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Dr. Beutel oder wie ich lernte, deutsches TV zu hassen

14.11.2014 - 11:55 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
What are you doing? Stop it! STOOOP!
Netflix / Mashable / Philipp Weinbrecht
What are you doing? Stop it! STOOOP!
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Die deutsche TV-Landschaft ist krank. Scripted-Reality Formate laufen wie geschnitten Brot, Bauer sucht Frau meldet Rekord-Quoten in seiner jetzt laufenden, zehnten Staffel. Während die Serien- und Filmjunkies auf Pay-TV und Streaming-Dienste umsteigen, klammern sich die Sender an die, die es nicht besser kennen. Oder können. Darunter leiden die guten Formate und technisch nicht versierte Menschen.

(Dieser Artikel enthält schlimme Wörter und auf Grund seines zynischen Inhaltes sollte er von niemandem gelesen werden. Alle Figuren sind frei erfunden und in reale Handlungen eingebunden. Ausnahmen sind die Regel.)

Ein beispielloses Beispiel.

Was für ein Start in den Freitag. "Vox verbannt White Collar mitten in die Nacht"  heißt es da. White Collar? Da war doch was? Genau! Während die erste Staffel der Serie recht erfolgreich auf RTL am Dienstag gezeigt wurde (~ 18% Marktanteil), kam irgendein wahnsinnig schlauer Programmplaner irgendwann auf die wahnsinnig tolle Idee, den Sendeplatz der Serie mit Start der nächsten Staffel auf einen anderen Tag zu verschieben. Die Quittung folgte umgehend: Die Quoten fielen ins Bodenlose, der Leidtragende war der Serienfan. Mitten in der 2. Staffel stoppte RTL die Ausstrahlung fast kommentarlos. Statt wieder den ursprünglichen Sendeplatz zu aktivieren, auf dem die Serie erfolgreich lief - und um die Staffel zu einem Ende zu bringen - beerdigte man die Serie.

Zeitsprung. Knapp 2 Jahre später. Der Sender VOX entdeckt White Collar für sich. Löblicherweise begann man mit der erneuten Ausstrahlung der 2. Staffel, kam aber zeitgleich auf die tolle Idee, das Format noch später als bei RTL und an einem Samstag Abend (22 Uhr) zu zeigen. VOX ist jetzt generell nicht der reichweitenstärkste Sender und die knapp 3% Marktanteil waren folglich abzusehen, zumal VOX um diese Zeit normalerweise seine Koch- und C-Promi-Sendungen laufen hat. Dazwischen jetzt eine Krimi-Serie? Ein gewagtes Unterfangen. Trotzdem hat VOX sich entschlossen, die zweite Staffel zu beenden und je nach Quoten auch die 3. Staffel zu zeigen. Das Problem: Um die bisher ungezeigten Folgen der 2. Staffel zu zeigen und diese endlich mal auch im deutschen TV zu einem verdienten Abschluss zu bringen, strahlt man Doppelfolgen aus. Mitten in der Nacht. Um 2:30 Uhr. Weitere Probleme liegen auf der Hand: Fans, die damals auf RTL mitten in der Serie im Stich gelassen wurden, haben sich die Folgen mittlerweile auf anderem Wege angeschaut. Neue Fans wird man mit dem Sendeplatz und dem Sender nicht gewinnen. Außerdem läuft in den USA schon die 6. Staffel (die auch die letzte sein wird). VOX hat also folglich keine Chance, irgendwie mit der Serie noch Quote zu machen. RTL indessen kann das egal sein: Gerade hat Bauer sucht Frau wieder Rekordquoten gemeldet. 

Die deutsche TV-Landschaft: ein Minenfeld.

White Collar ist natürlich nur eines von vielen Beispielen, wie man in der deutschen TV-Landschaft mit guten Formaten umgeht. Schaut man bei DWDL.de auf die TV-Misserfolge 2013  findet man dort fantastisches Material wie House of Cards, Borgia oder Homeland; genannt im gleichen Atemzug mit 7 Tage Sex  (RTL), Bully macht Buddy (Pro Sieben) oder Der V.I.P.-Bus - Promis auf Pauschalreise  (RTL). Das macht traurig und wütend. Aber wen wundert es? Niemand, der auch nur im entferntesten einen gewissen Anspruch an das Medium Film hat, schaut heutzutage noch freiwillig Fernsehen zu den gewohnten Sendezeiten: Entweder läuft der übliche Trash aus der Kategorie "Scripted Reality", der sich weiterhin wie geschnitten Brot verkauft, oder man schaut zu, wie Helene Fischer mal wieder die künstlichen Herzklappen des ZDF-Publikums zum Klappern bringt . Da werden dann selbst langweilige Preisverleihungen zur Nebensache. Dass eine Uma Thurman vor Ort war und gewonnen hat, interessiert angesichts der goldenen Hosen von Helene keinen.

Alternativ hat man noch einen der üblichen, anspruchslosen Quotengaranten zur Abendgestaltung. Überraschend ist das natürlich nicht: Wer wirklich Bock auf gute Unterhaltung hat und eventuell sogar in Ruhe seine Serie schauen mag, der greift zu Netflix, Watchever, Amazon oder sonstigen Anbietern. Die Vorteile liegen auf der Hand: Man muss nicht mitten in der Nacht um halb drei aufstehen, um die Serie weiter zu schauen, die man mag oder gar darum fürchten, ob sie nicht wieder mitten in der Staffel abgesetzt wird.

Wenn nur noch Säue da sind, ist die Qualität der Perlen egal.

Was bleibt, ist ein Publikum, das von den TV-Sendern zur jetzigen Situation hin erzogen wurde. Klar laufen Serien wie Die Simpsons, Two and a Half Men und King of Queens weiterhin wie gewohnt, aber das liegt daran, dass sie nicht so behandelt werden wie die anderen Serien. Alle laufen seit Jahren auf konstanten Sendeplätzen; der Zuschauer weiß also, wann er einzuschalten hat und dass verlässlich wie ein Schweizer Uhrwerk die Folgen abgefeuert werden - inklusive zig Wiederholungen. Genau so haben die privaten und öffentlich-rechtlichen Sender aber auch den Umgang mit qualitativ anspruchsvollen Serien zu verantworten: ständig wechselnde Sendeplätze, inkonsistente Ausstrahlung (Einzel-, Doppelfolgen oder gar die ganze Staffel im Marathon) und Abbrüche mitten in einer Staffel lassen jedem Serienfan die Drosselkappe einrosten. So bleibt nur die Alternative auf die Streaming- und Pay-Dienste auszuweichen - oder auf weniger legale Mittel, wenn selbst die offiziellen Wege versagen. Wir erinnern uns . Der TV-Zuschauer ist mitnichten zu blöd für anspruchsvolle Formate - die Schlauen schauen nur einfach nicht mehr TV oder können nicht, weil sie es nicht besser wissen.

Was kann man also tun? Nicht viel. Während in den USA weiterhin viele gute Serien produziert werden, bleibt denen, die für die Internet- oder Streaming-Nutzung nicht technisch oder informiert genug sind nur das übliche Programm der senderspezifischen Zielgruppe. Wer da nicht dazu gehört, der ist der willkürlichen Behandlung von hochqualitativen Formaten schutzlos ausgeliefert. Natürlich gibt es auch viele US-Serien, die selbst im Heimatland nicht die Würdigung erhalten, die sie verdienen. Ich erinnere nur an Lie to Me als jüngstes Beispiel, das nach drei Staffeln einfach abgesetzt wurde. Sci-Fi-Fans erinnern sich auch an das traurige Ende der Serie Firefly ‒ Aufbruch der Serenity. Das Problem ist, dass man gemessen an der Menge der qualitativ guten Serien durchaus mal den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen kann. Das ist hierzulande eigentlich relativ einfach: Zwischen Bauer sucht Frau, "Cash Crash" und "Hilfe - mein Schwein pfeifft" erkennt der Fan Perlen wie House of Cards eigentlich sofort. Das Problem ist nur, dass mittlerweile kein Fan mehr TV schaut. Und so bleibt nichts anderes übrig, als immer wieder aufs neue in Tränen auszubrechen, wenn man Schlagzeilen über US-Quoten-Flops im deutschen TV-Programm liest. Die Perlen können noch so hochwertig sein: Wenn nur noch Säue da sind, interessiert die Qualität niemanden mehr.

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