Claude Chabrols Abrechnungen mit der Bourgeoisie

13.09.2010 - 09:47 Uhr
Claude Chabrol bei den Dreharbeiten zu Bellamy
Concorde Filmverleih
Claude Chabrol bei den Dreharbeiten zu Bellamy
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Am Sonntag ist der französische Filmemacher Claude Chabrol im Alter von 80 Jahren verstorben. Für uns hat er wunderbar klar und messerscharf die bürgerliche Gesellschaft seziert und dabei den Zuschauer immer zum Denken animiert.

Seit über 50 Jahren war Claude Chabrol einer der größten und produktivsten französischen Filmemacher. Als Mit-Begründer der Nouvelle Vague beschäftigte er sich mit den verborgenen Abgründen und der Doppelmoral der französischen Bourgeoisie, analysierte das Bürgertum, wie es wirklich ist und schaute hinter die heile und glänzende Fassade der Harmonie und intakten Welt. Dabei zeichneten sich seine Filme durch eine ganz persönliche Filmsprache aus. Am Sonntag ist Claude Chabrol 80-jährig in Paris gestorben. Ein wirklich großer Filmemacher hat uns damit verlassen.

Der Sohn einer Apothekersfamilie studierte zunächst Jura und Pharmazie, entschied sich dann aber doch für den Film und brach sein Studium ab. Ab 1953 schrieb er für die “Cahiers du Cinéma”, der führenden Filmzeitschrift der Zeit und kam dadurch mit anderen Cinephilen in Kontakt. 1957 begann er mit den Dreharbeiten zu seinem ersten eigenen Film, den seine Ehefrau mitfinanzierte. Die Enttäuschten (1959) wurde der erste Film der Nouvelle Vague. Claude Chabrol zeigte, dass es möglich ist, mit geringem Budget und außerhalb der Konventionen einen Film zu machen, der zudem noch erfolgreich ist. Sein zweiter Film Schrei, wenn Du kannst (1959), der nur vier Wochen später in die Kinos kam, übertraf den Erfolg seines Debüts in kommerzieller Hinsicht bei weitem. Erzählt wird von zwei verwöhnten Cousins, von denen einer den anderen versehentlich erschießt. Der unerwartete Erfolg katapultierte Claude Chabrol sofort an die Spitze der neuen Filmbewegung.

Es folgten Jahr für Jahr Filme, die nicht immer Erfolg haben. Viele damalige Kritiker warfen ihm Zynismus und Verachtung vor, weil er ungeschönt auf das bürgerliche Leben schaute, und es scheinbar distanziert und kalt beobachtete. Aber Claude Chabrol wollte die Zuschauer zu einer eigenen Position bewegen. Er selbst sagte zu seiner Arbeit: “Filme mit einer Botschaft bringen mich entweder zum Kotzen oder zum Lachen. Ich finde es unmoralisch, dem Zuschauer eine Moral aufzudrücken, ihn beeinflussen zu wollen, ihm sozusagen ein Hirn-Klistier einzupflanzen. Ein Film sollte das Publikum vielmehr zum eigenständigen Nachdenken anregen. Darum versuche ich nur, die Menschen präzise so zu zeigen, wie sie sind. Es wäre doch heuchlerisch, sie zu verurteilen – schließlich hat jeder von uns Dreck am Stecken.”

Der “Chronist des französischen Bürgertums” legte Ende der 1960er einige Meisterwerke vor, die heute ihren Platz in der internationalen Filmgeschichte haben: Die untreue Frau (1969), Das Biest muß sterben (1969) und Der Schlachter (1970) sind Abrechnungen mit der Bourgeoisie, die er klar beobachtet und fein seziert. Die Grenzen zwischen Gut und Böse sind dabei fließend, Opfer wie Täter tragen Schuld an den tragischen Ereignissen der Geschichten. Claude Chabrol interessierte sich in der Folge für Mordgelüste kleinbürgerlicher Provinzler, mysteriösen Morde in der Immobilienbranche oder für die Scheinwelt des Fernsehens.

Vielen galt der Filmemacher auch als Frauen-Regisseur, besonders seit Ende der 1980er schaute er fasziniert auf das andere Geschlecht. Eine Frauensache (1988) beschäftigte sich mit illegalen Abtreibungen, Madame Bovary (1991) oder Betty (1992) waren weitere Frauenfiguren, die er auf die Leinwand brachte. Claude Chabrol arbeitete wiederholt mit Isabelle Huppert, die als die Muse seines Spätwerks galt, zuletzt in dem Politthriller Geheime Staatsaffären (2006). Auch in seinem Spätwerk bewies der französische Regisseur seine Meisterschaft, kühl und messerscharf war seine Analyse der Gesellschaft.

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