Leckerer Muschischleim – Der Hype um Feuchtgebiete

14.08.2013 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
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Die Verfilmung des Beststellers von Charlotte Roche generiert schon im Vorfeld beinahe ebenso viel Interesse wie der Erfolgsroman. Nicht selten drückt die Ablehnung dabei auch ein Unbehagen gegenüber der (vermeintlichen?) Selbstbehauptung der Frau aus.

Auf nicht uninteressante, wenngleich auch zuweilen arg furchteinflößende Art wiederholt sich im Zuge der Vorankündigung von Feuchtgebiete, dem Film, das Rezeptionsphänomen von Feuchtgebiete, dem Buch. Oder setzt sich fort, vielleicht eher. Über den meistverkauften Roman 2008 wurde, nebst Medienkontroverse und Werberummel, großzügig diskutiert und geschimpft, selbst noch die Egalfraktion musste ihre Egalfraktionshaltung deutlich kommunizieren. Im Zuge der Leinwandadaption des Debütromans von Charlotte Roche (Kinostart: 22. August) nun gehen Hype und Bohei um duftintensiven Muschischleim, köstliches Sperma und nach außen gestülptem Blumenkohl unter Trailer-Links und Filmkritiken munter weiter. Tenor weitgehend: Empörung, Unverständnis, Ablehnung. Bitte nicht machen, bitte verbieten, bitte wenigstens ignorieren, alles ist dabei. Die Verteidiger der Feuchtgebiete halten sich, gefühlt jedenfalls, indes merklich bedeckt. 2,5 Millionen verkaufte Exemplare und so wenige lautstarke Fürsprecher, kann das ein in die Scham sexueller Hemmungen verlegtes Sarrazin-Prinzip sein?

Oder ist Feuchtgebiete etwa tatsächlich ein dergestalt künstlerischer wie ideologischer (und eben lediglich nicht kommerzieller) Konsensflop, dass das reine Autounfall-Interesse an ihm etwaige Qualitäten irrelevant erscheinen lässt? Faszinierend zumindest, und ein bisschen traurig für Charlotte Roche, wie sehr die fiktive Befindlichkeitsschreibe der spätpubertierenden Helen Memel von allen Seiten auf den Deckel bekam: Ekelvorwürfe der Pikierten, die Qualitätsurteile der Literaten, die Einwände der Diskursteilnehmer. Da kam es ziemlich geschlossen aus unterschiedlichsten Beweggründen zusammen, das Angewidertsein, das Trivialfinden, das Abkanzeln selbst seitens der theoretischen Befürworter. Denn Feuchtgebiete sei, so prominente Wortmeldungen der Postfeminist_innen, in seiner betonten Muschi- statt Schwanzfixiertheit und der Konstruktion einer Selbstermächtigung der Frau auch nur die Bestätigung von Rollentraditionen. Angela McRobbie („Top Girls: Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes“, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2010) sah in diesem Buch erst recht keine „Rückkehr zur Ernsthaftigkeit“, die der Postfeminismus so dringend benötige.

Bleibt, ganz mutmaßlich, eine bestimmte Zielgruppe, wissenschaftsfern und möglicherweise adoleszent, vielleicht eine, die abschätzig (und sexistisch) als Leserschaft von Mädchenlektüre zu deklarieren sei. Eine Zielgruppe vielleicht, für die feministischer Diskurs schon bei weiblicher Keckheit, phallischer Umkehr und ein bisschen Intimbeschreibung von Muschis und Polöchern beginnt. Das mag ungenügend sein, schlecht aber ist es nicht. Feuchtgebiete vermittelt, wenn auch mitnichten konsequent, dem Publikum immerhin eine Idee von Feminismus: Helen Memel ist als Mensch soweit subjektiviert, dass die sexuelle Probierfreudigkeit keine wesentlichen Unterschiede macht zwischen der körperlichen Nähe zur besten Freundin und zum angehimmelten Krankenpfleger. Nur in der Art, wie Helen ihr Frausein (gegenüber der demonstrativen Vulgarität des Mannes) zu emanzipieren versucht, ist der Stoff bestenfalls feministisch auf 70er-Jahre-Niveau. Wirklich groß wäre ein solch erfolgreicher Roman erst, wenn er die Bildung von Geschlechtscharakteren und die (vergleichsweise junge) Geschichte der Zweigeschlechtlichkeit überwinden könnte.

Das alles aber ändert nichts am kollektiven Unbehagen, das Feuchtgebiete augenscheinlich provoziert, und das vermutlich noch viel erheblicher wäre, würde der Roman die beschriebenen Konstruktionen brechen (also jegliche Unterschiede zwischen Frau und Mann negieren). Denn schon in seiner vorliegenden Form ist er vor allem Angriffsziel verkleideter Angst und traditioneller Emanzenfeindlichkeit, gern mit relativierenden Zusätzen: „Ich habe kein Problem mit Sex und Pornographie“, „ich würde mich nicht als verklemmt bezeichnen“, „ich habe nichts gegen selbstbestimmte Frauen“. Feuchtgebiete scheint, völlig unabhängig der streitbaren literarischen und erst recht diskursiven Qualität, als Roman einer Frau, die einer anderen Frau eine eigene körperliche Perspektive zugesteht, einfach unanständig zu sein. Weil kein männlicher Witz sie ummantelt, weil (in Teilen) keine Objektivierung mehr stattfindet, weil das leider in seinen ehrlichen Coming-of-Age-Motiven (Intimrasur, blutige Tampons, wuchernde Hämorriden) immer noch mit den ästhetischen Vorstellungen bricht. Und weil auch der durchaus sehenswerte Film einmal für Körperlichkeit und unbeschwertes Ficken plädiert, ohne dabei deutschen Komödien- oder verhaltenen Bürgerlichkeitskinomief abzusondern.

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