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Dheepan (2015)

23.10.2016 - 18:09 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Fragilität
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Fragilität
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Nicht ohne Grund wählt Audiard als Urheber der Handlung eine Krisenregion, die nicht im öffentlichen Fokus steht. Der Film ist so besser in der Lage sich von politischen Befangenheiten zu emanzipieren und einen höheren Abstraktionsgrad einzunehmen, in der sich das Werk nicht auf spezifische Begebenheiten festnageln lässt (das sollte Kunst immer vermeiden). Auch ist es sinnvoll, da Flüchtlinge mit muslimischen Hintergrund Klassenverhältnisse zum Teil nivellieren würden.

I.
Nach der erfolgreichen Flucht aus dem von einem Bürgerkrieg zerrütteten Sri Lanka stehen drei Flüchtlinge vor der Herausforderung die Bedingungen des neuen Alltags zu meistern und sich die Texturen der fremden Umwelt anzueignen. Der Film verhandelt die Schwierigkeit der Assimilation dabei nicht nur in unvermeidbaren Zwangslagen in der Öffentlichkeit, sondern insbesondere auch im privaten Alltag. Die kontinuierliche Handhabung des privaten Haushalts, in der die Flüchtlinge in Form ihrer provisorischen Familienmitglieder zunächst ebenso der Fremde begegnen, verhält sich analog mit der Handhabung des öffentlichen Alltags. Das langsame Näherkommen der Scheinfamilie, welches dem Film gelingt berührend aufzugreifen, illustriert die kontinuierliche Versöhnung mit der neuen Lebenssituation allgemein. Die Neuankömmlinge scheinen sich nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Zeit immer besser zurechtzufinden im bereitgestellten Lebensmodell.

II.
Der dem Umgang mit einer fremden Umwelt innewohnende fragile Charakter ist universell präsent und stets mit viel Feingefühl dargestellt. An den Interaktionen zwischen Yalini und dem Gangsterboss macht sich dieser Aspekt am anschaulichsten bemerkbar. Ihre anfängliche Unsicherheit mit der Ausübung ihres Jobs und der damit verbundene Kontakt mit dem derben Drahtzieher der Bande formt sich mit der Zeit zu einem latenten Behagen. Es gibt eine Szene die ich diesbezüglich hervorheben will, weil sie das zunehmend positive Befinden Yalini's in der neuen Lebenssituation, also den positiven Status der Assimilation veranschaulicht: Der am Wohnzimmer stehende Bandenanführer bietet ihr an sich an seinem Joint zu beteiligen, den sie verlegen zurückweist, nur um nach seiner Verabschiedung ans Fenster zu treten und vom Angebot doch Gebrauch zu machen. Und dieser Moment, wo sie da am Fenster steht und instinktiv ihren behaglichen Gesprächspartner unten beim Dirigieren der Leute beobachtet, welches zu einem flüchtigen Blickkontakt führt, ist exemplarisch für den kontemporären verheißungsvollen Status ihrer Assimilation. Später, im Kontext eines anderen Status, wird sich die gleiche Einstellung ohne einen solchen Blickkontakt wiederholen.

III.
Wenn Dheepan sich bei Nacht am Fenster eine Zigarette gönnt und dem derben Trubel auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtet, wird die Transformation seiner Wesensart durch die feine Veränderung des Habitus, durch die abgebrühte Art die Zigarette zu paffen, durch die argwöhnische Musterung des Geschehens vor dem Fenster und durch die unterlegte Tonspur wahrnehmbar. Es sind Szenen wie diese, in der die lädierten Daseinsbedingungen eines Flüchtlings, der fragile Untergrund auf dem die Einhelligkeit fußt manifest wird. Im Laufe des Films wird die Konstitution dieses Zustands, die Dichotomie von kultureller Prägung und kärglich vorgefundenen Gesellschaftsverhältnisse, wie sie in der dargelegten Szene bereits zum Ausdruck kommt, eine dem Status der Assimilation entsprechenden unmissverständlicheren Gestalt annehmen. Wo in besagter Szene, in der Anfangszeit des Aufenthalts, in der Phase des Arrangements mit der neuen Lebenssituation die Kamera das Geschehen aus der Sicht des Heims der Flüchtlinge observiert, nimmt sie im späteren Verlauf, bei zerrütteten Status der Assimilation, die diametrale Perspektive der Außenwelt ein. Wenn wir dann in dieser fortgeschrittenen Phase des Assimilationsprozesses die Insassen der Wohnung aus der Perspektive der Außenwelt beobachten, begegnen wir nicht mehr der Fragilität, sondern ein Klima der hoffnungslosen Isolation und Verlorenheit. Es ist ein Moment in der der Einsturz des neuen Lebensmodells, das Scheitern der Integration determiniert scheint.

IV.
In einem Szenario am Dachboden wendet sich Dheepan in einem Moment der spürbaren Entfremdung ab von einer Gruppe von Anrainern, die sich in einer erheiternden Konversation befinden. Yalili, die in dieser Phase gerade dabei ist sich recht gut mit ihrem Umfeld zu arrangieren, wird ihm später nahelegen, dass sein fehlender Zugang zu den Menschen vor Ort in seinem schlechten Humor begründet liegt. Ob das wirklich zutrifft, ob also die Ursache der Schwierigkeit der Assimilation wirklich per se bei den Flüchtlingen zu suchen ist, diese Frage wird der Film im weiteren Verlauf noch aufgreifen.

Nach der anfänglichen Phase des Arrangements mit der neuen Lebenssituation sucht Dheepan mit fortbestehenden Aufenthalt in seiner neuen französischen Heimat beständig den Rückzug in sein kulturelles Erbe und allgemein seine Vergangenheit. Er konstruiert sich in einem Raum des Wohnkomplexes, in der er als Hausmeister Zugang hat, eine Welt die mit seinen psychologischen Dispositionen im Einklang steht. Es ist eine Maßnahme die zunehmend zur Abkopplung seiner neuen Lebenssituation beiträgt und als direktes Resultat von sozioökonomischen Verhältnissen zu verstehen ist. Eine Kausalität für die Audiard neben den leichten Zwischentönen (bspw. das Gefühl ein Kopftuch tragen zu müssen, um im sozialen Umfeld Anklang zu finden, oder der latenten Degradierung in der Tätigkeit als Hausmeister) einen gründlichen Ausdruck mit der Belagerung des Viertels durch das Bandenensemble findet. Dabei ist das soziale Umfeld mit der notwendigen Vagheit und Ambiguität versehen, sodass das Naturell der okkupierenden Bandenfiguren undurchsichtig bleibt. Die Präsenz der unsittlichen Figuren ist zwar naturgemäß unheilvoll und unsittlich konnotiert, doch ergibt sich aus ihr zunächst nicht wirklich ein Antagonismus. Erst mit fortbeständigen Aufenthalt, im später ausbrechenden Bandenkrieg (auf die Äquivalenz zu Sri Lanka werde ich im letzten Absatz implizit eingehen) kristallisiert sich der verderbliche Charakter der Umwelt heraus.

Und auch in diesem Stadium ist der Film dann stets von belangvollen Nuancen perforiert. So nimmt bspw. eine Interaktion zwischen Yalini und dem Bandenanführer, in der Phase wo sich die verderbliche Konstitution langsam unmissverständlich entschleiert, einen diametralen Charakter zu den bisherigen Gesprächen an, indem er verschwindend eine ihrer Gesten der vergangenen Gespräche mokierend imitiert. Warum beziehe ich mich gerade auf diesen vermeintlich insignifikanten Moment? Weil sich an ihm ein immer wiederkehrendes Muster des Films transparent veranschaulicht. Was da wäre: die in der konsistenten Formalität der Szenarien innewohnenden Ingredienzien verhalten sich stets analog zum Status der Assimilation. Im Prinzip demonstriere ich dieses Muster in jeder hervorgehobenen Szene unnwillkürlich.

V.
Neben dem Gesichtspunkt der Gesellschaftsverhältnisse ist es die kulturelle Prägung des Protagonisten, des Flüchtlings, welches zum Einsturz des vorgefundenen Lebensmodells und der Demolierung des Neustarts führt. Dheepan’s Innenleben wird im Laufe des Films analog zu dem jeweiligen Status der Assimilation in zwei einprägsamen Emblemen in srilankischem Setting zum Ausdruck gebracht. Wo das erste Emblem, das in der Phase des Arrangements mit der neuen Lebenssituation auftritt, noch suspekt erscheint, umschließt das zweite, in der ein Elefant langsam den Blick in Richtung Kamera richtet, die Aura der Bestimmtheit, indem es das verwüstende Potential einlöst, welches im Protagonisten waltet und bislang (eben auch in der ersten unklaren Naturaufnahme) nur angedeutet wurde. Es ist der monumentalste Augenblick des Films, da er das Scheitern der Assimilation und die Annihilierung des Neustarts besiegelt und ausdrucksstark vergegenwärtigt. Der infolge eintretende physische Ausbruch von Dheepan, die fatalistische, zerstörerische Kraft, die er an den Tag legt, ist, wenn zwar durch die erfahrene Prägung aus seiner Heimat überhaupt erst ermöglicht, ein Produkt der vorgefundenen Lebensumstände. Dass der Film das auf keinen Fall offenlässt, wird bereits in der ersten Szene nach der Flucht klar, als in einer plastischen Abstraktion, in der die Flüchtlinge mit albernen blinkenden Kopfschmuck versehen aus dem Dunkeln langsam Gestalt annehmen, die aufgrund ökonomischen Verhältnissen immanente Degradierung versinnbildlicht wird, der sich Flüchtlinge in ihrer Existenz ausgesetzt sehen. Der physische Vollzug der Entrüstung im letzten Akt ist nichts weniger als eine Überhöhung des Resultats einer in diesem Kontext zum Scheitern verurteilten Integrationspolitik. Die vehementen Actionsequenzen, die sich infolge materialisieren, deuten in ihrem Wahrnehmungshorizont die komplette Devastierung der bereitgestellten Lebensverhältnisse an, währenddessen die Kamera immer eng am Protagonisten verharrt, seinen Ingrimm spürbar macht, an der Determination keinen Zweifel aufkommen lässt. Die Manier mit der Audiard diese Action im letzten Akt inszeniert, die Kraft die sich darin freimacht, ist ein Lehrstück für alle Trivialfilmer dieser Welt.

Das unvermeidliche Scheitern der Assimilation, die Annihilierung des Neustarts erschließt sich im gleichen Maße aus der Perspektive von Yalini. Der von ihr betreute ältere Herr, dessen suspektes aber verträgliches Erscheinungsbild und Charakteristikum - dem Muster des Films entsprechend - im Einklang mit dem Status der Assimilation stand, indem er ins Bild rückt nachdem sie den Ballast ihrer Vergangenheit überwunden hatte (die Euphorie über die Bezahlung ist dafür eine charakteristische Nuance), wird nun nachdem der Bandenkrieg im Viertel ausbrach, nachdem der Prozess der Assimilation weitervoranschritt und in die prädestinierten Phase der Zerrüttung überging, mit mehreren Schüssen als Kollateralschaden hingerichtet. Vom Bandenanführer, der noch ihr ehemaliger verträgliche Gesprächspartner war, der sich nach dem Anschlag schwerverletzt am Boden krümmt, von ihm will Yalini nun in ihrer Panik nichts mehr wissen. Ihr Versuch sich von seiner verzweifelten Umklammerung zu befreien und aus ihrem damals argwöhnisch aber wohlwollend angenommen Arbeitsbereich zu flüchten, ist nicht weniger eine Visualisierung der vehementen Kapitulation gegenüber den Verhältnissen (die Abstinenz des Kopftuchs ist eine charakteristische Nuance) und der darin impliziten Negation der Assimilation, als der Amoklauf ihres Ehemanns. Die letzte Szene im Schauplatz des prekären Viertels, in der sich das provisorische Ehepaar begegnet, ist nicht nur das Ende vom nun verstörten Protagonisten, sondern auch allgemein das Ende der Odyssee, die da heißt Assimilation.

VI.
Am Ende lösen wir uns von den Verhältnissen die der erfolgreichen Existenzgründung der Flüchtlinge im Weg stand. Wir wechseln den Schauplatz, schweben regelrecht (subtiler Surrealismus) durch eine pittoreske Vorstadt, die einen Kontrast, eine Alternative zum exemplarischen Unterschichtenviertel darstellt und ein anderes Resultat als das bezeugte zufolge hätte. Doch verbirgt sich in diesem allegorischen Schlusspunkt noch eine gewichtigere Komponente, indem in dem idyllischen Panorama ein empathischer Einblick in das Seelenleben der Flüchtlinge ermöglicht wird, in der sich psychologische Dispositionen und naturgemäße kulturelle Distinktionen, welche unter den verhandelten prekären sozioökonomischen Bedingungen zuvor noch von ausschlaggebender Relevanz waren, in die Sphäre der Trivialität verflüchtigen.

Noch im Schriftzug offenbarten sich uns zu Beginn die ersten Merkmale aus Sri Lanka. Bevor sich der Kontext erweitert und die ruinösen Verhältnisse vor Ort augenscheinlich werden, sind es bekömmliche Palmen die wir kurzfristig wahrnehmen. Mit der letzten Aufnahme, die ebenfalls den Schriftzug, den Namen des Protgaonisten ausfüllt, schließt sich der Kreis. Es sind zwei Sinnkonstruktionen, die die Essenz des Films komprimieren: sie veranschaulichen das zuträgliche Wesen von Grundbeschaffenheiten, dessen inhärentes bekömmliches Potential durch kärgliche Kultivierung, durch das was in den knapp zwei Stunden vergegenwärtigt wurde, korrumpiert wird. Mit dieser Note, mit dieser letzten Einstellung des einträchtigen Zusammenseins in einer hiebfesten und idyllischen Welt, in der sich das bekömmliche Potential in der Grundbeschaffenheit der Wesen von Flüchtlingen entfalten kann, mit dieser illusionären Alternative werden wir zurückgelassen.

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