Der weiße Hai und das erschreckendste Monster der Filmgeschichte

08.10.2018 - 08:00 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Der weiße HaiUniversal
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1975 läutete Steven Spielberg mit Der weiße Hai die Ära des Blockbuster-Kinos ein. Sein schwimmender Wüterich ist heute noch genauso angsteinflößend wie vor über 40 Jahren, selbst wenn er sich im Film kaum blicken lässt.

Diesen Sommer wütete ein gigantischer Hai im Kino. The Meg, ein Megalodon aus einer vergessenen Zeit, bahnte sich sprichwörtlich seinen Weg aus einer anderen Welt, die sich tief verborgen unter der unseren befindet, um seinen Jahrhunderte gewachsenen Hunger zu stillen. Jason Statham tritt der Bestie gegenüber, in einem ungleichen Zweikampf zwischen Mensch und Monster, der das unheimliche Element dieser Begegnung jedoch völlig verkennt. Der riesige Haifisch ist trotz seiner Einführung als einzigartige Attraktion schneller entmystifiziert, als seine Opfer aus dem tödlichen Wasser an den sicheren Strand hechten können. The Meg zeigt so viel von seinem Störenfried, dass er am Ende nichts mehr zu zeigen hat. Der weiße Hai hingegen zeigt uns (lange Zeit) nichts von seinem titelgebenden Bösewicht und vermag es dennoch, für Gänsehaut zu sorgen, da er uns gleich im ersten Moment zu Mittätern macht. Im Rahmen unseres Themenspecials Angst, Schrecken, Panik - Horror-Monat 2018 blicken wir auf dieses besondere Werk aus Steven Spielbergs Karriere.

Der weiße Hai, Steven Spielbergs erstes Meisterwerk

In Anbetracht der herausfordernden - sprich: chaotischen - Produktionsgeschichte seines zweiten Kinofilms versteht es Steven Spielberg bei der Adaption von Peter Benchleys gleichnamiger Romanvorlage unglaublich gut, den Kern der Geschichte herauszuarbeiten. Dazu entledigt er sich zunächst sämtlicher Subplots, die für Ablenkung sorgen, und fokussiert sich alleine auf die Ungewissheit der nahenden Bedrohung, deren Perspektive wir gleich in der Eröffnungssequenz von Der weiße Hai einnehmen. Während John Williams' nervenaufreibendes Hauptthema langsam anschwillt und uns die Bewegung im tiefen Wasser spüren lässt, versetzt uns die Kamera unmittelbar in die Perspektive des Killers. Dieser hat es auf eine junge Frau abgesehen, die hilflos in der Dämmerung um ihr Leben rudert, während ihr Freund seiner eigenen Ohnmacht am Strand verfällt und sich nichtsahnend der lauen Sommerluft hingibt.

Der weiße Hai

Das Erschrecken am nächsten Tag ist groß, als der zerfetzte Körper ins Bewusstsein der Bevölkerung des Badeorts Amity eindringt, noch ehe der Haifisch als Täter gejagt wird. Polizeichef Martin Brody (Roy Scheider), der mit seiner Familie dem urbanen Schlund New Yorks entkommen ist, findet im idyllischen Küstenparadies die wahre Hölle, das vor seinen Augen zerbricht, obgleich es sich niemand eingestehen will. Wie auch in seinen späteren Filmen zeichnet Steven Spielberg in Der weiße Hai ein sorgfältiges Porträt der amerikanischen Gesellschaft und lässt diese in all ihren falschen wie aufrichtigen Behauptungen mit einer unberechenbaren Gefahr kollidieren, die lange Zeit überhaupt nicht greifbar, dafür aber umso bedrohlicher ist. Selbst wenn sich der Weiße Hai nicht vor die Kamera traut, erhalten wir durch die Auswirkungen seiner Taten ein präzises, verstörendes Bild von ihm, das sich nach und nach selbst vervollständigt.

Der weiße Hai frisst Amerika und Hollywood

Bürgermeister Vaughn (Murray Hamilton) will diesem Schrecken jedoch nicht ins Angesicht blicken. Stattdessen leugnet er das fleischfressende Übel, weil er die Freundschaft, die in Amity ganz groß geschrieben ist, nicht gefährden will. Mit verzweifelten Taten versucht der Bürgermeister, (das alte) Amerika zu retten, ohne den unabwendbaren Umbruch zu erkennen, den Der weiße Hai selbst auch für das Hollywood-Kino bedeutete. Ausgerechnet das Wochenende des 4. Juli und die lukrativste Saison seit Jahren stehen auf dem Spiel, sollte der Strand geschlossen werden, was fraglos die vernünftigste Maßnahme wäre. Das Zögern kommt jedoch von allen Seiten, denn niemand will sich den Sommer verderben lassen. Immerhin profitiert jeder auf seine persönliche Art und Weise vom Strand. Vaughns (Nicht-)Handlungen als Autoritätsperson treten sehr deutlich zutage. Es ist fast so, als würde er sein eigenes Watergate inszenieren, da seine Lügen alles noch schlimmer machen.

Der weiße Hai

Der weiße Hai bewegt sich schnell an den Punkt, an dem die bisher etablierte Ordnung in Gänze versagt. Eine Lektion, die sich erst nach mehrmaliger Wiederholung durch verheerende Folgen in die Köpfe der Menschen einprägt. Steven Spielberg drängt seinen Film aber bewusst in diese ausweglose Sackgasse, denn nur so kann das apokalyptische Potential entfaltet werden, wenn sich drei Veteranen des alten Hollywoods in der zweiten Hälfte auf den Weg machen, um den Unhold endlich in seine Schranken zu weisen. Zu Brody gesellen sich der Wissenschaftler Matt Hooper (Richard Dreyfuss) vom Ozeanografischen Institut sowie der ehemalige Soldat und Haijäger Quint (Robert Shaw), die - je nach Interpretation - für einen Teil des gesellschaftlichen Gefüges stehen, das Spielberg zuvor in seiner Ohnmacht entlarvt hat, wie jenen jungen Mann zu Beginn des Films, der sich in den weichen Sandstrand fallen lässt, während die Natur zuschlägt.

Der weiße Hai zeigt uns (fast) nichts und trotzdem alles

"You're gonna need a bigger boat", heißt es, kurz nachdem sich die drei ungleichen Männer aus der Not heraus in ein Abenteuer stürzen, das zwischen angebrachtem Wahnsinn und vernachlässigter Vernunft schwankt. Fokussierte sich Spielberg zuvor auf die essentiellen Bestandteile der Geschichte, verwandelt sich Der weiße Hai als Film noch ein Stück mehr in eine rohe Angelegenheit, die dem Hai am Ende in seiner Kompromisslosigkeit gar nicht mehr so unähnlich ist. Selbst wenn der Orca vorerst sicher durch das Wasser streift, werden wir in den darauffolgenden Minuten Zeugen, wie der weiterhin unsichtbare Wüterich das letzte Bollwerk der Menschheit in die Tiefe reißt. Womöglich wäre aber selbst ein größeres Boot dieser Willenskraft untergeben gewesen, mit der sich der Weiße Hai durch das Meer bewegt und alles zum Einsturz bringt, das sich ihm in den Weg stellt, nach wie vor angetrieben von John Williams' effektiver Filmmusik.

Der weiße Hai

Wenn sich das Monster schließlich offenbart, ragt eine Kreatur der Finsternis aus dem Wasser, die mit ihren toten Augen, ihrem weit aufgerissenen Maul und den unzähligen Zähnen nicht nur den gestandenen Männern im Boot, sondern auch uns Zuschauer einen Schauer über den Rücken jagt. Selbst der eingangs erwähnte Meg würde sich in diesem Moment ungeachtet seiner Größe am liebsten in dem Loch verkriechen, aus dem er gekommen ist. Auf unterschiedlichstem Wege haben wir dieses archaische Filmmonster kennengelernt, ja, sogar seine Perspektive haben wir eingenommen. Erst zum Schluss blicken wir aber in sein Angesicht. Dann offenbart sich auch das komplette, vernichtende Ausmaß der Lage. Eine gewisse Ordnung stellt Steven Spielberg in den letzten Minuten seines Films trotzdem wieder her: Seine Filmwelt leidet, während sich für den Zuschauer alle zuvor ausgemalten Fantasien erfüllen.

Zieht euch Der weiße Hai auch jedes Mal wieder in seinen Bann?

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