Tatort - Bibi & Moritz allein auf weiter Flur

15.09.2013 - 20:15 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Tatort - Ausgezählt
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Tatort - Ausgezählt
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Im Kleinen etwas verbessern und nicht aufhören, über das Große zu meckern. Das bleibt das Grundmotiv der pessimistischen Wiener Tatorte, so auch im neuen Fall des unkaputtbaren Duos Bibi und Moritz.

Unternahm Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) im letzten Tatort aus Wien einen körperlich beutelnden Trip in die eigene Vergangenheit, ist diesmal Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) an der Reihe. Tatort: Angezählt wartet zwar mit einer der abgeschmacktesten Traumsequenzen auf, seit es Nebelmaschinen gibt. Dessen ungeachtet überzeugen die Wiener aufs Neue mit einem sozialkritischen Krimi, dem die Figuren wichtiger sind als das gesellschaftliche Problem, welches ohne erhobenem Zeigefinger den Hintergrund der Story bildet. Im wirklichen Leben, das ist das Motto dieser Krimis, eilt Maria Furtwängler eben nicht zu Hilfe, um die Welt zu retten.

Lokalkolorit: Wie schon Tatort: Falsch verpackt wurde der neue Sonntagskrimi aus Wien von Martin Ambrosch geschrieben und von Sabine Derflinger inszeniert. Hier hören die Parallelen nicht auf, beschäftigen sich doch beide mit dem Menschenhandel und jenen vor dem Gesetz scheinbar unsichtbaren Gestalten im Bauch der Stadt, die davon träumen, irgendwann das Tageslicht zu erreichen. Diesmal beschäftigt sich der Tatort mit “Tischmädchenlokalen”, die als Marktplätze illegaler Prostituierter dienen. In den ersten Minuten radelt der Junge Ivo (Abdul Kadir Tuncel) durch die Straßen der Stadt, vorbei an einem dieser Lokale, hin zu seinem Ziel, einer Bowlingbahn. Er zeichnet damit den so leicht überwindbar wirkenden Weg aus der “Sklaverei” in die Freiheit nach, nur um anschließend Yulya (Milka Kekic) den langen Arm der alten Welt auf fatale Weise ins Gedächtnis zu rufen.

Plot: Ivo bespritzt Yulya mit Benzin. Sie geht in Flammen auf, während der Junge davonradelt. Moritz und Bibi übernehmen den Fall, doch als Bibi von der Identität der Schwerverletzten erfährt, werden die Ermittlungen zu einer persönlichen Angelegenheit. Vor Jahren hatte Yulya für sie als Zeugin den Zuhälter Ilhan Aziz (Murathan Muslu) hinter Gitter gebracht. In ihren Untersuchungen geraten Moritz und besonders Bibi mit dem Verdächtigen aneinander und als wäre das nicht genug, müssen sie den unmündigen Auftragskiller Ivo suchen, der auch einem Heim ausgebüchst ist.

Unterhaltung: Wenn sich Moritz darüber freut, einem “geistigen Vakuum” zu begegnen oder Bibi im Boxring einen Verdächtigen in Bedrängnis bringt, lassen die Wiener ihren gewohnten ruppigen Charme spielen. Tatort – Angezählt ist im Großen und Ganzen gleichwohl eine ernste Angelegenheit, die ihre Helden nicht verschont. Die Auftaktsequenz, in der ein Kind eine Frau anzündet, ist hier durchaus als Leitmotiv eines Krimis zu verstehen, der die sozialen Missstände seiner Stadt auftischt, ohne auch nur den Anschein zu geben, hier werde sich irgendwas bessern. Anklagend verweisen Bibi und Moritz, Anwälte der Witwen, Waisen und sonstwie Alleingelassenen, mehrmals auf die 6.000 illegalen Prostituierten sowie die Mächtigen, die aus Gründen der Selbsterhaltung keinen Finger rühren.

Tiefgang: Mit Adele Neuhauser steht und fällt dieser ganz auf Bibi fixierte Tatort aus Wien. Ihre Ermittlerin berichtet der Psychologin zu Anfang von ihrer dicken Schale, die vielleicht nur durch zehn Leichen aufgeweicht werden kann. Selbst wenn die Body Count diese Ausmaße nicht annimmt, so verfolgt Tatort – Angezählt das schrittweise Bröckeln des Schutzwalls. Die Erinnerungen an den verhassten Vater finden im sehr realen Ilhan Aziz ein Gegenbild und so gerät der Plot zum Anstoß einer Reise in die verdrängte Vergangenheit. Sozialkritik, Genreelemente und Charakterentwicklung greifen in Angezählt außerordentlich harmonisch ineinander. Sie werden getragen von einer liebenswert schroffen Kommissarin, die, das Gesicht grün und blau geschlagen, herausfordernd in die Kamera blickt, während anderswo schon die nächsten Pins aufgestellt werden, die es niederzuringen gilt. Aber die werden Thema eines anderen Wiener Tatorts sein.

Mord des Sonntags: Der Tatort liefert erstklassiges Bildmaterial für eine neue “Rauchen ist tödlich”-Kampagne.

Zitat des Sonntags: “Alle waren gerührt. Alle, nur ich nicht.”

Bibi und Moritz lassen sich nicht unterkriegen und wir sollten froh darüber sein. Oder seid ihr anderer Ansicht?

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