Wie realistisch ist Der Schwarm? Tiefseeforscherin Antje Boetius über die Sci-Fi-Serie und das Vermächtnis von Avatar-Macher James Cameron

06.03.2023 - 08:35 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
Der SchwarmZDF
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Was aus deutschen Sci-Fi-Serie Der Schwarm ist real und was Fiktion? Um das herauszufinden, hat Moviepilot mit der Tiefseeforscherin Prof. Dr. Antje Boetius gesprochen.

Die Sci-Fi-Thriller-Serie Der Schwarm zeichnet beim ZDF ein beunruhigendes Bild: Nach der Romanvorlage von Frank Schätzing brechen Naturkatastrophe und Meerestiere über die Menschen herein und Wissenschaftler auf der ganzen Welt müssen feststellen, dass ein unbekanntes intelligentes Wesen in der Tiefsee offenbar die Angriffe koordiniert.

Science-Fiction oder Realität? Meeresforscherin Dr. Antje Boetius im Interview zu Der Schwarm

Die internationale Riesenproduktion ist seit dem 22. Februar 2023 in der ZDFmediathek verfügbar und wird ab dem 6. März 2023 im TV gezeigt. Um herauszufinden, wie viel Wahrheit hinter der Bedrohung von Der Schwarm steckt, haben wir mit Tiefseeforscherin Professor Dr. Antje Boetius gesprochen.

ZDF / Schwarm TV Production GmbH & Co. KG. / Jens Gyarmaty

Moviepilot: Hast du sofort zugesagt, als die Anfrage kam, wissenschaftliche Beraterin der Serien-Verfilmung von Der Schwarm zu werden?

Dr. Antje Boetius: Klar, denn Der Schwarm von Frank Schätzing war ein Bestseller und wurde auch von uns Meeresforscherinnen und -forschern gelesen und geschätzt. Es ging ja beim Erscheinen in 2004 um unsere aktuelle Forschung. Es war ein toller Ansatz, die eher unbekannte Forschung mit etwas fiktivem Abenteuerlichen zu verknüpfen, was trotzdem nah an der Wirklichkeit war. Rückblickend kann man sagen: Die Realität ist sogar schneller, extremer und härter ist als die Fiktion.

Ich habe also sofort "Ja" zur Beratung der Serie gesagt, weil ich mich viel damit beschäftige, wie man Ergebnisse der Wissenschaft unter die Leute bekommt. Für uns Forschende ist das manchmal schwer. Mal sind wir in unserer Sprache zu kompliziert oder die Daten sind nicht wirklich greifbar oder die kleinen Schritte der Erkenntnis sind der Allgemeinheit zu langweilig. Aber nach Frank Schätzings Buch Der Schwarm wusste jedes Kind, was ein Gashydrat ist. So viele Vorträge hätten wir gar nicht halten können. Sollten wir also zusätzlich die Kräfte der Kunst und Kultur nutzen, um die breite Gesellschaft zu erreichen? Da probiere ich gerade verschiedene Formate aus.

In welcher Form warst du als Beraterin bei Der Schwarm involviert? Musstest du auch mal sagen "So geht das leider gar nicht"?

Ich war zuerst bei der Szenenbildung dabei: Wie arbeitet man auf einem Forschungsschiff? Wie geht Wissenschaft heute und wie divers ist sie? Wie sprechen Doktoranden mit Chefinnen, wie wissenschaftliche Berater:innen mit Politiker:innen? Aber auch: Wenn Wissenschaftler:innen eine Erkenntnis gewinnen, die überlebenswichtig für die Menschheit ist – wo gehen sie damit überhaupt hin? Wie machen die sich bemerkbar?

Danach kam der Check vom Drehbuch und Dialog. Es sollten ja wie bei Frank Schätzing möglichst reale Ereignisse in Fiktion verwoben werden. Ich habe das Team also mit Feedback zu Mikroorganismen, Würmern, Walen und Unterwasserrobotern überschüttet, um wissenschaftliche Beobachtungen in die Fiktion zu kriegen. Wahrscheinlich habe ich sie auch genervt mit meinen vielen Vorschlägen. [lacht] Irgendwann kam eine ganz liebe E-Mail von Kreativ-Showrunner Frank Doelger, der auch an Game of Thrones beteiligt war. Er bedankte sich für die vielen Hinweise und schrieb, er wolle sie nutzen, wo sie die reale Welt der Wissenschaft beträfen. Aber er würde dort den Schnitt zur Fiktion setzen, wo es um die fremde Macht der Yrr geht. Es bleibt also spannend für das Publikum zu erraten, wo das in der Story ist.

Actionreicher Wal-Angriff in Der Schwarm

Tiefseeforscherin ist ein sehr spezieller Beruf. Thalassophobie, die Angst vor tiefem Wasser, hattest du also nie?

Nein, ich wollte schon früh zur See fahren und so viel Zeit wie möglich im Ozean unter Wasser verbringen. Als ich herausgefunden habe, dass es sowas als Beruf gibt, habe ich das weiterverfolgt. Für mich ist es erstaunlich, dass Menschen Angst vor tiefen Gewässern haben, weil Wasser ja trägt. Egal ob es ein Pool mit zwei Metern Tiefe oder das Meer mit vier Kilometern unter einem ist. Da ist physikalisch kein Unterschied.

Die größte Frage, die wir Nicht-Meeresbiologen uns beim Schauen von Der Schwarm stellen, ist natürlich: Was davon ist Realität? Vielleicht fangen wir mit der Gallertmasse der Yrr an: Gibt es in der Natur oder Tiefsee etwas Vergleichbares?

Für Form und Komplexität gibt es Vergleichbares, aber nicht als rachsüchtige Weltmacht. Mein eigenes Forschungsgebiet sind Einzeller, Bakterien und Archaeen – Mikroorganismen, die Konsortien bilden und kooperieren, zum Beispiel um das Treibhausgas Methan aufzufressen. Durch sie gelangt das viele Gas aus dem Meeresboden gar nicht erst an die Oberfläche. Ihre Leistung ist es, die Erde für uns Menschen überhaupt bewohnbar zu machen. Sie gehören also zu einem Netzwerk des Lebens, das alles gesund hält. Und wir Menschen begreifen diese Leistung noch gar nicht richtig oder schaden sogar, zum Beispiel beim Umgang mit dem Meeresboden.

Es gibt eine Vielzahl von schleimbildenden Einzellern, die explosiv wachsen können und auch selbstleuchtend sind, sie können in Massen auftreten. Beim Tauchen begegnet man außerdem immer wieder fast durchsichtigen geleeartigen Lebewesen, die riesig werden können. Zum Beispiel "Salpen" oder koloniale Polypen. Einige davon formen meterlange Ketten und Fäden und leuchten so ähnlich, wie es jetzt auch [in Der Schwarm] abgebildet ist. Das sieht man immer, wenn man abtaucht und es dunkel im U-Boot ist. Man kann hinausgucken, und es leuchtet und blitzt wie ein Riesen-Feuerwerk.

In Der Schwarm werden viele der auftretenden Bedrohungen und Natur-Phänomene als neu und untypisch dargestellt ...

Das Spannende ist, dass viele der Aufreger-Storys à la "Was tut die Natur, um sich am Menschen zu rächen?" im Buch Der Schwarm reale Grundlagen haben. Zum Beispiel Tsunamis, die von zerfallenden Gashydraten ausgelöst werden. Oder: Obwohl Menschen nicht in das Beuteschema von Orcas fallen, gibt es vor Spanien plötzlich Orca-Gruppen, die gelernt haben, kleine Boote herumzustoßen. Und diese gigantische Schleim-Pest im Marmarameer, wo durch Nährstoff-Einleitung und Hitzewellen auf einmal das Meer zu einem dicken Schleim erstarrt ist, sodass nicht einmal mehr Boote durchkamen.

Es gibt so vieles, wo die Natur die Fiktion überholt hat. Wenn man nicht Bescheid weiß, dass das alles naturwissenschaftlich erklärbar ist, dann würde man vielleicht auch denken, der Ozean nimmt Rache an uns Menschen. Aber der Grund ist: Wenn wir Menschen Prozesse im Ozean aus dem Gleichgewicht bringen, dann kann das für uns enorme Nachteile haben.

Der Schwarm: Folge 1

Wie sieht es mit dem Wirklichkeitsgehalt von Themen wie einem kollektiven Gedächtnis aus, die im Buch und in der Serie eine Rolle spielen?

Das ist schwieriger. Es gibt definitiv Intelligenz bei vielen Tieren im Meer. Man muss nur überlegen, wie Wale über lange Distanzen kommunizieren. Und mittlerweile wissen wir auch, dass es Zwischen-Arten-Kommunikation gibt, die in der Serie eine große Rolle spielt.

Da geht es um verschiedene Arten, die nicht zusammen eine Evolution durchschritten haben und eine gemeinsame Sprache finden. Diese Inter-Species-Communication gibt es im Meer, zum Beispiel zwischen verschiedenen Wal-Arten, die miteinander kooperieren und im Team jagen. Im Meer setzen überhaupt viele Lebewesen, insbesondere in der Tiefsee, auf Kooperation. Sie tauschen chemische Signale aus und koordinieren sich.

Wo wir gerade schon bei Kommunikation und Walen sind: Hast du zufälligerweise auch den neuen Avatar-Film gesehen, der einige Parallelen zu Der Schwarm aufweist, z.B. wenn es um die Zusammenarbeit innerhalb der Natur geht?

Leider noch nicht! Aber ich habe mal James Cameron kennengelernt, bei einer Veranstaltung für Ozeanforschung. Er hatte sich ja das Ziel gesetzt, der erste Mensch zu sein, der allein in den Marianengraben taucht. Er ist sowieso ein totaler Ozean-Fan und gibt den Meeren viel Sichtbarkeit in seinen Filmen. James Cameron hat damit etwas Wichtiges für den Ozean getan. Sich wie er auf die Faszination des Meeres einzulassen, kann zu erstaunlichen Erkenntnissen führen. Und das tut auch die Serie Der Schwarm.

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