Tote Mädchen lügen nicht & Riverdale - Sex, Missbrauch, Suizid

08.12.2017 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Tote Mädchen lügen nicht und Riverdale
Netflix
Tote Mädchen lügen nicht und Riverdale
2
5
Riverdale und Tote Mädchen lügen nicht überrumpelten 2017 mit ihrer Darstellung von Sex, Missbrauch und sexueller Gewalt. Die Serien verhandelten die Themen radikal und beklemmend progressiv.

Sie sind die Wintergärten des Paradies. Wenn du in die Instagram-Accounts der Riverdale-Stars eindringst, eine gefilterte H&M-Katalogwelt aus ungerechter Schönheit, Indie-Platten-Cover-Coolness und purem, gedankenlosen Spaß, wenn du dich schüchtern umblickst, dich erschrocken fragst, ob es dir überhaupt erlaubt ist, hier zu sein. So als normaler Mensch mit sichtbaren Poren und Körpergeruch. Wenn du dich erinnerst, dass du im Internet bist und hier verdammt noch mal alles erlaubt ist, auch Engel zu begaffen, dir dann berauscht erlaubst vorzustellen, wie es wohl ist, K.J. Apa oder Lili Reinhart zu sein. Dann siehst du vielleicht für einen Moment in das wilde Sturmauge unendlichen Glücks. In den Episoden der Jugendserien des Jahres 2017 jedoch gab es mehr Mord, Missbrauch, sexuelle Gewalt und Schmerz als leichtsinnige Lebensfreude. Wir sprechen hier nicht über klassischen Herzschmerz, und auch nicht über existenzielles Romeo-und-Julia-Drama. Das Leid in den erfolgreichsten Jugendserien des Jahres ist so echt und wichtig und so schmerzhaft wie zuckend über Unterarmvenen gezogene Rasierklingen es nur sein können.

Slut Shaming im Retro-Gewand

Die traditionelle Network-Teenager-Soap (Dawsons Creek, O.C., California) domestiziert die Jugend, zieht sie vor den sicheren Fernseher. Riverdale, bei allem verruchten Sex und aller trockenen Süßstofferotik, sollte im Januar, so schien es, eine der letzten Soaps dieser Art im amerikanischen Fernsehen werden. Also auch das letzte kleinere Übel, die sichere pädagogische Alternative für den minderjährigen Zuschauer zur Realität selbst oder dem Reality-TV und dann auch dem sehr realen Internet und seinem Aufmerksamkeits-Kuhhandel.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt. Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.

Externe Inhalte zulassenMehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Dann kam Riverdale als ein einziges Zitat amerikanischer Popkultur und Lebensweise, mit konstrastreichen Footballjacken, Pastell-Röcken und erdbeerfarbenen Milchshakes - seine wichtigsten Requisiten. Riverdale führte mit seiner Rockabilly-Aufmachung das letzte sichere Jahrzehnt der amerikanischen Bevölkerung, die 1950er, an die zeitgeistentfremdete Gegenwart heran. Mit ihrem neonbestrahlten Retro-Diner-Chic glitzerte Riverdale äußerlich als sehnsüchtige Erinnerung an Unschuld, Sicherheit und Wohlstand. Die modische Rückbesinnung aber entpuppte sich schnell als schlichte nostalgische Abstraktion, als Ablenkung vielleicht, oder noch viel mehr als schicke Hülle für Terror und Schrecken. In der ersten Staffel erschüttert ein Mord die Kleinstadt, in der zweiten killt ein Ideologie-Terrorist in schwarzer Motorrad-Maske reihenweise Sünder.

Auch kulturell gebar sich Riverdale hochmodern, beschnurrte den selbstvergessenen Instagram- und Snapchat-User mit formvollendetem Style, Popkulturreferenzen und Verständnis für die kleine Sorgen, Nöte und Weltzusammenbrüche des immerzu an sich selbst verzweifelnden Teenagers. Zur beliebtesten (oder wenigstens relevantesten) Serie unter den jungen amerikanischen Zuschauern wurde Riverdale aber nicht durch die Twin Peaks-eske Geheimnistuerei, sondern vor allem durch den Sex, seinen offenen Umgang mit Sex und mit seinen gefährlichen Mutationen.

Slut Shaming in Riverdale

Der Retro-Chick stellt in Riverdale letztlich nur den Rahmen für die modische Linie bereit, in der die Figuren sich präsentieren, kabbeln, sich bei einem Milchshake vertragen, sich lieben, gemeinsam Mörder jagen - und sich rächen. Begehren und Sehnsüchte provoziert Riverdale beim ausgelieferten Zuschauer mit stilisierter Erotik und schönen Körpern. Davon bleiben auch die Figuren selbst nicht verschont. Slut Shaming, was nur ein Alternativ-Begriff für sexuelle Bloßstellung ist, entsteht in Riverdale erst aus dem Begehren heraus und dem Bedürfnis, intime Hüllen aufzureißen und das Andere zu kapern. In der dritten Episode von Riverdale wird Veronica vom "Highschool-Kennedy" ( -> soll Einfluss und Unantastbarkeit umschreiben) als junge Frau mit eigentlich normalen - sexuellen - Bedürfnissen gedemütigt. Veronica und ihre Freundin Betty ziehen den Übeltäter zur Rechenschaft. In einer, zugegeben, gruseligen Szene, wird er in einem Whirlpool gekocht und zum Schuldgeständnis gezwungen, später vom Unterricht suspendiert und in der feinen Schulgesellschaft nicht mehr geduldet.

Superhelden in der Coming-of-Age-Hölle

Der Slut Shamer ist in Riverdale nur eines von vielen Monstern. Das Böse umstreunt die Riverdale-Figuren ständig, es hat Gesichter und Körper, die sich besiegen, kontrollieren und überführen lassen. Die Riverdale-Autoren schenken ihren Figuren diese Kräfte. Sie sind in der Lage, sich gegen sexuelle Gewalt aufzulehnen. Den Kids in Riverdale kann niemand etwas anhaben, weil sie Comic-Figuren geblieben sind, Superhelden in der Coming-of-Age-Hölle und selbstbestimmte, starke Idole in einer nicht ganz realen Welt.

Tote Mädchen lügen nicht

In der anderen erfolgreichen Jugendserie des Jahres lässt sich das Schlechte in der Welt weniger mittelbar erschließen. Tote Mädchen lügen nicht erforscht eine soziale Seuche, die die Mikro-Gesellschaft Schule befallen hat und verhindert, dass erlebtes Leid Jugendlicher ernst- und angenommen wird. In dieser Gesellschaft müssen sich Jugendliche behaupten und leben. Oder eben sterben. Wiederum ein Slut Shaming-Angriff öffnet in Tote Mädchen lügen nicht der Hauptfigur Hannah Baker den Schlund zur Hölle. Im weiteren Verlauf der Handlung beschreibt die Serie, wie Hannah Stück für Stück näher heran an den Abgrund gestoßen wird.

Das könnte dich auch interessieren

Schaue jetzt Riverdale

Kommentare

Aktuelle News