Der größte Western des Jahrzehnts: Kevin Costners Horizon ist ein atemberaubender Ritt durch Hoffnung und Gewalt

19.05.2024 - 21:00 UhrVor 4 Tagen aktualisiert
Horizon: Eine amerikanische Saga
Tobis
Horizon: Eine amerikanische Saga
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Millionen seines Geldes hat Yellowstone-Star Kevin Costner in das mehrteilige Western-Epos Horizon gesteckt. Was ist dabei herausgekommen?

Ein Holzpfahl wird in die Erde getrieben, ein Faden geht davon ab und zieht eine ordentliche Linie über Gras und Gestrüpp. Es sind die Maße für ein Haus. Holz und Faden, das ist der Traum der Siedler im Jahr 1861 an diesem Flusslauf jenseits der amerikanischen Grenze. Zwei Jahre später ist von ihrem Traum nur der Staub geblieben. Die Pfähle stehen über ihren Gräbern.

So eröffnet Kevin Costner sein neues Western-Epos Horizon, das soeben seine Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Cannes gefeiert hat. Costner erzählt darin Geschichten gewaltsamer Landnahme auf der einen und Verteidigung durch die indigene Bevölkerung auf der anderen Seite. Das Fleckchen Erde am Flusslauf ist ein Teil des Panoramas, das in insgesamt vier Horizon-Filmen ausgebreitet werden soll.

Ausgehend vom ersten Film wünscht man ihm alles Geld der Welt für die Realisierung dieses Plans. Kevin Costner legt mit Horizon einen bildgewaltigen Ritt durch atemberaubende Landschaften hin, dialogstark, kompromisslos in seiner altmodischen Erzählfreude und eine Zeitreise. Nicht nur ins Jahr 1861, sondern in die frühen Neunziger. Die Western-Ära von Der mit dem Wolf tanzt, Erbarmungslos oder Tombstone ersteht wieder auf.

Horizon in Cannes: Das Western-Epos hat ein riesiges Ensemble

Costner und Co-Autor Jon S. Baird werfen ihr Figurennetz über mehrere Territorien, Kulturen und Jahre aus. Während der Bürgerkrieg tobt, schreitet die Expansion in den Westen des nordamerikanischen Kontinents voran. An den Ufern des San Pedro Valley im heutigen Arizona wird eine Siedlung von Apachen-Kriegern überfallen. Es ist eine grauenerregende Sequenz, welche die erste halb Stunde des Films dominiert. Frances (Sienna Miller) überlebt und steht mit ihrer Tochter (Georgia MacPhail) vor den Gräbern ihres Mannes und ihres Sohnes – und dem Nichts.

Schaut euch den Trailer für Horizon an:

Horizon - Trailer (Deutsch) HD
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Verantwortung für die Gräuel trägt Pionsenay (Owen Crow Shoe), der nicht mehr tatenlos zusehen will, wie die Neuankömmlinge sein Volk bedrängen. Tausend Kilometer entfernt baut sich Ellen (Jena Malone) im Wyoming Territory ein neues Leben auf. Sie ahnt nicht, dass die Familie ihres Mannes (unter anderem Jamie Campbell Bower) sie aufgespürt hat. Dort treffen wir auch Hayes (Kevin Costner), der für einen gewöhnlichen Minenarbeiter erstaunlich gut mit einem Gewehr umgeht.

Das ist ein Ausschnitt der Figuren und Handlungsstränge, die sorgfältig ausgebreitet werden, sodass stets die Übersicht gewährt wird. Die Details zu erklären, wäre an dieser Stelle allerdings müßig. Erstens, weil man sich kopfüber in dieses imponierende Kino-Epos alter Schule stürzen sollte und zweitens, weil weniger die Story-Etappen zählen, als das Verweilen in Gesprächen, Stimmungen, Spannungen.

Der "Wilde" Westen wird in Horizon als paradiesischer Hort der Gewalt präsentiert. Diese inneren Gegensätze ziehen sich durch den Film. Auf der einen Seite stehen die umwerfenden Naturpanoramen aus märchenhaft bunten Bergkämmen und herbstlichen Blätter-Meeren. Vermutlich gab es seit den Avatar-Blockbustern von James Cameron keine amerikanische Großproduktion mehr, die so viel Wert auf die Natur als Effekt gelegt hat. Und diese hier stammt nicht aus dem Rechner. Auf der anderen Seite lauert der Tod in Horizon, in dem bereits die Kinder mit geladenen Gewehren oder Pfeil und Bogen hantieren.

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Horizon fühlt sich jetzt schon wie vier Western in einem an

Von außen starren uns bei Horizon die Symptome eines Star-Vehikels ins Gesicht, vergleichbar mit Kevin Costners vorherigen Regie-Arbeiten Der mit dem Wolf tanzt und dem post-apokalyptischen Western Postman. Costner verfolgt die Idee zum Film seit 1988, wie er Deadline  verriet. Seine erneuerte Popularität seit dem Serien-Hit Yellowstone ermöglichte die Verwirklichung. Er investierte Millionen und nahm eine Hypothek auf sein 4 Hektar großes Anwesen in Kalifornien auf. Er riskierte, wegen des Drehs aus Yellowstone herausgeschrieben zu werden. Alles für Horizon. Costner ist Regisseur, Co-Autor, Produzent, Schauspieler, Geldgeber, Poster-Motiv.

Kevin Costner in Horizon: Eine amerikanische Saga

Im Ensemble gibt er trotzdem eine recht unauffällige Figur. Wie schon in Open Range - Weites Land spielt Costner einen Western-Helden, der versucht, in der Anonymität das geronnene Blut von seinen Händen zu kratzen. Das Scheinwerferlicht überlässt er den Co-Stars, etwa Sienna Miller als gebeutelte Siedler-Witwe, die in den gutmütigen Augen von Offizier Sam Worthington neue Hoffnung schöpft. Oder Abbey Lee als resilientes Freudenmädchen. Das Drehbuch baut auf klassisches Western-Personal, aber bis in die kleinsten Rollen bleibt Raum, um die Klischees mit Leben zu füllen. 181 Minuten Laufzeit zahlen sich hier tatsächlich aus.

Deshalb fühlt sich Horizon schon jetzt wie drei oder vier Western in einem an. So viele Perspektiven werden nebeneinander gestellt und durchleuchtet, dass die drei Stunden wie im Fluge vorbeiziehen.

Horizon 2 bis 4 können nicht schnell genug kommen

Einziger, aber großer Wermutstropfen bleibt die Isolierung der indigenen Besetzung, die zwar ihrerseits ausdrucksstarke Momente erhalten, aber keine gleichwertig mitreißende Geschichte. Das könnte in den späteren Filmen zurechtgerückt werden. Es könnte aber auf das Konzept von Horizon zurückgehen. Angetrieben wird der Film von der Bewegung in den Westen. Costner interessiert sich zumindest in Teil 1 am meisten für die Siedler, und die Motive und (blinden) Hoffnungen, die diese Menschen in den Westen treiben.

Sienna Miller in Horizon

Diese Bewegung über den Kontinent wird einen Teil der Figuren in den nächsten drei Filmen zusammenführen. Wie das geschehen wird, bleibt nach Ende des ersten Films offen und der zweite kann nicht schnell genug ins Kino kommen.

Das Ergebnis der großen Geschichte, die in Horizon erzählt wird, sieht man in seiner analytischen, kalten Gestalt auf der Karte der Vereinigten Staaten. In den US-Bundesstaaten, deren Grenzen – so gerade wie ein Holzpfahl – über Land und Gräber ganzer Völker hinweggezogen wurden.

Horizon startet am 22. August 2024 in den deutschen Kinos. Teil 2 folgt am 7. November.

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