer
Assimilation. Später, im Kontext eines anderen Status, wird sich die
gleiche Einstellung ohne einen solchen Blickkontakt wiederholen.
III.
Wenn Dheepan sich bei Nacht am Fenster eine Zigarette gönnt und dem derben
Trubel auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtet, wird die
Transformation seiner Wesensart durch die feine Veränderung des Habitus,
durch die abgebrühte Art die Zigarette zu paffen, durch die
argwöhnische Musterung des Geschehens vor dem Fenster und durch die
unterlegte Tonspur wahrnehmbar. Es sind Szenen wie diese, in der die
lädierten Daseinsbedingungen eines Flüchtlings, der fragile Untergrund
auf dem die Einhelligkeit fußt manifest wird. Im Laufe des Films wird
die Konstitution dieses Zustands, die Dichotomie von kultureller Prägung
und kärglich vorgefundenen Gesellschaftsverhältnisse, wie sie in der
dargelegten Szene bereits zum Ausdruck kommt, eine dem Status der
Assimilation entsprechenden unmissverständlicheren Gestalt annehmen. Wo
in besagter Szene, in der Anfangszeit des Aufenthalts, in der Phase des
Arrangements mit der neuen Lebenssituation die Kamera das Geschehen aus
der Sicht des Heims der Flüchtlinge observiert, nimmt sie im späteren
Verlauf, bei zerrütteten Status der Assimilation, die diametrale
Perspektive der Außenwelt ein. Wenn wir dann in dieser fortgeschrittenen
Phase des Assimilationsprozesses die Insassen der Wohnung aus der Perspektive der Außenwelt beobachten,
begegnen wir nicht mehr der Fragilität, sondern ein Klima der
hoffnungslosen Isolation und Verlorenheit. Es ist ein Moment in der der
Einsturz des neuen Lebensmodells, das Scheitern der Integration
determiniert scheint.
IV.
In einem Szenario am Dachboden
wendet sich Dheepan in einem Moment der spürbaren Entfremdung ab von
einer Gruppe von Anrainern, die sich in einer erheiternden Konversation
befinden. Yalili, die in dieser Phase gerade dabei ist sich recht gut
mit ihrem Umfeld zu arrangieren, wird ihm später nahelegen, dass sein
fehlender Zugang zu den Menschen vor Ort in seinem schlechten Humor
begründet liegt. Ob das wirklich zutrifft, ob also die Ursache der
Schwierigkeit der Assimilation wirklich per se bei den Flüchtlingen zu
suchen ist, diese Frage wird der Film im weiteren Verlauf noch
aufgreifen.
Nach der anfänglichen Phase des Arrangements mit der
neuen Lebenssituation sucht Dheepan mit fortbestehenden Aufenthalt in
seiner neuen französischen Heimat beständig den Rückzug in sein
kulturelles Erbe und allgemein seine Vergangenheit. Er konstruiert sich
in einem Raum des Wohnkomplexes, in der er als Hausmeister Zugang hat,
eine Welt die mit seinen psychologischen Dispositionen im Einklang
steht. Es ist eine Maßnahme die zunehmend zur Abkopplung seiner neuen Lebenssituation beiträgt und als direktes Resultat von sozioökonomischen Verhältnissen zu verstehen ist. Eine Kausalität für die Audiard neben
den leichten Zwischentönen (bspw. das Gefühl ein Kopftuch tragen zu
müssen, um im sozialen Umfeld Anklang zu finden, oder der latenten
Degradierung in der Tätigkeit als Hausmeister) einen gründlichen
Ausdruck mit der Belagerung des Viertels durch das Bandenensemble
findet. Dabei ist das soziale Umfeld mit der notwendigen Vagheit und
Ambiguität versehen, sodass das Naturell der okkupierenden Bandenfiguren
undurchsichtig bleibt. Die Präsenz der unsittlichen Figuren ist zwar
naturgemäß unheilvoll und unsittlich konnotiert, doch ergibt sich aus
ihr zunächst nicht wirklich ein Antagonismus. Erst mit fortbeständigen
Aufenthalt, im später ausbrechenden Bandenkrieg (auf die Äquivalenz zu
Sri Lanka werde ich im letzten Absatz implizit eingehen) kristallisiert
sich der verderbliche Charakter der Umwelt heraus.
Und auch in diesem Stadium ist der Film dann stets von belangvollen Nuancen perforiert. So nimmt
bspw. eine Interaktion zwischen Yalini und dem Bandenanführer, in der
Phase wo sich die verderbliche Konstitution langsam unmissverständlich
entschleiert, einen diametralen Charakter zu den bisherigen Gesprächen
an, indem er verschwindend eine ihrer Gesten der vergangenen Gespräche
mokierend imitiert. Warum beziehe ich mich gerade auf diesen
vermeintlich insignifikanten Moment? Weil sich an ihm ein immer
wiederkehrendes Muster des Films transparent veranschaulicht. Was da
wäre: die in der konsistenten Formalität der Szenarien innewohnenden
Ingredienzien verhalten sich stets analog zum Status der Assimilation.
Im Prinzip demonstriere ich dieses Muster in jeder hervorgehobenen Szene
unnwillkürlich.
V.
Neben dem Gesichtspunkt der
Gesellschaftsverhältnisse ist es die kulturelle Prägung des
Protagonisten, des Flüchtlings, welches zum Einsturz des vorgefundenen
Lebensmodells und der Demolierung des Neustarts führt. Dheepan’s
Innenleben wird im Laufe des Films analog zu dem jeweiligen Status der
Assimilation in zwei einprägsamen Emblemen in srilankischem
Setting zum Ausdruck gebracht. Wo das erste Emblem, das in der Phase
des Arrangements mit der neuen Lebenssituation auftritt, noch suspekt
erscheint, umschließt das zweite, in der ein Elefant langsam den Blick in
Richtung Kamera richtet, die Aura der Bestimmtheit, indem es das
verwüstende Potential einlöst, welches im Protagonisten waltet und
bislang (eben auch in der ersten unklaren Naturaufnahme) nur angedeutet
wurde. Es ist der monumentalste Augenblick des Films, da er das
Scheitern der Assimilation und die Annihilierung des Neustarts besiegelt
und ausdrucksstark vergegenwärtigt. Der infolge eintretende physische
Ausbruch von Dheepan, die fatalistische, zerstörerische Kraft, die er an
den Tag legt, ist, wenn zwar durch die erfahrene Prägung aus seiner
Heimat überhaupt erst ermöglicht, ein Produkt der vorgefundenen
Lebensumstände. Dass der Film das auf keinen Fall offenlässt, wird
bereits in der ersten Szene nach der Flucht klar, als in einer
plastischen Abstraktion, in der die Flüchtlinge mit albernen blinkenden
Kopfschmuck versehen aus dem Dunkeln langsam Gestalt annehmen, die
aufgrund ökonomischen Verhältnissen immanente Degradierung
versinnbildlicht wird, der sich Flüchtlinge in ihrer Existenz ausgesetzt
sehen. Der physische Vollzug der Entrüstung im letzten Akt ist nichts
weniger als eine Überhöhung des Resultats einer in diesem Kontext zum
Scheitern verurteilten Integrationspolitik. Die vehementen
Actionsequenzen, die sich infolge materialisieren,
deuten in ihrem Wahrnehmungshorizont die komplette Devastierung der
bereitgestellten Lebensverhältnisse an, währenddessen die Kamera immer
eng am Protagonisten verharrt, seinen Ingrimm spürbar macht, an der
Determination keinen Zweifel aufkommen lässt. Die Manier mit der Audiard
diese Action im letzten Akt inszeniert, die Kraft die sich darin
freimacht, ist ein Lehrstück für alle Trivialfilmer dieser Welt.
Das
unvermeidliche Scheitern der Assimilation, die Annihilierung des
Neustarts erschließt sich im gleichen Maße aus der Perspektive von
Yalini. Der von ihr betreute ältere Herr, dessen suspektes aber
verträgliches Erscheinungsbild und Charakteristikum - dem Muster des
Films entsprechend - im Einklang mit dem Status der Assimilation stand,
indem er ins Bild rückt nachdem sie den Ballast ihrer Vergangenheit
überwunden hatte (die Euphorie über die Bezahlung ist dafür eine
charakteristische Nuance), wird nun nachdem der Bandenkrieg im Viertel
ausbrach, nachdem der Prozess der Assimilation weitervoranschritt und in
die prädestinierten Phase der Zerrüttung überging, mit mehreren
Schüssen als Kollateralschaden hingerichtet. Vom Bandenanführer, der
noch ihr ehemaliger verträgliche Gesprächspartner war, der sich nach dem
Anschlag schwerverletzt am Boden krümmt, von ihm will Yalini nun in
ihrer Panik nichts mehr wissen. Ihr Versuch sich von seiner
verzweifelten Umklammerung zu befreien und aus ihrem damals argwöhnisch
aber wohlwollend angenommen Arbeitsbereich zu flüchten, ist nicht
weniger eine Visualisierung der vehementen Kapitulation gegenüber den
Verhältnissen (die Abstinenz des Kopftuchs ist eine charakteristische
Nuance) und der darin impliziten Negation der Assimilation, als der
Amoklauf ihres Ehemanns. Die letzte Szene im Schauplatz des prekären
Viertels, in der sich das provisorische Ehepaar begegnet, ist nicht nur
das Ende vom nun verstörten Protagonisten, sondern auch allgemein das
Ende der Odyssee, die da heißt Assimilation.
VI.
Am Ende lösen
wir uns von den Verhältnissen die der erfolgreichen Existenzgründung
der Flüchtlinge im Weg stand. Wir wechseln den Schauplatz, schweben
regelrecht (subtiler Surrealismus) durch eine pittoreske Vorstadt, die
einen Kontrast, eine Alternative zum exemplarischen
Unterschichtenviertel darstellt und ein anderes Resultat als das
bezeugte zufolge hätte. Doch verbirgt sich in diesem allegorischen
Schlusspunkt noch eine gewichtigere Komponente, indem in dem idyllischen
Panorama ein empathischer Einblick in das Seelenleben der Flüchtlinge
ermöglicht wird, in der sich psychologische Dispositionen und
naturgemäße kulturelle Distinktionen, welche unter den verhandelten
prekären sozioökonomischen Bedingungen zuvor noch von ausschlaggebender
Relevanz waren, in die Sphäre der Trivialität verflüchtigen.
Noch
im Schriftzug offenbarten sich uns zu Beginn die ersten Merkmale aus
Sri Lanka. Bevor sich der Kontext erweitert und die ruinösen
Verhältnisse vor Ort augenscheinlich werden, sind es bekömmliche Palmen
die wir kurzfristig wahrnehmen. Mit der letzten Aufnahme, die ebenfalls
den Schriftzug, den Namen des Protgaonisten ausfüllt, schließt sich der Kreis. Es sind
zwei Sinnkonstruktionen, die die Essenz des Films komprimieren: sie
veranschaulichen das zuträgliche Wesen von Grundbeschaffenheiten, dessen
inhärentes bekömmliches Potential durch kärgliche Kultivierung, durch
das was in den knapp zwei Stunden vergegenwärtigt wurde, korrumpiert wird. Mit dieser Note, mit
dieser letzten Einstellung des einträchtigen Zusammenseins in einer
hiebfesten und idyllischen Welt, in der sich das bekömmliche Potential
in der Grundbeschaffenheit der Wesen von Flüchtlingen entfalten kann,
mit dieser illusionären Alternative werden wir zurückgelassen.