Boyhood und die Erinnerung an die Zukunft

07.03.2015 - 09:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
...like the moment seizes us.Universal Pictures/moviepilot
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Der Kommentar der Woche honoriert nicht nur, was Richard Linklater in 12 Jahren Dreharbeiten geschaffen hat - er wirft einen Blick in den Spiegel, den Boyhood in unserer Hand hinterlässt.

Jede Woche werfen wir im Kommentar der Woche einen Blick zurück auf einen ganz besonderen Kommentar. Ganz gleich wann, wo oder worüber er geschrieben wurde - solltet ihr irgendwo auf moviepilot oder gamespilot über einen Kommentar stolpern, der euch berührt, zum Lachen bringt, euch begeistert oder nachdenklich macht, sagt sciencefiction oder Kängufant Bescheid und teilt eure Entdeckung mit uns!

Der Kommentar der Woche
Oft gehen wir ins Kino und werden von dem Überlebensgroßen auf der Leinwand in andere Welten gerissen - moviepilot-User Tautou beweist uns, dass ein leiser Film wie Boyhood uns einen Spiegel in die Hand drücken und in eine viel faszinierendere Welt entführen kann: Unser eigenes Leben, unser eigener Film...

Als Kinder haben wir Steine gesammelt und mit Wasserfarben bunt bemalt, um sie in der Nachbarschaft zu verkaufen. Erwachsene waren immer ganz groß darin, uns Kleine zum nächsten Picasso zu küren: „Das habt ihr toll gemacht, ich nehme zwei davon“ – „Danke Frau Kaulard, macht genau 1 Mark!“. Schnell zum Kiosk um die Ecke, das Geld ging für weiße Gummimäuse, rotes Kratzeis und vielerlei drauf, „ich hätte gerne noch 5 grüne Schnüre zu je 10 Pfennig.“ Wir waren waschechte Geschäftsmänner.

Zwar kam diese Szene in Boyhood nicht vor, dennoch weckt der Lebensreisefilm nostalgische Gefühle und bietet genügend Spiegelfläche. Jaja, die hübschen Frauen im Katalog, die uns direkt in die Augen blickten. Und überhaupt: Wann hielt ich dieses monströse, klobige, viel zu große Relikt zuletzt in meinen Händen? Unvergessen, wie Mutter und ich den Katalog einmal gemeinsam aus dem Türschlitz ziehen, gar reißen mussten.

Boyhood hat mich mit seiner Authentizität gewonnen. Es ist eben etwas anderes, wenn Filmemacher für Rück- oder Vorausblicke jüngere wie ältere Darsteller anstellen. Und es ist auch etwas anderes, wenn Filmemacher Räume so einrichten und Menschen so einkleiden, wie sie zu dem jeweiligen Zeitpunkt ausgesehen haben. Gleiches gilt für die Geschichte, die zu keinem Zeitpunkt überheblich wankt, sondern eine glaubwürdige Bastelbiografie darstellt, wie sie ein jeder zumindest aus dem Freundeskreis kennt. Vielleicht sogar die nervige Schwester, die etwas von Britney Spears singt, oder den Kummer im Herzen, wenn Vater ein Versprechen nicht hält. Dadurch ist der Film ein Zeugnis unserer Geschichte. Zwischen diesen Stationen im Zeitraffer verliert man sich. Das Prahlen vor und mit den Freunden, neckisches Unter-dem-Kinn-Kitzeln, Mamas Tränen beim Auszug, turbulentes Feiern mit „Willst du auch mal ziehen?“, und ihre kokosnussbraunen Haare wehten im Wind auf dem Hügel mit schönem Ausblick. Die Welt anhalten für einen Kuss.

Noch einmal ins hoffnungsgrüne Gras legen und an das 5. Lebensjahr denken, an das 10. und an das 15., an den stürmischen Rest der Kindheit, um sich an die Zukunft zu erinnern: Danach folgt auch ein schönes Leben.

Den Originalkommentar zum Liken und Liebhaben findet ihr übrigens hier.

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