Verführerische Anarchie des Hongkonger Fantasy-Films

11.12.2013 - 11:07 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
The Bride with White Hair - Das unbesiegbare Schwert
Splendid
The Bride with White Hair - Das unbesiegbare Schwert
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Mit etwas Mühe lässt sich in irgendeinem Hongkonger Fantasy-Film sicher ein Schmuck liebender Halbling auftreiben. Doch wenn die Helden des Genres eines bezwingen, dann weniger Drachen, sondern vor allem die Grenzen unserer Fantasie.

“Die fliegen da alle so komisch.” Das ist seit ein paar Jahren meine erste Assoziation bei der Nennung von Tiger & Dragon. Nicht, weil mich die übers Blätterdach tänzelnde Ziyi Zhang stört, sondern weil drei von fünf Filmfans im Gespräch über den vielfach ausgezeichneten Film dieses Argument einflächten, um eine Art unverrückbare Wand vorm ungezügelten Genuss zu beschreiben. “Die fliegen da alle so komisch,” wundert sich wahrscheinlich kaum jemand nach Man of Steel, wiegt eine Begründung den Zuschauer hier doch in die Sicherheit des scheinbar Erklärbaren. Die fliegen da alle so komisch in chinesischen Schwertkampf-Epen, wundern sich viele, nun ja, ungeübte Zuschauer. Und denen rufe ich verheißungsvoll zu: “You ain’t seen nothing yet.”

Tatsächlich wirkt die internationale Koproduktion Tiger & Dragon, der gern als Fantasy-Film geführt wird, neben Genre-Kollegen aus Hongkong wie ein bodenständiges Sozialdrama. Zu den Glanzzeiten des Hongkonger Kinos schossen da schonmal Blitze aus den Handflächen taoistischer Priester, sahen die Helden manchmal verdächtig nach Statisten aus Planet der Affen aus, um von den grandiosen hüpfenden Vampiren, die sich in den 80er Jahren aus ihren Gräbern erhoben, vorerst zu schweigen. Dabei erstaunt der Hongkonger Fantasy-Film nicht einmal so sehr durch seine mit teils rasendem Tempo zwischen Himmel, Erde und Unterwelt navigierenden Kämpfer, Geister und Dämonen. Vielmehr ist es die Selbstverständichkeit, mit der sich verführerische Damen in Riesenspinnen verwandeln oder böswillige Zungen nach dem Leben der Helden trachten. Ja, die können oft auch fliegen. Diese Selbstverständlichkeit, mit der fantastische Elemente besonders im Hongkonger Martial Arts-Kino Einzug halten, verstört den ein oder anderen Zuschauer.

Fantastische Schwertkämpfer
Verstört dürfte manches Kuomintang-Mitglied Anfang der 1930er Jahre gewesen sein, denn von Seiten der Politik wurde in der damaligen Republik China gegen die Produktion fantastisch angehauchter Abenteuer vorgegangen. Im Klima gesellschaftlicher Veränderung galten die traditionellen wuxia-Filme mit ihren mächtigen Helden als eskapistisches Vergnügen, das dem Aberglaube fröne und dem wissenschaftlich aufgeklärten Geist der Zeit zuwider lief. Die Silbe ‘wu’ bedeutet soviel wie Kampfkunst, Krieg oder Militär, ‘xia’ verweist auf den ‘Ritter’ und dessen traditionelle Tugenden. Die Geschichten um ehrenvolle Schwertkämpfer sind seit Jahrhunderten Teil der chinesischen Literatur, wenn auch die Bezeichnung wuxia noch jung ist. Zu den populärsten Formen der wuxia-Erzählungen gehörten beispielsweise Detektivgeschichten (gongan) wie jene um Judge Dee (Detective Dee und das Geheimnis der Phantomflammen ) oder Judge Bao. Ende des 19. Jahrhunderts gesellten sich xiayi dazu, Romane um romantische SchwertkämpferInnen, die über Dächer fliegen konnten. Xiayi verarbeiteten Einflüsse populärer Geistergeschichten wie Strange Tales from a Chinese Studio und färbten ihrerseits auf die Schnüfflerstories ab. Als sich die wachsende Filmindustrie im Shanghai der 1920er Jahre nach Stoffen umsah, bot die lebendige wuxia-Szene eine ebenso reichhaltige Quelle wie die Peking-Oper.

Die unter diesen Einflüssen entstehenden wuxia shenguai-Filme erzählten Geschichten von Kämpfern und Dämonen, Göttern und Gespenstern. Ab 1930 wurden sie offiziell ein Dorn im Auge der Kuomintang, die in den Werken nicht nur rückständige Märchen sah, sondern einen Ansporn jugendlicher Rebellion. Firmen wurden dazu angehalten, das Genre nicht mehr zu bedienen, was dazu führte, dass kleinere Produktionshäuser ihre Ware exportierten. Hongkong geriet zum begierigen Absatzmarkt. 1935, so schreibt Stephen Teo, hatte die Zensur die chinesische Filmindustrie so gut wie zerstört. Viele Künstler fanden in der britischen Kronkolonie Arbeit und mit ihnen kamen die wuxia-Helden nach Hongkong.

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