Godless bei Netflix - Soderbergh liefert eine packende Western-Serie

23.11.2017 - 13:30 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
GodlessNetflix
4
5
Wir steuern langsam, aber sicher auf das Ende des Jahres zu, da packt Netflix mit der von Steven Soderbergh produzierten Western-Serie Godless noch einmal ein richtiges Highlight in dieses sowieso schon sehr aufregende Serienjahr.

Zuletzt protzte HBO mit der aufwendigen Produktion von Westworld - einer Serie, die charakteristische Elemente des Westerns mit futuristischen Gedankenspielen verbindet. Eine High-Concept-Serie, die wie dafür geschaffen wurde, selbst aus der aktuellen Flut an neu startenden Serien herauszustechen und die Zuschauer alleine aufgrund der Genre-übergreifenden Prämisse zu ködern. Dagegen wirkt Godless aus dem Hause Netflix auf den ersten Blick denkbar unspektakulär: Hier stolpern keine hochentwickelten Roboter durch die Prärie und sorgen für ein Blutbad sondergleichen. Stattdessen entführt die Western-Serie ins Jahr 1884 und entfaltet sich wie ein klassischer Vertreter seines Genres. Serienschöpfer Scott Frank, der ebenfalls bei allen Episoden Regie führte und das Drehbuch schrieb, hat dennoch ein eigenständiges Werk geschaffen, das nicht bloß an der Reproduktion vertrauter Tropen interessiert ist, sondern sich diesen mit einer modernen Sichtweise nähert.

Produziert von Steven Soderbergh, der bereits mit The Knick gezeigt hat, wie verblüffend eine Serie trotz altbekannter Bestandteile sein kann, bringt Godless eine angenehme Aufrichtigkeit und Frische mit, denn hier braucht das Genre kein verspieltes Gadget, um wieder cool zu werden, sondern darf sich in seinen besten Facetten präsentieren. Erzählt wird die Geschichte eines Verfolgten, namentlich Roy Goode (Jack O'Connell). Dieser war einst Teil der Gang des gefürchteten Frank Griffin (Jeff Daniels). Beim letzten Raubzug hat er sich jedoch gegen jenen Mann gewandt, der ihn wie seinen eigenen Sohn bei sich aufgenommen und großgezogen hat. Auf der Flucht vor seinen Verfolgern gelangt Roy schließlich auf die Ranch von Alice Fletcher (Michelle Dockery), die außerhalb der Gemeinde von La Belle lebt, einer Stadt, in der ein Großteil der männlichen Einwohner bei einem verheerenden Minenunglück ums Leben kam.

Godless

Scott Frank, der zuletzt als Drehbuchautor zweifelsohne für den Western-Anstrich von Logan - The Wolverine verantwortlich gewesen sein dürfte, entführt in eine ungemütliche Welt, die schon über eine reiche Geschichte verfügt, bevor wir Zuschauer überhaupt alle Figuren kennengelernt haben. In ausgeblichenen Flashbacks bekommen wir nach und nach Einblicke in all die Dinge, die dafür gesorgt haben, dass sich die Figuren an jenem Punkt in ihrem Leben befinden, indem sie wahlweise als gottlose Zeitgenossen dem Pfad der Rache folgen oder gebeutelt vom Schicksal nach dem letzten Funken Hoffnung in einer verdorbenen Landschaft sorgen. Diese präsentiert sich im ungewissen Fall eines prächtigen Regengusses als matschiges Niemandsland. Nicht selten fragt ein Neuankömmling in La Belle, wo denn alle sind, da im Saloon lediglich ein paar trostlose Gestalten sitzen und keine der üblichen Raufereien im Gange ist.

Godless vermittelt stets ein Gefühl von Verlust, Tragik und Einsamkeit, findet im rohen, rauen Frontier-Leben allerdings nicht nur den Schmerz, sondern ebenfalls die Schönheit. Das passiert etwa in Form erhabener Aufnahmen, die sich der eindrucksvollen Landschaft verschrieben haben. Andernorts kommt diese Schönheit durch die Ruhe und Gemächlichkeit der Erzählung zum Vorschein, etwa wenn sich der geflüchtete Roy auf Alice' Ranch behutsam den aufgebrachten Pferden annähert und diesen mit unerwarteter Sicherheit einen friedlichen Augenblick beschert, der von allen Lasten Abstand nimmt und die Tiere durchatmen lässt. Godless fördert viele dieser unscheinbaren Momente zutage, die ihre Kraft in der Stille finden und die Geschichte um eine nachdenkliche Ebene erweitern. Wenngleich das düstere Opening des Serienauftakts eine deutlich schnellere und actionlastigere Serie verspricht, offenbart sich Godless als verdientes wie effektives Slow-Burn-Drama.

Die meisten Western durchdringt diese passiv-aggressive Anspannung. Es brodelt tief im Innern der Figuren, ehe die wahren Gefühle erst im Finale - mitunter durch überaus gewalttätige Handlungen - zum Ausdruck kommen. Frontier dehnt dieses Brodeln auf sieben unterschiedlich lange Episoden aus und nutzt die Zeit, um berührende Figurenporträts zu erschaffen. Zuerst wäre da natürlich der diabolische Frank Griffin, der regungslos für Angst und Schrecken sorgt, während er sich äußerlich als Vertreter Gottes präsentiert und insgeheim längst um den Tag seines Todes weiß. Dazu kommt die respektvolle Beziehung, die zwischen Roy und Alice entsteht - für den größeren Rahmen der Geschichte sind jedoch die Einwohner von La Belle entscheidend, allen voran Bill McNue (Scoot McNairy), der gebrochene Sheriff, dem das Augenlicht schwindet, aber dennoch der Ruf eines Gesetzeshüter vorauseilt, der in seinen guten Jahren nicht zimperlich mit seinem Revolver umging.

Godless

Dazu gesellt sich Mary Agnes (Merritt Wever), die Witwe des letzten Bürgermeisters von La Belle, die entgegen der anderen Frauen in der Stadt die frisch erlangte Unabhängigkeit zu schätzen weiß und fürchtet, dass sich die Übernahme der Mine durch eine machthungrige Firma als tragischer Rückschritt herausstellen wird. Der junge Deputy Whitney Winn (Thomas Brodie-Sangster) hingegen ist zu sehr von seinen halbstarken Fantasien abgelenkt wird, als dass er für Recht und Ordnung sorgen kann. Marshal John Cook (Sam Waterston) nimmt derweil die Verfolgung der Griffin-Bande auf und begeistert mit einem majestätischen Schnurrbart, der fast dem von Hercule Poirot in der aktuellen Mord im Orient-Express-Verfilmung Konkurrenz macht. Auch der von Frank Griffins Machenschaften faszinierte Journalist A.T. Grigg (Jeremy Bobb) findet sich in der Gegend wieder, wenngleich er die Bekanntschaft mit Obsession seiner unzähligen Artikel eher bereuen wird.

Scott Frank nutzt all diese Stereotypen, um ein Fundament zu schaffen, das Potential für ein weit umfangreicheres Epos bereithält, das durchaus noch viele Staffeln laufen könnte. Godless entscheidet sich allerdings für einen anderen Weg und unterschiedet sich in diesem Punkt etwa von Genre-Meilensteinen wie Deadwood. Wo David Milchs Western-Serie im Lauf von (leider) nur drei Staffeln einem gewaltigen Gesellschaftsporträt avancierte, fokussiert sich Godless auf das Schicksal einer Handvoll verlorener Seelen, die vor dem Unvermeidlichen flüchten, obwohl sie genauso sicher um das blutige Ende wissen wie wir Zuschauer. Es hat fast schon etwas Poetisches, wenn sich Frank Griffin, der sich bereits mit seinem Tod - wie auch immer dieser aussehen mag - abgefunden hat, auf den Weg macht, um sein eigenes Schicksal zu erfüllen. Spätestens ab diesem Punkt reißt Godless mit seiner packenden Wucht mit und liefert eine der beeindruckendsten Serien ab, die Netflix dieses Jahr zu bieten hatte.

Die 1. Staffel von Godless ist seit dem 22.11.2017 komplett auf Netflix verfügbar. Als Grundlage für den Serien-Check dienten die ersten fünf Episoden.

Das könnte dich auch interessieren

Schaue jetzt Godless

Kommentare

Aktuelle News