Darf das Kino reale Katastrophen ausbeuten?

30.01.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
The Impossible
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The Impossible
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Erdbeben, Flutwellen, Schiffbrüche – nicht nur im Blockbuster-Kino werden reale Katastrophen gern effektvoll nachgestellt. Doch wie weit darf ein Film gehen, um tatsächliche Tragödien nicht lediglich im Schutzmantel der Unterhaltung auszubeuten?

Das Erdbeben im Indischen Ozean 2004 und die dadurch in Gang gesetzten Flutwellen kosteten etwa 230.000 Menschen das Leben. Jeder, der die Auswirkungen dieser medial nahezu vollständig dokumentierten Tsunami-Katastrophe an Weihnachten vor acht Jahren verfolgt hat, wird deren Bilder nicht mehr vergessen. Die amerikanisch-spanische Koproduktion The Impossible stellt die gewaltige Flutwelle mit immensen tricktechnischen Ambitionen und einer mittlerweile oscarnominierten Starbesetzung für die große Leinwand nach. Wenn das Familiendrama, based on true events, morgen in den deutschen Kinos anläuft, wird sich das Publikum unweigerlich fragen müssen, ob ein pietätvoller Umgang mit einer so beispiellosen Katastrophe zu Unterhaltungszwecken überhaupt annähernd möglich ist. Denn die erste halbe Stunde von The Impossible ist in ihrer brutalen Rekreation der Naturgewalt gleichermaßen erschütternd intensiv wie auch fürchterlich geschmacklos.

Clint Eastwoods CGI-Flutwellen in Thailand
Schon Clint Eastwood inszenierte zu Beginn seines Films Hereafter – Das Leben danach die Tsunami-Katastrophe in Südasien als mitreißendes Schicksalsereignis, das die Leben unterschiedlicher Menschen auf der ganzen Welt veränderte. Vermutlich rieben sich an der ebenfalls nicht unproblematischen, weil auf mitreißend und eindrucksvoll geeichten CGI-Interpretation der Tsunami-Wellen seinerzeit kaum Zuschauer, weil die Erinnerung an sie nach zwei spirituellen Stunden voller Kitsch mit Sahnesoße schon wieder verblasst war – Eastwoods Mystery-Drama verstand die Katastrophe eher exemplarisch, sie rückte nach den ersten Minuten auch durch die Ort und Zeit wechselnde Handlung in den Hintergrund. Die detailfreudige Nachstellung der Flutwellen in The Impossible geht da nun hingegen einen ganzen Schritt weiter: Gegenstände bohren sich ins Fleisch der vom Wasser mitgerissenen Opfer, während eine entfesselte Kamera anschaulich über die Wellen schnellt und das ausweglose Leid unter modrigem Schlamm und bergeweise Dreck ins rechte Bild rückt. Die computergenerierten Flutwellen werden anfangs sogar aus einer eigenen POV-Perspektive angekündigt – ganz so, als handele es sich bei ihnen lediglich um eine spannungsgeladene filmische Bedrohung wie beispielsweise in Der weiße Hai.

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Der Tsunami als Suspense-Blockbuster?
Diese befremdliche Verschränkung einer realen und noch dazu recht jungen Tragödie mit den Gepflogenheiten und Konventionen des Mainstream-Kinos sorgt für reichlich Magengrummeln. Will das jemand sehen, die Tsunami-Katastrophe als Blockbuster? Als Effektspektakel? Als Heldengeschichte mit Kinostars wie Ewan McGregor und Naomi Watts? Als schmalziges Familiendrama, das sein Happy End rückversichert, weil es sich an den wahren Begebenheiten einer überlebenden Familie orientiert? Als reißerisches Spannungskino, das eine reiche Ärztesippe aus England in den Mittelpunkt rückt, statt sich den eigentlichen, den weitgehend mittellosen und nicht privilegierten Opfern der Katastrophe zu widmen? Hunderttausende Betroffene und ein unermesslichen Ausmaß der Naturgewalt, formatgerecht herunter gebrochen auf ein zweistündiges Kinoerlebnis, das mit dickwanstiger Musik um Rührung bittet? Das uns die Überlebensfrage als einen Suspense-Moment mit Vielleicht-wird-doch-noch-alles-gut-Option verkaufen will?

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