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Brot & Spiele, Emanzipation und das Ende der Vernunft - was wir von Game of Thrones lernen können

01.05.2016 - 19:10 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Winter is coming - keine Zeit für Helden
HBO
Winter is coming - keine Zeit für Helden
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"Game of Thrones" entfacht eine Euphorie sondergleichen. Ein Teaser-Video zur neuesten Folge und das komplette Internet steht Kopf. Sogar aus der Gestalt eines Blutflecks erwachsen kühne Fan-Theorien - und selbst, wenn man an der Serie überhaupt nicht interessiert ist, wirft der Hype früher oder später irgendeinen Schatten. Dazu genügt es bereits, auf Twitter registriert zu sein. Ich gehörte lange zu den wenigen, die sich der ganzen Hysterie beharrlich verweigern. Denn erstens ist Fantasy im Allgemeinen nicht mein Ding und zweitens wähnte ich hinter dem Konzept überwiegend reine Schauwerte, um niedere Instinkte des Zuschauers zu bedienen (Gewalt und Sex ziehen bekanntlich immer, erst recht in Kombination). Tatsächlich erscheint mir das Erfolgsrezept von "Game of Thrones" nunmehr - nachdem ich mir endlich ein umfassendes Bild gemacht habe - weitaus diffiziler und säuberlich ausgeklügelt: Wer einfach gerne nackte Brüste sieht und das Spektakel liebt, kommt zu Genüge auf seine Kosten - über fast noch mehr Stimulation jedoch freut sich derjenige, der hinter die Fassade blickt. Obgleich in einem fiktiven Mittelalter-Setting verwurzelt, strahlt die Serie weitläufig auf unsere Moderne zurück. Dabei ist sie ebenso bitter reflexiv wie freigeistig... und damit aktuell einer der hellsten Sterne am medialen Himmel.

[Der folgende Text enthält zwar Spoiler, aber ich habe mich bemüht, sie möglichst grob bzw. vage zu halten, sodass ein späteres Sehvergnügen nicht unbedingt getrübt sein muss.]

Starke Frauen und freie Liebe

Vielerorts liest man davon, wie sorgsam ausgearbeitete Frauencharaktere heutzutage eigentlich keine Besonderheit mehr darstellen sollten. Schaue ich mich hingegen um, drängt sich mir die Frage auf, warum in der filmischen Praxis hier nur so selten Wort gehalten wird. Unter "stark" verstehe ich persönlich - wohlgemerkt - nicht, dass Frauen uneingeschränkt das Gute und Aufrechte verkörpern müssen. Im Gegenteil sind wir - genau wie eben Männer - ziemlich komplizierte, oft in sich widersprüchliche, manchmal - Schreck, lass' nach! - intrigante Wesen mit egoistischen Interessen. Selten in letzter Zeit ist mir eine Figur untergekommen, die dem so sehr gerecht wird wie Cersei Lannister. Ich tue mir nach wie vor schwer, echtes Mitgefühl für sie zu empfinden, aber wie die Autoren behutsam aufdecken, ist ihr gravierender Hass allein Spiegelung ebenso tiefer Wunden, für welche Cersei verzweifelt nach Verantwortlichen sucht - beispielsweise in der Person ihres kleinwüchsigen Bruders Tyrion. Von der Horror-Regentschaft ihres Sohnes Joffrey räumt sie ein, geschockt zu sein, und doch ist die Liebe zu ihren Kindern der stärkste (womöglich einzige) Anker, der ihr verbleibt. So ist sie darauf bedacht, jedes Hindernis aus dem Weg zu räumen, das sich dazwischen drängen könnte - egal mit welchen Mitteln, solange sie zum Ziel führen. Cersei ist jemand, um den der Zuschauer innerlich quasi permanent kämpfen muss: Was ist noch Maske, wo beginnt ihr Gesicht?

Cersei Lannister: So komplex wie Frauen nun einmal sind.

Aber Cersei sei nur exemplarisch genannt. Praktisch jede Frau in "Game of Thrones" besitzt markante Züge, keine entspricht einem Klischee. Häufig leitet dies über in ein radikales Hinterfragen von Geschlechterrollen und schafft Räume für so manche Dame, die vorbehaltlos kurze Haare tragen, gekonnt Schwerter schwingen oder sich gar zu einer Königin hocharbeiten darf.

Bemerkenswert ist daneben, dass die Serie nicht zwischen hetero- und homosexuellem Begehren unterscheidet, vielmehr in entsprechenende Szenen beides gleichermaßen unverstellt behandelt. Es wird deutlich, dass schwule Liebe damals zwar gesellschaftlich geächtet war (und sein wir ehrlich: Restlos hinter uns gelassen haben wir jene Ressentiments leider auch im 21. Jahrhundert noch nicht), die Position der GoT-Schöpfer hingegen eine gänzlich andere ist.

Spiel um Throne, Spiel um Macht

Die Bedeutung (oder besser gesagt: Das Ideal) von Macht ist ein zentrales Thema in "Game of Thrones". Verschiedene Häuser erheben Anspruch auf den Thron von Westeros, eine arrangierte Heirat zwischen zwei Familien geschieht regelmäßig aus politisch-taktischen Gründen: Man möchte durch einen Zusammenschluss einen gemeinsamen Gegner überflügeln/ausschalten. Kommt hierbei das "Der Feind meines Feindes ist mein Freund"-Prinzip zum Tragen, ist die Vereinigung meistens von Erfolg gekrönt - ansonsten wird es mitunter knifflig. Die zahlreichen Intrigen, welche die Serie auffährt, mögen den Beigeschmack einer Seifenoper heraufbeschwören. Bei ehrlicher Betrachtung allerdings ist Politik - zumindest in einem wesentlichen Aspekt - haargenau das: Taktieren, Kompromisse schließen, Regeln aufstellen, Regeln brechen. Besonders intensive Momente beschert die Serie ihrem Publikum, wann immer sie beleuchtet, was einige der Protagonisten für den vermeintlichen Platz an der Sonne zu tun bereit sind - und teils qualvoll an ihrem eigenen Größenwahn ersticken. Auch die Institution Familie behauptet sich in erster Linie nicht etwa als Hort der Geborgenheit, sondern als Waffe, um die Erb- und Thronfolge über weitere Generationen zu sichern (Tywin Lannister spricht es sogar deutlich aus).

Stannis Baratheon, oder: Wie weit gehst du für Macht?

Das Ende der Moral

Am Heftigsten erschüttert hat mich "Game of Thrones" indes auf einer noch anderen Ebene: Nicht nur müssen wir mit ansehen, wie die Egoisten und Sadisten scheitern - sondern demonstrativ auch die, die um Fairness und Gerechtigkeit bemüht sind. Der Versuch, für Tugend und Besonnenheit einzutreten, wird teuer bezahlt. Man denke an Ned Stark, der für die Aussicht auf Frieden sich selbst verleugnet. Oder an Jon Snow, der bei seinen Kollegen der Nachtwache für ein temporäres Bündnis mit den verhassten, so genannten Wildlingen wirbt - was nach den Gegebenheiten durchaus einleuchtet, zumal von jenseits der Mauer eine akute und verheerende Gefahr droht, die es nach rationalen Maßstäben wert sein sollte, alte Feindschaften für einen Augenblick ad acta zu legen. Doch beißt Snow mit seinem Plan auf Granit, denn viele seiner Männer haben einst durch Wildlinge Angehörige verloren und sind nicht bereit, ihren Zorn zu überwinden. Eher nehmen sie in Kauf, dass am Ende alle sterben.

Diese Dominanz der Unvernunft beobachte ich im Alltag häufiger als mir lieb ist. Wer's nicht glaubt, dem empfehle ich, den Kommentarbereich diverser Mainstream-Seiten auf Facebook zu durchstöbern. Dort wird (unter tosendem Beifall) zum Beispiel munter für die Todesstrafe plädiert, oder es werden Vorschläge geäußert, Verbrecher in medizinische Experimente einzuspannen... dann hätten sie wenigstens einen Nutzen für die Gesellschaft. Wer jetzt hingeht und darauf verweist, dass Menschenwürde unter keinen Umständen verwirkt werden kann, der fühlt sich - ich garantiere es - auf einmal ziemlich allein, obwohl er die Wertungen unserer Verfassung hinter sich weiß. Ich habe das jedenfalls einmal probiert und erfuhr die hässlichsten Beleidigungen meines bisherigen Lebens. An der Stelle greift "Game of Thrones": Politische Entscheidungen, die primär von Räson (und nicht Emotion) getragen sind, führen zwar auf den richtigen Weg, finden je nachdem aber nur wenige Anhänger. Ob möglicherweise Daenerys Targaryen die Verhältnisse gerade rücken wird, ist unklar, stößt ja auch sie auf so manche Hürde.

Littlefinger Baelish: Der lachende Dritte?

Indes kennt die Serie eine Person, die die Mechanismen des Systems vollständig durchschaut und verinnerlicht hat: Petyr "Littlefinger" Baelish. Er ist niemandem loyal, agiert nach außen galant unaufällig - und zieht im Hintergrund die Fäden, indem er die Häuser heimlich gegeneinander ausspielt. Ich begegne ihm mit einer Mischung aus Verachtung und Bewunderung. Und wäre ich gezwungen, all mein Geld auf eine Figur in dieser wilden Schachpartie setzen: Meine Wahl fiele auf ihn.

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