2017 war für mich eigentlich ein solides Filmjahr, was aber wohl vor allem daran liegt, dass ich mehr denn je meine Nerven geschont und mir überwiegend nur angesehen habe, was mich auch wirklich interessente. Das bedeutet konkret: Franchises, Disney und Superhelden fanden ohne mich statt. Also dann, los geht's! (Ausschlaggebend ist eine deutsche Veröffentlichung entweder im Kino, auf Blu-ray/DVD oder Streaming-Portalen wie Netflix.)
Platz 10 : Nocturama
So ein Film, den man sich am Besten ohne Vorwissen
anschaut und anschließend entweder begeistert oder extrem frustriert zurück bleibt (das
Risiko sollte man eingehen). Moderner Terrorismus ist anonym und selbiges gilt
gewissermaßen auch für "Nocturama", der in erster Linie über seine Form
spricht. Und da wiederum ist er wesentlich inspiriert von Robert Bresson, wie
ich meine.
Platz 9: Personal Shopper
Eine von zwei Geistergeschichten in meiner
Topliste – allerdings mit einem ziemlich launischen Geist, der es einer famos
aufspielenden Kristen Stewart alles andere als leicht macht. Olivier Assayas
ist mit "Personal Shopper" sicher in vielen Belangen Risiken eingegangen, aber
ich war von dem mysteriösen Geschehen durchweg fasziniert. Danach hatte ich
Angst vor meinem Handy.
Platz 8: Detroit
Ein krasses Panorama über die Aufstände in Detroit von
1967, der andererseits genau zur rechten Zeit kommt. Bigelows Inszenierung ist
wütend, aber zugleich besonnen – das hätten in der Form wohl nicht viele
hinbekommen. Meiner Meinung nach ihr bislang sogar bestes Werk. Einmal von der
9/11-Thematik loszulassen, hat der Regisseurin sichtbar gut getan und das Kino
braucht Leute wie sie mit sozialem bzw. politischem Bewusstsein. Daneben ist "Detroit" übrigens auch unfassbar spannend, und das über die gesamte stattliche
Laufzeit (ca. 140 Minuten) hinweg.
Platz 7: Certain Women
Darstellerisch eine absolute Sensation, egal, ob man
nun auf Dern, Williams, Stewart oder die überragende Lily Gladstone schaut.
Aber auch der Rest passt und große Pointen hat Kelly Reichardt wieder einmal
nicht nötig. Manche mögen "Certain Women" als öde und/oder nichts sagend
abstempeln, mich haben die feinen Zwischentöne begeistert, die durch die
Schauspielerinnen natürlich noch mal stärker zur Geltung kommen.
Platz 6: Die rote Schildkröte
Zugegeben: In "La tortue rouge" passieren ein paar abgefahrene Dinge, auf die man einfach irgendwie klarkommen muss – zum Beispiel zeugt ein Schiffbrüchiger mit einer Frau ein Kind, die eben noch als Schildkröte sein Floß zerstört hat. Vielleicht muss man ein kleines Bisschen spirituell veranlagt sein (vor dem Wort "christlich" scheue ich mich), um das hier ernsthaft gut zu finden, aber eventuell bin ich das ja. Außerdem mag ich Filme, in denen nicht geredet wird. Und diese Bilder... oh, diese Bilder...
Platz 5: The Meyerowitz Stories
Adam Sandler und Ben Stiller geben alles. Mal habe
ich vor Lachen beinahe auf dem Boden gelegen, dann war ich wieder tief berührt
– ein kleines Wunder, wie gut diese irre Familiendramödie (ein Pleonasmus?) funktioniert und wie
sehr vor allem Baumbach seine Figuren im Blick behält. Hier ist der menschliche
Faktor der Geschichte einmal nicht lediglich behauptet (ein Problem, das ich mit
vielen seiner früheren Werke hatte).
Platz 4: Die irre Heldentour des Billy Lynn
Den neuen Ang Lee habe ich bislang auf kaum einer
Bestenliste entdeckt und das ist irgendwie ein bisschen tragisch, schuf er mit "Billy Lynn's Long Halftime Walk" doch einen eindrucksvollen Anti-Kriegsfilm,
der diese Bezeichnung auch absolut verdient. Der Regisseur fährt hier mal wieder
sein ganzes Pensum an Lebensklugheit auf und untermauert vor allem seine
Stellung als womöglich wichtigster Mittler des Kinos, der erkannt hat, dass es
auf nicht alles eine Antwort gibt. Das Verwunderliche an diesem Film: Im Grunde
könnte er auch eine Satire sein, wäre er
denn nicht von so viel Empathie getragen.
Platz 3: Dunkirk
Hoyte van Hoytemas Kriegsbilder sind so unmittelbar, aber auch so erdrückend sinnlich und ich weiß selbst nicht, wie das zusammengeht. Noch unfassbarer ist allerdings, dass Nolan sich darauf verlässt, unnötigen Ballast konsequent abwirft und so ein wahres Kinoinferno abfackelt (hier brennt ja sogar das Wasser), bei dem Hans Zimmer tatsächlich mal perfekt im Sattel sitzt. "Dunkirk" ist für mich der Beweis, dass in Nolan ein fantastischer Genre-Regisseur steckt und das wiederum ist so ziemlich das größte Kompliment, das ich aussprechen kann, denn ich mag eigentlich keine Genre-Filme. Und ja, das waren jetzt ziemlich viele Widersprüche auf einmal.
Platz 2: Manchester by the Sea
"Manchester By The Sea" besitzt diesen verwaschenen Boston-"Charme", dem ich einfach verfallen bin. Vermutlich habe ich in der Hauptfigur Lee Chandler auch viel von mir selbst entdeckt, denn ich bin ebenfalls so jemand, der im Leben meistens nur seine Ruhe will und nach Möglichkeit jedes Bisschen Verantwortung meidet. Hier aber muss der Protagonist sich nach dem Tod seines Bruders mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen und zudem auf seinen Neffen Acht geben, womit das Feelgood-Pendel normalerweise mächtig ausschlagen würde. Nicht so aber bei Kenneth Lonergan, der weiß, wie man inmitten unglücklichster Umstände ein Fünkchen Hoffnung sät.
Platz 1: A Ghost Story
Mein Herzensfilm des Jahres, der mich viel über die Bedeutung von uns Menschen im Universum nachdenken ließ, spielt Casey Affleck hier doch ein trauriges Gespenst (seltsamerweise verschwindet er unter seinem Laken keineswegs), das viele Jahre an derselben Stelle verbringt und so buchstäblich nicht vorankommt – daneben besteht aber auch die Frage, wo es für uns überhaupt theoretisch hingehen könnte. Etwas bodenständiger betrachtet ist "A Ghost Story" dagegen einfach "nur" ein furchtbar zärtliches Meditieren über Verlust und Vergänglichkeit. So viel Liebe.