Der Schacht 2 stürmt gerade als abgründiger Sci-Fi-Nachschub mehr als vier Jahre nach dem ersten Film, Der Schacht, die Netflix-Charts und setzt sich auf Platz 1. Am Ende scheint die Horror-Dystopie mehr Fragen aufzuwerfen als Antworten abzuliefern. Doch zwei sehr unterschiedliche Erklärung für den Schluss helfen euch, den Film besser zu verstehen. Was natürlich nicht ohne Spoiler für Teil 1 und 2 abgehen kann.
Das Ende von Der Schacht 2 erklärt: Zwei Interpretationen sind möglich
Der Schacht 2 funktioniert nach dem gleichen Gesellschafts-Experiment von Solidarität und Egoismus, das schon Teil 1 zu Grunde lag: In einem vertikalen Gefängnis mit 333 Etagen fährt eine Plattform mit Essen von oben nach unten durch die Stockwerke. Weil oben meist mehr als eine Portion gegessen wird, bekommen nicht alle gleich viel ab und Kämpfe und Kannibalismus brechen aus, weil die unteren Etagen verhungern. Doch jeden Monat wechseln die Gefangenen willkürlich auf eine neue Ebene.
In Teil 2 dieses Sci-Fi-Szenarios wird Perempuán (Milena Smit) zur neuen Hauptfigur. Erst beugt sie sich dem Gesetz der kämpferischen Gruppe, die Gerechtigkeit und gleiches Essen für alle durchdrücken will, später begehrt sie gegen deren grausamen Bestrafungsmethoden auf. Erst nach einer Stunde erfahren wir in einem Twist, dass Der Schacht 2 ein Prequel ist, also vor Der Schacht spielt. Am Ende beschließt die Heldin, zu fliehen. Doch auf der 333. Etage findet sie einen Jungen und schickt das Kind vom Boden des Gefängnisses nach oben, wie schon der Protagonist aus Teil 1, Goreng (Iván Massagué) es tat. Ihn trifft sie in der Mid-Credit-Szene auf der untersten Ebene mit vielen anderen. Doch was hat das alles zu bedeuten? Zwei mögliche Erklärungen bieten sich an.
Erklärung 1: Der Schacht 2 entlarvt ein viel größeres Experiment
Der Schlüssel für die erste mögliche Erklärung des Endes, sind die spielenden Kinder, die immer wieder zwischendurch in die Handlung von Der Schacht 2 eingestreut werden. Sie spielen in einem unbekannten Raum auf einer Pyramide mit Rutsche. Leicht ließen sie sich als weitere Metapher für das Gefängnis lesen, weil auch sie darum kämpfen, an die Pyramiden-Spitze zu gelangen. Doch der Gewinner wird am Ende weggeführt und auf die (offiziell) unterste Ebene von Level 333 gebracht. Der Junge, den Perempuán bei ihrer Flucht findet und für den sie ihren eigenen Fluchtversuch aufgibt, wurde also auf Ebene 333 platziert.
Mehr noch: Die Frau, die den Jungen wegführt, ist Miharu (Alexandra Masangkay), die in Teil 1 noch eine scheinbare Insassin auf der Suche nach ihrer Tochter war. Doch anscheinend ist sie in Wahrheit Teil des Gefängnis-Personals und hat die verzweifelte Mutter nur gespielt. Denn als sie den Jungen aus dem Pyramiden-Zimmer wegführt, sehen wir unter den Kindern auch ihre "Tochter", der sie keine weitere Beachtung schenkt. Das Mädchen ist wohl nur ein weiterer Kinder-Köder, der später (weil Der Schacht 2 ja ein Prequel ist) für Goreng auf Ebene 333 gebracht wird.
Wie nutzt der Schacht die Kinder?
Doch welchem Zweck dienen die Kinder dann in dem größeren Experiment? Über die Motive der Gefängnisleitung gibt das Netflix-Sequel keine Auskunft. Über die Absicht dahinter können wir zu diesem Zeitpunkt nur spekulieren:
- a) Die Kinder könnten ein emotionaler Hebel sein, um Fluchtversuche zu verhindern, wenn Gefangene aus dem System ausbrechen wollen, aber ihre Flucht-Chance dann, wie im Fall von Goreng und Perempuán, den unschuldigen Kindern opfern.
- Oder sie könnten b) eine Chance zur Vergebung sein, weil die Insass:innen mit ihnen beweisen, dass sie nicht (mehr) nur Kriminelle sind, die an sich allein denken. Vielleicht ist es eine Prüfung, dass sie sich im Gefängnis gebessert haben. Auch wenn das nicht erklärt, warum Perempuán immer noch im Keller ist, wenn Goreng später dort auftaucht.
Diese Erklärung löst nicht alle Fragezeichen auf, funktioniert aber als Fingerzeig auf eine noch größere Verschwörung. Deren Masterplan wird dem Publikum vorenthalten, aber sie verweist auf einen möglichen dritten Teil, der das auflösen könnte.
Möglicherweise befindet der Schacht sich in diesem Szenario gar nicht unter der Erde, sondern ist ein Weltraum-Gefängnis. Diese Ideen setzt Teil 2 uns als Idee in den Kopf, wenn Perempuán durch das Essen eines Gemäldes (mit besonderen Inhaltsstoffen) der längerfristigen Betäubung am Monatsende entgeht: Sie erwacht in der Schwerelosigkeit und beobachtet, wie die Institution gebündelte Leichen sammelt, Häftlinge auf neue Ebenen verteilt und das Kind auf Level 333 aussetzt.
Erklärung 2: In Netflix' Der Schacht sind am Ende alle tot
Die zweite mögliche Erklärung für das Ende von Der Schacht 2 ist noch deutlich düsterer und fußt auf einer Aussage, die Regisseur Galder Gaztelu-Urrutia gegenüber Digital Spy zu Teil 1 abgab: "Für mich existiert die unterste Ebene nicht. Goreng ist tot, bevor er dort ankommt und es ist nur seine Interpretation dessen, was er tun musste." Auch wenn der spanische Filmemacher relativiert, dass sein Werk "offen für Interpretationen" sei und er die Auslegung des Endes der Vorstellungskraft des Publikums überlasse, ist das nichtsdestotrotz ein radikal anderer Blickwinkel.
Denn wenn Goreng am Ende von Teil 1 tot ist, dann muss auch Perempuán am Schluss von Der Schacht 2 gestorben sein. Dafür spricht, dass sie sich in der Schwerelosigkeit mehrfach den Kopf blutig anstößt. Dafür spricht außerdem, dass sie in der Abspannszene auf Goreng trifft und ihn offenkundig wiedererkennt ("Du? Was machst du denn hier?"). Deshalb spekulieren viele, dass er der Ex-Partner aus ihrer vorher erzählten Lebensgeschichte sein könnte, dessen Sohn ihre gefährliche Hund-Kunstinstallation bei einem Unfall getötet hat. Hier könnten sie im Jenseits wiedervereint aufeinander treffen.
Warum sonst sollten beide dort unten erneut Wegbegleiter wie den gestorbenen Mithäftling und Messer-Besitzer Trimagasi (Zorion Eguileor) oder den sich selbst in Brand gesteckten Glatzkopf Zamiatin (Hovik Keuchkerian) treffen können? "Dasselbe Ziel, dasselbe Glück" erwartet sie. Das könnte in der extremen Verlängerung sogar bedeuten, dass von Anfang an das Gefängnis gar kein Gefängnis ist, sondern eine Art Vorhölle war, in der Menschen sich auf ihren Weg in den Tod vorbereiten – und ein letztes Mal moralisch beweisen müssen, welches Schicksal sie verdient haben.
Zum Tod passt auch die in Der Schacht 2 immer wieder erwähnte Messias-Gestalt, die einen Monat ohne Essen ausgekommen sein und andere Gefangene dann mit ihrem eigenen Fleisch gefüttert haben soll. Wir treffen diese Erlöser-Figur jedoch nie und sie wird so zur ultimativen Religions-Metapher: Über ihre wirkliche Existenz wird jeder Häftling nach eigenem Glauben entscheiden müssen.
Nach dieser Jenseits-Interpretation des Netflix-Films wären die Kinder entweder nur eine weitere Halluzination oder aber ein Symbol der Wiedergeburt. Denn eine Frau im Keller des Schachts informiert Perempuán am Ende über die Kinder: "Nur sie dürfen rauf. [...] Deine Reise ist zu Ende. Aber er erhält eine zweite Chance." Ist der Junge also vielleicht ihre gereinigte Seele, die es nach dem Tod nochmal versuchen darf?